Filigrane Kunst mit der Kettensäge

Übung macht den Meister: Der gelernte Schreiner, Lukas Senn (32), ist autodidaktisch zum Künstler geworden. Bild: Caroline Schneider

Leute. Holzspäne fliegen in alle Richtungen, die Motorsäge heult auf. Um Lukas Senn legt sich eine Staubwolke. Er ist hoch konzentriert. Höchste Präzision ist gefragt

In nur 20 Minuten schnitzt er aus einem Baumstamm eine Skulptur in Form eines Eichhörnchens. Speedcarving ist ein Balanceakt: Da ist einerseits die grobe Kettensäge und deren Geschwindigkeit, andererseits die filigrane Skulptur, die unter seinen Händen entsteht. Eine falsche Bewegung und die werdende Skulptur ist futsch. Was so leicht aussieht, erfordert jahrelanges Training. Bereits während seiner Lehre zum Schreiner hat Senn am Feierabend Skulpturen geschnitzt. «Als mein Vater mir für die Motorsäge ein Schnitzschwert schenkte, ging eine ganze Welt auf.» Nach der Rekrutenschule machte er sich selbstständig – mit einem Startkapital von 3000 Franken. Er kaufte sich damit ein Dreibein mit Seilzug, um die schweren Sachen zu heben. «Ich investierte meinen Gewinn nach und nach in Werkzeuge und Maschinen. Werbung brauchte ich nie zu machen.» Der Künstler aus Rothrist AG schnitzt jeweils am Waldrand, wo sich Spaziergänger für seine Skulpturen interessierten. «Später durfte ich meine Werke im Dorfmuseum in Rupperswil ausstellen.» Senn wird fürs Showschnitzen gebucht, so beispielsweise bei der Aargauer Messe Aarau oder bei Fimenanlässen. «Es läuft alles über Mund-zu-Mund-Propaganda.»

«Mir hat es den Ärmel reingezogen. Ich kann meine Kunst so umsetzen, wie ich möchte. Ich bin völlig frei.»

Heute muss er Aufträge absagen. «Ich habe in den letzten 10 Jahren einen Schweinsgalopp hingelegt.» Senn arbeitet oft auch am Wochenende. «Und trotzdem», sagt der Familienvater, «eine goldene Nase verdient man nicht. Aber mir hat es den Ärmel reingezogen. Ich kann meine Kunst so umsetzen, wie ich möchte. Ich bin völlig frei.» Das sei Luxus pur. Manchmal leide seine Gesundheit. «Schulter- und Rückenschmerzen machen sich bemerkbar. Oder dann...», sein Blick wandert auf seine Narbe am Handgelenk, «ein gröberer Unfall. Ich hätte verbluten können, wenn nicht per Zufall jemand in der Nähe gewesen wäre. Ich stolperte und fiel mit der Hand in die Kettensäge, die noch halbwegs lief. Ich verlor fast einen Finger, einige Sehnen waren durchtrennt. Knochen und Haut mussten von einer anderen Körperstelle genommen werden», erzählt der 32-Jährige. Doch gleich darauf beginnt er zu philosophieren. Er berichtet über den Leerraum zwischen zwei Figuren. «Es ist der negative Raum, der die Skulptur ausmacht. Also das, was man herausschnitzt, die Leere, bestimmt letztlich die Form. Die Leute sehen jedoch nur das, was da ist.» Der gelernte Schreiner hat sich alles autodidaktisch beigebracht. «Es braucht Übung, sehr viel Übung. Wenn man den 100. Bären geschnitzt hat, kann man sein Repertoire erweitern.» Senn erklärt, worauf es bei figürlichen Skulpturen ankommt. Etwa auf das statische Gleichgewicht. Dieses sorge dafür, dass die Figur für das Auge plausibel wirke. «Beim dynamischen Gleichgewicht sieht der Betrachter eine Bewegung.»

Vieles hat mit der Linienführung zu tun. Schwung und Gegenschwung müssen sichtbar werden. «Das Auge möchte sich an etwas halten.» Bei grossen Skulpturen arbeitet Senn mit einem Modell und zeichnet horizontale Linien auf den Baumstamm. Bei kleineren Skulpturen zeichnet er einen Schattenwurf aufs Holz, wie bei einem Scherenschnitt. 90 Prozent der Skulpturen sind Tiere. Der Rest Gegenstände, Figuren oder auch Firmenlogos. Senn gehen die Ideen nie aus. Sie fallen ihm ein, wenn nach Feierabend unter der Dusche das Wasser auf ihn niederplätschert.

Caroline Schneider

Veröffentlichung: 31. Oktober 2022 / Ausgabe 43/2022

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