Er vermisst das Gefühl, das er auf dem Wasser hat

Ein Drittel des Bauprozesses ist auf diesem Bild beendet. Joe Chun sagt dazu: «Traditionellerweise wird die letzte Planke als Whiskey-Planke bezeichnet, und man bringt einen Toast auf den Abschluss des Rumpfbaus aus.» Bild: Joe Chun

Joe Chun ist in Los Angeles aufgewachsen, und Surfen gehört zu seinen grössten Hobbys. Wegen seiner Frau ist er in die Schweiz gekommen und lernt Schreiner. Für einen Wettbewerb hat er ein Kanu gebaut und freut sich auf die Ausfahrten.

«Mit dem Surfbrett im Wasser zu sein und über die Wellen zu gleiten, ist für mich eines der schönsten Gefühle überhaupt», sagt Joseph Chun, der Joe genannt werden möchte. Aufgewachsen ist er in Los Angeles (USA), lebt aber seit bald sechs Jahren in der Schweiz in Ruswil LU. «Ich vermisse das Meer und das Surfen. Als es darum ging, für den Luzerner Lernendenwettbewerb ‹Art in Wood› zum Motto International ein Projekt zu suchen, habe ich mich für ein Kanu entschieden. Mit diesem kann ich auch aufs Wasser und hoffe, das schöne Gefühl wiederzufinden», erzählt er. Denn: «Stand-up-Paddeling ist mir zu langweilig, wie ich herausgefunden habe.»

Also machte er sich an die Arbeit. Auf YouTube hat er sich zuerst fast jedes Video über Kanubau sowie verschiedene Blogs angeschaut. «Es gibt ein Buch, das als Kanu-Bibel bezeichnet wird. Ich habe deswegen ‹Canoecraft› von Ted Moores gekauft. Dort ist alles super erklärt, und ich habe ein Boot nach meinen Vorstellungen gebaut.» Jedoch hat er zuerst lernen müssen, die Pläne richtig zu lesen. Diese seien nicht so einfach zu verstehen, auch weil sie in Zoll angegeben sind. Die Bauteile hat er auf der CNC gefräst, damit sie so präzis wie möglich wurden.

Design ist ihm sehr wichtig

Bei seinem Kanu wollte Chun einen besonderen Deckel anbringen. Zudem hat er einen Handlauf angebracht, und man sieht die Mittellinie. «Ich bin gelernter Grafiker. Design ist mir sehr wichtig. Deshalb sollte mein Kanu nicht nur funktional sein, sondern auch schön aussehen.»

Verwendet hat der Schreinerlernende im vierten Jahr Zedernholz. «Dieses ist sehr schön zum Verarbeiten, hat eine tolle Oberfläche, ist sehr leicht und lässt sich gut biegen.» Leider ist es teuer. «Mein Material hat gegen 4000 Franken gekostet. Zum Glück hat mein Lehrbetrieb, die Vogel Design AG, einen Teil übernommen.»

Viele verschiedene Schichten

Von den verschiedenen Bauteilen hat Joe Chun jeweils ein Musterstück hergestellt, damit das Zedernholz genau passte und nicht verschwendet wurde. «Die Idee mit den Schablonen funktionierte gut. Es gab aber schon einige Teile, bei denen ich tüfteln und sie mehrmals produzieren musste», berichtet er. Die runden Stem-Teile des Kanus hat er in zwei Schritten dampfgebogen. Das Holz hat er zudem mit Epoxidharz und Fiberglas innen und aussen überzogen. Zudem hat er die Oberfläche mit mehreren Schichten Klarlack behandelt. Vier Schichten innen und vier aussen, die er immer gut mit dem Pinsel anstreichen musste. «Das war nötig, um das Kanu wetterbeständig und wasserfest zu machen. Zudem verfärben sonst die UV-Strahlen das Epoxy.»

Insgesamt hat er gegen 300 Stunden für die Produktion aufgewendet, inklusive der Vorbereitung für die Ausstellung des Wettbewerbs. Für die Recherche, das Fotografieren und Dokumentieren kamen nochmals etliche hinzu. «Die meiste Arbeit habe ich alleine gemacht. Beim Epoxidharz hat mir mein Schwiegervater geholfen. Aber ich habe es gerne gemacht, es war ein tolles Projekt.» Dieses sei seiner Meinung nach gut verlaufen, und er habe ein tolles Ergebnis erzielt. Chun hatte zuerst gedacht, dass Bootsbau sehr schwierig sei. «Wenn man es aber verstanden hat, dann läuft es.» Heikel sei die Oberflächenbehandlung mit dem Pinsel und der Rolle gewesen. «Ich wollte es perfekt hinkriegen und habe mir deshalb viel Zeit dafür genommen.»

Fachjury war vom Kanu begeistert

Vor der Ausstellung und der Rangverkündigung von «Art in Wood» hoffte der Lernende auf einen Platz unter den ersten zehn. «Ich wusste nicht, ob ein Kanu mit den anderen Arbeiten verglichen und bewertet werden kann», blickt er zurück. Schliesslich wurde es Rang 2 in der Wertung der Fachjury, was ihn sehr gefreut hat.

Ausprobieren konnte der Ruswiler das Kanu nach der Ausstellung auch endlich. Zusammen mit seinem Schwager auf dem Sempachersee. «Dieser war fast mehr davon begeistert als ich», sagt Joe Chun. «Also, es war toll, aber dieses besondere Gefühl auf dem Wasser hatte ich noch nicht. Ich hoffe, das kommt noch.» Jedenfalls freut er sich, bald zusammen mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern aufs Wasser hinauszupaddeln und den See zu geniessen. «Und der Transport des Kanus ist auch einfach, ich kann es gut auf die Dachträger spannen, und los gehts.»

Der Amerikaner ist froh, dass er sich nun im Schlussspurt der Schreinerlehre befindet und im Sommer den Abschluss macht. «Ich bin 36 Jahre alt und habe schon andere Ausbildungen gemacht, ich bin gelernter Grafiker und war in den USA auch Golfprofi», erzählt er. Zu diesem besonderen Lebensabschnitt in der Schweiz ist Joe Chun wegen seiner Frau gekommen. Er hat sie in den Vereinigten Staaten kennengelernt, doch sie haben sich später entschieden, in die Schweiz zu ziehen, um eine Familie zu gründen.

Mittlerweile gefällt es ihm hier

Das war vor bald sechs Jahren, und mittlerweile hat er sich gut eingelebt, und es gefällt ihm. «Der Kulturschock war gross. Ich bin mir wie ein Kind vorgekommen. Alles ist hier anders, und ich habe alles verkauft und mein altes Leben aufgegeben», erzählt Chun. Das erste Jahr sei hart gewesen. Die USA und seine Familie vermisst er manchmal. Doch mittlerweile hat er Anschluss und Freunde gefunden. «Im ersten Jahr habe ich eine Deutschschule besucht, um die Sprache zu lernen», erzählt er.

Dann hat er sich überlegt, was er beruflich machen soll, und entschied sich, eine Ausbildung zu machen, um das Deutsch zu verbessern und sich zu integrieren. «In der Familie meiner Frau gibt es viele Schreiner. Neben der Schule konnte ich in deren Betrieb als Hilfsarbeiter tätig sein und habe gemerkt, wie toll ich Woodworking finde und dass es praktisch fürs Leben ist.» Es lag also nahe, dass er eine Lehre als Schreiner machte. «Das war die richtige Wahl. Ich darf nach dem Sommer im Lehrbetrieb bleiben und möchte meine Kenntnisse als Designer und Schreiner kombinieren. Darauf freue ich mich.»

Nicole D'Orazio

www.instagram.com/joes_canoewww.vogeldesign.ch

 

Veröffentlichung: 01. Juni 2023 / Ausgabe 22/2023

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