Gentleman mit guter Feder

Walter Gisler (91), Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, amtete 20 Jahre als Sekretär der VSSM-Sektion Uri. Bild: Beatrix Bächtold

91 Jahre alt ist er, dieser Walter Gisler, und bis vor 10 Jahren noch amtete er als Sekretär der VSSM-Sektion Uri. Jetzt, man schreibt das Jahr 2018, sitzt er mit polierten, modischen Tretern an den Füssen und dem Pochettli in der Brusttasche seines Vestons bei einem Bier. Umgeben von einer Aura warmer Korrektheit und Liebenswürdigkeit, vermag dieser Herr zu fesseln. Aufgewachsen mit sechs Geschwistern, lernte er zunächst Bäcker-Konditor. Im Alter von 37 Jahren verletzte er sich bei einem Betriebsunfall am Rücken. «Knacks, berufsunfähig», bringt er die Katastrophe auf den Punkt. Dank der IV und der Unterstützung seiner Frau Marie-Louise schloss er die einjährige Handelsschule ab und blickte nach vorn. «Meine Familie, Söhne, Enkel, Urenkel, alle topp», sagt er, lächelt und wischt sich kurz über die Augen. Nach der Weiterbildung fand er im Kanton Luzern Arbeit in der Verwaltung des Justizdepartements. 23 Jahre lang pendelte er im Bummelzug von Altdorf nach Luzern, wo er zuletzt eine Kaderstelle beim Strassenverkehrsamt hatte. Mit 57 Jahren wurde er, infolge einer bösen Viruserkrankung, frühpensioniert. Längst im Ruhestand, traf er an seinem Wohnort Altdorf auf Hans-Baptist Berther, den VSSM-Präsidenten der Sektion Uri, und zwar just, als dieser mit einem Stelleninserat zur Post wollte.

«Du Walter, wir suchen einen Sekretär. Du hast doch eine gute Feder. Das wäre etwas für dich», schlug er Gisler vor. «Sekretär des Schreinermeisterverbands? Das wärs noch. Als Bäcker verstehe ich wohl mehr von richtigem Mehl als von Sägemehl. Ich kann ja nicht einmal einen Nagel einschlagen», erwiderte der Gefragte. Kurz: Gisler wurde 1990 einstimmig in den Vorstand gewählt. Im Laufe der nächsten 20 Jahre erledigte er die Korrespondenzen und führte bei Sitzungen und Generalversammlungen Protokoll.

Gisler verfügt über einen feinen Humor und bringt in seiner Freizeit Gedichte und Schnitzelbänke in Urner Mundart zu Papier. In seiner Kindheit war er als Lausbub in der Region berühmt und berüchtigt für seine Streiche à la Max und Moritz. Raketen unter dem Blumenkistchen, ein Fröschchen im Milchkessel, zufällig von der Kirchenempore herabstürzende Gebetbücher und im intensiven Käferjahr 1936 eine Lehrerin, die beim Anblick der Tierchen fast in Ohnmacht fiel: Das sind nur einige Beispiele seiner Kreativität. Und so ist es logisch, dass Gisler sich auch als Sekretär ab und zu ein Spässchen nicht verkneifen konnte. «Vor einer Präsidentenwahl fragte ich zum Beispiel, ob ich nicht zur Sicherheit einen Strafregisterauszug des Kandidaten anfordern soll», erzählt er und schmunzelt beim Gedanken an die verdutzten Gesichter. Im Laufe seiner Amtszeit tauschte der Sekretär den Füllfederhalter mit dem Laptop und den Anzug mit Krawatte gegen das sportliche Businessoutfit ein. Die Zeiten änderten sich, und Gisler machte mit. «Nach 15 Amtsjahren hatte ich eigentlich genug», sagt er. Da kein Nachfolger in Sicht war, suchte er selber einen. «Sonst wäre ich heute noch Sekretär», sagt er und lacht.

Bis 84 voll im Trubel und dann plötzlich Stille? «Haushalt, Familie, Freunde, Kochen, Schreiben und Backen halten mich auf Trab. Vergangenes Jahr habe ich noch 25 Kilogramm Weihnachtsguetzli gebacken», sagt Gisler und erzählt, dass er daneben auch den Kontakt zu seinen ehemaligen Vorstandskollegen pflege. Auf die Zukunft angesprochen, sagt er nur: «Vorwärts lüegä und eppä äinisch zfriidä si.»

«Als Bäcker verstehe ich wohl mehr von richtigem Mehl als von Sägemehl. Ich kann ja nicht einmal einen Nagel einschlagen.»

beb

Veröffentlichung: 22. November 2018 / Ausgabe 47/2018

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