Gebogen, um zu bleiben

Dampfgebogene Teile, wie solche Tischbeine, sind besondere Hingucker und werten die Schreinerarbeiten zusätzlich auf. Bild: Michi Läuchli

Dampfgebogenes Holz.  Mit der Kraft von Dampf und jahrhundertealtem Handwerk verwandelt sich massives Holz in geschwungene Formen. Die Technik ermöglicht es, Holz ohne Bruch oder Verleimung zu biegen und so nachhaltige, langlebige Meisterwerke zu erschaffen.

Holz lässt sich mit den richtigen Hilfsmitteln gut in geschwungene Formen bringen, auch wenn damit ein gewisser Materialverlust einhergeht. Soll die Form aber nicht nur geschwungen, vielmehr gar kreisrund sein, lässt sich dies durch mehrere miteinander verleimte Holzschichten ausführen, sogenannte Leimbinder. Bogenformen mit ausreichender Festigkeit sind so zwar realisierbar, jedoch geht die Natürlichkeit des Holzes verloren. Um Holz ohne Leimverbindungen zu biegen, muss es ausgetrickst werden – genauer gesagt zwei seiner Hauptbestandteile: die Zellulose, die für die Zugfestigkeit verantwortlich ist, und das Lignin, das dem Holz seine Druckfestigkeit verleiht. Damit es sich, ohne zu brechen, in Form bringen lässt, müssen sich beide Komponenten entspannen. Das erfolgt durch das Dämpfen, bei dem das Holz im Dampfofen mit 0,5 Bar Überdruck und heissem Wasserdampf gesättigt wird. Dadurch wird die Zellulose dünner und das Lignin weicher. Das macht das Holz elastisch, womit es sich entlang der Fasern geschmeidig in die gewünschte Form biegen lässt. Sobald es dann wieder trocknet, behält es diese Form bei und ist genauso stabil und belastbar wie zuvor.

Dampfend unter Tonnen gebogen

Wie viel Kraft es benötigt, Holzkanteln in die gewünschte Form zu bringen, demonstriert die massive Biegepresse, welche einsatzbereit in einem Raum der Werkstatt der K. Winkler AG in Felsenau im Kanton Aargau steht. Seit über 80 Jahren werden im Produktionsbetrieb Holzkanteln in schwungvolle Teile verwandelt. Gleich wird die Presse ein dampfendes Holzstück in einen heissen Holzbogen umformen. Nachdem das Holz zwei Stunden lang unter leichtem Überdruck bei 100 Grad im Dampfofen schmorte, ist es geschmeidig genug, um gebogen zu werden. Mitarbeiter Thomas Schlachter öffnet den Deckel des Ofens, heisser Dampf strömt aus. Nun muss es schnell gehen. Mit Handschuhen entnimmt er das aufgeheizte Holzstück, legt es in die vorbereitete Pressform, betätigt ein paar Hebel und gibt wenige gezielte Hammerschläge auf die Maschine, um das Ganze einzustellen. Dann fängt die Maschine mit einem Rattern an, die Auflagebacken zu schliessen. Scheinbar mühelos beginnt sich das massive und noch dampfende Holz zu verbiegen, dabei wirkt das Ganze fast ein wenig so, als würde sich das Maul eines Krokodils mit seiner Beute schliessen. Mit dem Unterschied, dass die «Beisskraft» der 60-jährigen Maschine an die 10 Tonnen beträgt. Ist die Endposition erreicht, bleibt das Werkstück für eine Stunde gespannt und kann dabei abkühlen.

Bugholz hat essenzielle Vorteile

Pionier des dampfgebogenen Holzes war Michael Thonet, der im 19. Jahrhundert mit dem Biegen von Holz experimentierte. 1830 gelang ihm schliesslich der Durchbruch, als er ein Verfahren entwickelte, mit dem sich Massivholz gezielt und in Serie biegen liess – der Bugholzstuhl war geboren. Von jeher erfreut er sich grosser Beliebtheit. Der Vorteil von dampfgebogenem Holz liegt auf der Hand: Da der Faserverlauf des Holzes durch das Biegen mit der Form mitläuft, wird eine höhere Stabilität und eine verbesserte Dauerhaftigkeit erreicht, als wenn das Bogenteil aus mehreren verleimten Friesen besteht. Überdies entsteht ein schöneres, fugenloses und natürliches Holzbild.

Spezialisten in der Schweiz rar

Fast 200 Jahre nach der Entwicklung des Dampfbiegens hat sich an der Technik kaum etwas verändert. Auch die vier Hauptzutaten Holz, Dampf, Handwerkskunst und Erfahrung werden nach wie vor benötigt. In der Schweiz beherrschen nebst der K. Winkler AG zwei weitere Firmen die Kunst der Holzbiegetechnik. Wie der Vorreiter Thonet produziert auch die Möbelfabrik Horgenglarus AG Stühle, Hocker sowie Tische. Die Produkte werden in Glarus produziert. Sportlich ist die Firma 3R AG unterwegs: Das Unternehmen aus Sulgen TG hat sich auf die Herstellung von Schlitten und Rodel spezialisiert. Weiter fertigt die Firma unter anderem Hochbeete, Liegen und Gartenbänke für den Aussenbereich.

Umfangreiches Anwendungsgebiet

Nun zurück in den Betrieb nach Felsenau, wo der massive Lärchenbogen für die Presszeit von rund einer Stunde in der Maschine ruhen konnte und soeben von Thomas Schlachter aus der Maschine gehievt wird. Dazu nützt er einen Kettenzug, schliesslich wiegt das Stück, aus dem später mal ein grosser Fensterbogen entsteht, mit einer Länge von rund 2,5 Metern, einer Dicke von 110 Millimetern und einer Breite von 150 Millimetern, einiges. «Hier sind wir an der Grenze des Machbaren», sagt Fredi Unterweger, Technischer Leiter des Unternehmens. Doch genau das mache ihren Betrieb auch aus, sagt er. Weil jede Form wieder anders ist, muss oft nach kreativen Lösungen gesucht werden, die sich dann mittels Spezial-Vorrichtungen umsetzen lassen. So lasse sich das in der Fachliteratur mit 1 : 5 angegebene und erforderliche Verhältnis von Holzdicke zu Biegeradius eher als eine Orientierungshilfe ansehen. Schliesslich gelang es dem Unternehmen schon, Holzdicken von 50 Millimetern mit Innenradius von 0 Millimetern zu biegen, sprich 90 Grad um die Ecke, doch das ist die Ausnahme. Werden die Teile maschinell gebogen, beträgt der kleinste Innenradius aufgrund der Achse der Presse 50 Millimeter.

Holzbögen in den unterschiedlichsten Dimensionen und Radien verdeutlichen, wie gross das Sortiment, aber auch die Flexibilität der Firma ist. Schliesslich reicht die Produktpalette von Halbfabrikaten wie Tischkanten bis hin zu kompletten Massivholzlösungen wie Stühlen, Lampenringen oder geschwungenen Handläufen.

Riesige Datenbank im Kopf

Eindrücklich sind zudem die vielen Pressformen – mittlerweile sind es an die 1000 –, die gestapelt herumliegen und bis heute individuell zu den Aufträgen angefertigt wurden. Sie geben einen interessanten Einblick in das Schaffen der Firma. Wer denkt, die Formen seien fein säuberlich digital in einer Datenbank hinterlegt, liegt falsch. «Alle, die hier schon lange arbeiten, wissen genau, welche Form sich in welchem Regal befindet», sagt Inhaber Roman Winkler mit einem Lächeln. Er führt den Betrieb in dritter Generation und beschäftigt aktuell zwölf Mitarbeitende. Die Auswahl an existierenden Formen ist dementsprechend gross, wodurch für die meisten Aufträge auf eine bestehende zurückgegriffen werden kann. Ist allerdings eine unkonventionelle Form wie beispielsweise eine Ovale nötig, werde dem Kunden auch der Formenbau verrechnet. Eine Press- und eine Gegenform sind nötig, damit sich die Holzkanteln überhaupt pressen lassen. Die Formen sind mit einem Blech beplankt, sodass sich das Biegeteil beim Biegeprozess besser in die Form einschmiegt. Zudem schützt es die Pressform vor dem heissen Wasserdampf.

Am besten lufttrocken

Damit sich das Holz auch gut biegen lässt, muss die Ausgangs-Holzfeuchte zwischen 18 und 20 Prozent betragen. Ofentrockenes Holz zu biegen, sei zugegeben möglich, es funktioniere aber nicht wirklich gut. «Es kann reissen, zudem bilden sich viele Stauchfalten. Wir machen das zwar, die Risiken liegen dann aber beim Kunden», sagt Winkler. Ab und zu gebe es Kunden, die mit eigenem, ofengetrocknetem Holz zu ihm kommen und davon ausgehen, dass sich das problemlos biegen lässt. Einer, der regelmässig sein eigenes Holz zum Biegen in Felsenau vorbeibringt, ist Jean-Marc Kaltenrieder aus Donatyre bei Avenches VD. Als Hersteller von Schweizer Massivholzstühlen weiss er, wie wichtig die Qualität des Holzes und dessen Lagerung ist. So liefert er dem Biegewerk nur luftgetrocknete und bereits fertig abgelängte Holzteile aus seinem Bestand an. Das sei aber eher die Ausnahme, meint Winkler. «Die meisten Schreiner wollen unser Holz, das wir dann biegen und auch gleich profilieren.» Im Holzlager liegt über 300 Kubikmeter Holz aus der Schweiz. Das Sortiment umfasst unter anderem Hölzer wie Eiche, Esche, Nussbaum, Buche, Ahorn, Kirsche oder Weisstanne. Nach dem Einsägen ruhen die Bretter jeweils für zwei Jahre an der Luft, bevor sie gebraucht werden. Verarbeitet wird vorwiegend Laubholz, zunehmend aber auch Nadelholz wie Lärche oder Douglasie. Neben der richtigen Holzfeuchte muss das Material weitere Kriterien erfüllen. «Das Holz muss ast- und rissfrei sein, ansonsten reisst es», erklärt Roman Winkler. Auch der Jahrringverlauf ist wichtig, idealerweise sollte dieser Halbrift sein. Die Erfahrung habe gezeigt, dass sich feinjährige Rift- und Halbriftware am besten biegen lassen.

Exakter Druckpunkt entscheidend

Beim Biegen wird das Holz zudem gestaucht, sprich, die Fasern verdichten und werden in sich geschoben, dadurch können die Holzfasern nicht reissen. Deshalb werden die Teile jeweils auf ein Blech gelegt, welches an beiden Enden Metallhaken aufweist. Die sind nötig, damit sich die Bogenteile mit einem Spannset fixieren lassen. Ansonsten würde das Holz wieder in seine ursprüngliche Form zurückgehen. Was Schreiner beim Verleimen mit Zwingen und Schablonen kennen, ist hier gleich: «Der korrekte Druckpunkt ist entscheidend, da die Teile mit enormem Pressdruck gebogen werden. Ansonsten entstehen Beulen im Biegeteil», erklärt Unterweger. Immer wieder kontrolliert der Technische Leiter bei Winkler mit einer Lehre, ob das Bogenteil auch der gewünschten Form entspricht.

Wichtig: Gemächlicher Trocknungsprozess

Nach dem Biegen bleiben die Teile zwei Tage in der Werkstatt zur Akklimatisation. Dann kommen sie in einen vorgewärmten Vorraum und stehen dort für ein paar weitere Tage. Schliesslich werden sie in den Haupt-Trocknungsraum gebracht, wo mit einer Starttemperatur von 35 Grad getrocknet wird. Langsam und kontinuierlich wird die Temperatur gesteigert. Heizt man das Holz mit einer zu hohen Anfangstemperatur und zu schnell auf, trocknet es dementsprechend auch zu schnell und verkapselt sich. Bedeutet, dass das Holz aussen trocknet, eine Schutzhülle bildet, während im Innern das Wasser eingeschlossen wird. Das führt zur Rissbildung und macht die Teile unbrauchbar. «Das Trocknen ist eine eigene Philosophie, das genügend Zeit benötigt», sagt Unterweger. Manche Kunden seien der Auffassung, dass die Bogenteile innerhalb von zwei Wochen verfügbar sind, was unmöglich sei. «Kunden, die uns kennen, nehmen uns meistens schon während der Bauplanung mit ins Boot und wissen, wie lange der Herstellungsprozess dauert.»

Viel Erfahrung und Geduld nötig

Wie lange die Trocknung effektiv dauert, ist sehr unterschiedlich und kann von ein paar Tagen bis zu acht Wochen reichen, wie im Falle der starken Lärchenbögen. Das Trocknen brauche Geduld und Sorgfalt. Man müsse immer messen und schauen, dass die Teile nicht zu trocken, aber auch nicht zu feucht seien. Von allen Holzarten sei die Eiche die Mühseligste. Sie müsse wirklich ganz langsam getrocknet werden. Beim Trocknen schwindet das Holz, wodurch die Bögen dazu neigen, zusammenzugehen. Direkt nach dem Biegen verhält es sich genau gegenteilig. Die Bögen öffnen sich. Die Holzbieger müssen einkalkulieren, wie viel das Holz weiter zusammengeht, damit die Form am Ende trotzdem stimmt. Wie viel das Holz schrumpft, ist von Faktoren wie Holzart, Holzdimensionen oder Feuchtigkeit abhängig. «Mit Formeln die Veränderungen zu berechnen, ist schlicht unmöglich, dafür braucht es viel Erfahrung, aber auch die Lehren», erklärt Unterweger. Mit ihnen wird zugleich während der Trocknungsphase regelmässig kontrolliert, ob sich die Bogenteile noch im gewünschten Radius befinden oder schon zu fest zusammengehen. Ist das der Fall, werden die Teile aus dem Trocknungsraum genommen. «Mehr oder weniger biegt man die Teile so, wie die Form am Ende auch ist. Man biegt die Teile eher zu weit, weil sie tendenziell zusammengehen.» Am Ende ihrer Trocknungsphase haben die Bogenteile eine Holzfeuchte von rund 9 Prozent und können weiterverarbeitet werden. Wenn möglich, wird das Holz direkt auf das gewünschte Fertigmass gebogen, eine Nachbearbeitung ist aber dennoch oft notwendig, um Biegespuren zu entfernen.

Nadelholz für den Aussenbereich

Heute werden im Holzbiegewerk auch vermehrt Nadelhölzer gebogen, was bisweilen nicht so war. «Es hiess immer, man könne keine Nadelhölzer biegen, nur Laubhölzer. Irgendwann haben wir dann angefangen, Weisstanne und Lärche auszuprobieren», sagt Roman Winkler. Weil Nadelholz mehr Weichholzanteil hat und langfasriger als Laubholz ist, ergeben sich mehr Falten beim Biegen. Der grosse Vorteil bei Nadelholz ist aber, dass das enthaltene Harz im Dampfofen regelrecht auskocht, was gerade bei Sitzbänken sinnvoll ist. Die Produktepalette der Holzbiegerei beschränkt sich nicht auf den Innenbereich. «Vieles, das wir hier machen, ist für den Aussenbereich, weil sich gezeigt hat, dass die Vorteile des Dampfbiegens im Aussenbereich noch besser zum Tragen kommen als im Innenbereich», sagt Winkler. Der Grund liegt auf der Hand: Bogenteile müssen konventionell mit Lamellenverleimungen oder Schrägschnitt-Verbindungen hergestellt werden. Solch verleimte Verbindungen im Aussenbereich haben aufgrund der Klimabedingungen immer Schwachstellen. Für Holzbauer werden des Öfteren Fassaden oder Fensterlaibungen aus Lärche oder Weisstanne hergestellt, Schreiner treten häufig mit ihm in Kontakt, weil sie beispielsweise eine Bartheke mit geschwungenen Teilen herstellen dürfen.

Es ist bemerkenswert, dass sich die Kunst des Dampfbiegens auch nach fast 200 Jahren seit der Entwicklung kaum verändert hat, mehr noch: Das Herstellungsverfahren ist geradezu zeitgemäss. So werde im Zuge der Nachhaltigkeit auch vermehrt probiert, geschwungene Gegenstände, die bislang aus Kunststoff oder Metall hergestellt wurden, aus Holz zu produzieren. «Wir staunen jeweils, mit was für Ideen Designer, Architekten und Schreiner zu uns kommen», sagt Roman Winkler. So sei schon Holz für Zahnbürsten, Haarreifen, Sonnenbrillen und Ventilator-Gehäuse gebogen worden.

www.kaltenrieder-jm.chhorgenglarus.chwww.schlitten.chwww.holzbiegen.ch

Michi Läuchli

Veröffentlichung: 27. März 2025 / Ausgabe 13/2025

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