Extrudieren und Spritzgiessen mit Holz

In einer Pilotserie entstanden solche Torsos für Ausstellungen in Kleidergeschäften. Bild: Fluid Solids AG

Entwicklung.  2012 wollte ein kleines Start-up-Unternehmen mit einem ökologischen Holzwerkstoff in die Kunststoffindustrie vordringen. Der Gründer Beat Karrer erzählt, wie es heute um das Produkt steht und warum sich die Schweiz im internationalen Vergleich nicht zu verstecken braucht.

SchreinerZeitung: Was hat sich in den letzten vier Jahren getan?
Beat Karrer: Die Verarbeitungstechnologie hat sich stark verändert. Wir können nun nicht nur pressen, was eine eher handwerkliche Methode ist, sondern auch extrudieren und spritzgiessen. Diese Technologien sind für grössere Stückzahlen sehr interessant. Und wir haben festgestellt, dass viele Unternehmen ein Problem mit ihrem Abfall haben.
Inwiefern?
Oft werden Reststoffe wie beispielsweise Holzspäne thermisch verwertet. Mit unserer Technologie könnte man diese mehrmals wieder verwenden und erst ganz am Schluss verbrennen. So würden die Stoffe viel länger im Umlauf bleiben. Das gilt eigentlich für fast alle Naturfasern. Stellen Sie sich vor: In der Nahrungsmittelindustrie gibt es etwa Unternehmen, die entsorgen jedes Jahr kilometerlange Güterzüge voll entkörnter Maiskolben.
Damals hatten Sie auch die Autoindustrie als potenziellen Abnehmer erwähnt. Ist man dort einen Schritt weiter?
Da waren wir vielleicht etwas naiv. Wir mussten feststellen, dass es für jedes Land und jede Industrie zig Zertifizierungen benötigt. Für uns als kleines Unternehmen ist das im Moment einfach zu aufwendig. Aber wir sind nach wie vor in Kontakt mit diesen Industrien, und bis in fünf Jahren sind wir sicherlich einen Schritt weiter. Bisher haben wir aber eine Lebenszyklusanalyse erstellen lassen, ein Patent angemeldet und unzählige Materialprüfungen gemacht. So können wir nun mit verschiedenen Kunden projektbezogen einzelne Zertifizierungen machen, die es dazu braucht.
Ist das Extrudieren jetzt marktreif?
Wir arbeiten ja auch mit der Hochschule für Technik in Rapperswil zusammen. Die ersten Tests haben dort so gut funktioniert, dass wir danach parallel erste Versuche mit Partnern aus der Industrie durchgeführt haben. Dort hat es dann manchmal auch geholpert, aber insgesamt haben wir nochmals grosse Fortschritte gemacht. Heute sind wir vielleicht bei etwa 95 Prozent. Die letzten paar Prozent sind aber umso schwieriger.
Warum?
Nun geht es um die Feinabstimmung der verschiedenen Parameter, also Material, Werkzeuge, Maschine usw. Dieses Zusammenspiel ist sehr diffizil und manchmal schwierig nachzuvollziehen. Solche Probleme hat man aber nicht nur bei unserem Produkt. Auch bei normalen Kunststoffen muss man diese Erfahrungen sammeln, da sich derselbe Kunststoff vom Hersteller A nicht ganz genau gleich wie jener vom Hersteller B verhält. Da ist es ähnlich wie mit Holz; Eiche ist nicht gleich Eiche.
Gibt es auch Fortschritte bei der Wasserbeständigkeit?
Wir haben eine Formulierung, die wasserbeständig ist, und konnten diese nochmals verbessern. Allerdings braucht es dazu Additive, die wir eigentlich nicht verwenden wollen. Wasserbeständigkeit und Kompostierbarkeit im Hauskompost sind einfach schwierig unter einen Hut zu bringen. Ohne die Zusätze kann man das Material auch ölen oder lackieren, um es witterungsbeständiger zu machen.
Wir sind aber auch davon weggekommen, das Material um jeden Preis wasserfest zu machen. Jeder Werkstoff hat seine Berechtigung, man muss ihn einfach am richtigen Ort einsetzen.
Es gibt aber beispielsweise Essgeschirr, welches spülmaschinenfest und kompostierbar sein soll.
Ja, diese werden oft aus PLA (Polylactide) hergestellt und enthalten je nachdem auch Zusatzstoffe, um die Beständigkeit zu verbessern. Zudem muss man auch beachten, wie kompostierbar definiert wird. Dafür alleine gibt es schon zahlreiche Normen. Eine besagt zum Beispiel, dass der Stoff zerkleinert in der Industriekompostieranlage unter kontrollierten Bedingungen innert einer gewissen Zeit zersetzt werden muss. Das kann man natürlich nicht vergleichen mit einem Hauskompost.
Werden Sie von der Kunststoffindustrie schon als Konkurrenz wahrgenommen?
Nein, dafür sind wir im Moment einfach noch zu klein. Man muss sich vorstellen, dass Bio-Kunststoffe für sich schon eine sehr kleine Nische in diesem riesigen Markt sind. Und das, was wir tun, ist eine Nische in dieser Nische. Aber klar, man schaut auf uns, und es gibt viele andere kleine Unternehmen, die ebenfalls im Bio-Kunststoff-Segment tätig sind.
Hat die 3D-Drucktechnik dem Projekt zusätzlichen Schub verliehen?
Jein. 3D-Druck interessiert uns eigentlich sehr und ist mit unserem Werkstoff auch machbar. Das konnten wir mit mehreren Testläufen beweisen. Aber um diesen Bereich forcieren zu können, hätten wir nochmals zwei Personen einstellen müssen, die sich nur damit befassen. Das ist zurzeit einfach nicht möglich. Zudem ist das Absatzpotenzial bei den klassischen Verfahren Spritzguss und Extrusion viel grösser als beim 3D-Druck.
Meines Erachtens braucht es noch einige Zeit, bis man mit dem 3D-Druck Massenprodukte herstellen kann. Für Einzel- oder Ersatzteile, Prototypen und dergleichen ist es aber durchaus jetzt schon ein Thema.
Ist «FluidSolids» schon selbsttragend?
Von der Produktion alleine können wir noch nicht leben. Nebst Fördergeldern und einer Bürgschaft vom Bund konnten wir aber verschiedene Investoren mit ins Boot holen, darunter auch die Zürcher Kantonalbank. Ohne diese Unterstützung stünden wir heute nicht da, wo wir jetzt sind. Bei solchen Projekten braucht es einfach Leute, die an einen glauben. Und da ist es schon sehr ermutigend, wenn dies auch namhafte Institutionen tun.
Wie viele Unternehmen produzieren denn jetzt schon mit «FluidSolids»?
Im Moment haben wir zwei Abnehmer, mit ein paar weiteren sind wir in der Testphase, und mit rund 20 befinden wir uns im Gespräch. Darunter befinden sich auch grosse Unternehmen, beispielsweise Hersteller von Befestigungs- und Verbindungsmitteln. Um welche es sich dabei handelt, darf ich aber nicht sagen (schmunzelt).
Wo liegen denn die Schwierigkeiten, weitere Abnehmer zu finden?
Wie schon erwähnt, sind die Prozesse in der Branche oft sehr langwierig, insbesondere bei grossen Konzernen. Zudem haben wir viel Zeit in die Weiterentwicklung investiert, und erst vor Kurzem sind wir mit dem ganzen Unternehmen in eine grössere Halle umgezogen.
Was ist denn aus der Zusammenarbeit mit Röthlisberger aus Gümligen geworden?
Ja, die waren beim KTI-Projekt ebenfalls dabei. Dort hatten wir noch die Idee, mittels eines einfachen und kostengünstigen Pressverfahrens Teile herstellen zu können. Das wäre nach wie vor möglich, aber durch das Extrudieren und Spritzgiessen wurde dieses Verfahren nun abgelöst.
Und Kronospan war damals ja auch im Gespräch ...
Dort hat sich gezeigt, dass der Margendruck enorm gross und es deshalb schwierig ist, neue Produktionsmethoden anzuwenden. Bei einem Massenprodukt wie der Spanplatte mit sehr geringer Marge kommt es auf winzige Details an, und die Prozesse müssen im 24-Stunden-Betrieb funktionieren. So weit sind wir einfach noch nicht mit «FluidSolids». Aber die Produktion von profilierten Sockelleisten wäre beispielsweise heute schon denkbar.
Übrigens: Alle schwärmen immer von den USA und dem Silicon Valley. Dort gab es auch Interessenten, und es wird einem das Blaue vom Himmel versprochen. Aber am Ende waren es ganz normale KMUs aus der Schweiz, die sich völlig unkompliziert und pragmatisch an die Sache heranwagten. Klar dauert hier alles etwas länger. Aber wenn jemand sagt, ja, das machen wir, dann wird es auch gemacht. Ebenfalls nicht unterschätzen darf man zudem die Distanz und die Zeitverschiebung. Insofern muss sich die Schweizer Wirtschaft bezüglich Erfindergeist und Innovation nach wie vor nicht verstecken.
Wo liegt mittlerweile der Materialpreis von «FluidSolids»?
Da bewegen wir uns jetzt im Bereich eines normalen Bio-Kunststoffes wie PLA. Gegen einfache Kunststoffe wie Polyethylen (PE) haben wir natürlich keine Chance. Dafür sind auch unsere Kapazitäten der Pilotanlage mit maximal 50 Tonnen pro Monat viel zu klein. Aber wenn es um höherwertige Kunststoffe wie glasfaserverstärktes Polyamid geht, sind wir nicht mehr weit davon entfernt.
Wird das Material womöglich mal im Ausland hergestellt?
Für grosse industrielle Mengen ist die Schweiz und insbesondere Zürich dann wohl nicht mehr der richtige Standort. Bis auf Weiteres ist das aber noch kein Thema, denn hier haben wir eine sehr gute Infrastruktur, Anbindung an den Verkehr, qualifiziertes Personal und Hochschulen. Zudem muss man nicht nur wissen, was man kann, sondern auch, was man nicht kann. Und der Aufbau von grossen Fabriken ist sicher nicht unsere Kernkompetenz, da gibt es grosse Unternehmen, die wissen, wie man so etwas macht.
Sie könnten sich also vorstellen, in
Zukunft mit einem grossen Konzern zusammenzuspannen?
Ja, durchaus. Da könnten wir stark vom Know-how profitieren, was den Vertrieb, die Finanzen oder juristische Belange angeht. Denn am Ende geht es nicht um mein Ego, das ist schon gross genug (lacht).
Sondern?
Darum, etwas Schlaues zu machen, voranzutreiben, etwas zu lernen, mit einem tollen Team zu arbeiten und dabei Spass zu haben. Klingt zwar wieder naiv, aber gerade der Spass daran ist ein nicht zu unterschätzender Faktor.

Fluid Solids AG

Zur Person

Beat Karrer hat 1989 die Ausbildung zum Schreiner abgeschlossen und machte sich danach gleich selbst- ständig. Bis 2012 betrieb er sein eigenes Designbüro und gestaltet Objekte für die Serien- und Einzelpro- duktion. Zu seinen Kunden gehörten Firmen wie Boffi, Tossa oder Röthlisberger.

Das Unternehmen

Die Fluid Solids AG wurde am 15. Dezember 2011 in Zürich gegründet. Die Mehrheit der Aktien wird von Gründer und Geschäftsführer Beat Karrer gehalten. Zu seinem Team gehören heute ein Designer, eine Chemikerin, ein Polymechaniker und ein Verkaufsspezialist.

Das Material

«FluidSolids» ist ein biologisch abbaubarer Verbundwerkstoff. Seine Komponenten bestehen aus Industrieabfällen nachwachsender Rohstoffe, dadurch entsteht keine Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau über die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen. Das Material ist ungiftig, geruchsneutral, emissionsfrei und weist einen geringen CO2-Fussabdruck auf. Es ist einstellbar in Bezug auf Stabilität, Dichte, Elastizität, Wasserfestigkeit, Oberfläche und Farbe.

www.fluidsolids.com

ph

Veröffentlichung: 30. September 2017 / Ausgabe 37/2017

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