Glasklare Voraussetzungen

Bild: Sigab

Sicherheit.  Die Sigab-Richtlinie 002 dient als Orientierungshilfe beim Einsatz von Sicherheitsglas in Bauprojekten. Als unverbindliche Empfehlung beantwortet sie Fragen zur technischen Umsetzung von Glaskonstruktionen mit dem Ziel der Gefahrenminimierung.

Das Schweizerische Institut für Glas am Bau (Sigab) und die Interessengemeinschaft privater und professioneller Bauherren (IPB) haben die wichtigsten Fragen zur Sigab-Richtlinie 002 (SR 002) zusammengetragen und beantwortet. Die SR 002 wurde 2017 herausgegeben.

Was ist der Zweck der Richtlinie?

Die Verwendung von Glas als Baumaterial wird immer beliebter und komplexer. Die SR 002 befasst sich mit Einsatzmöglichkeiten von Sicherheitsglas bei der Errichtung von Glasbauteilen. Die Richtlinie enthält unverbindliche Empfehlungen, wann und wo die Verwendung von Sicherheitsglas sinnvoll ist, um Gefahren zu minimieren.

Grundsätzlich legen Vertragsparteien für jedes Projekt individuell fest, welche Anforderungen an die verwendeten Bauteile zu stellen sind. Die Sicherheitsanforderungen betreffen unter anderem die Einbruch-, Rutsch-, Absturz- oder Verletzungshemmung. Neben der Verordnung über die Unfallverhütung können Kantone und Gemeinden weitere Regeln aufstellen. Für die Ausgestaltung von Verträgen geben verschiedene Branchen ausserdem Orientierungshilfen heraus. In diesem Sinne ist auch die SR 002 eine Orientierungshilfe.

Was ist die Rechtsnatur der SR 002?

Die SR 002 hat einen empfehlenden Charakter und gilt grundsätzlich als technische Spezifikation von Normen und Regelungen. Als solche ist sie unverbindlich, solange sie nicht durch eine gesetzliche Anordnung, eine Verordnung oder einen Akt des Bauherrn für ein spezifisches Projekt als verbindlich erklärt wird. Das Sigab ist der Auffassung, dass die SR 002 dem Stand der Technik entspricht. Derzeit ist jedoch noch offen, ob ihr Inhalt ganz oder teilweise als «anerkannte Regeln der Baukunde» gilt. Die IPB unterstreicht der Vollständigkeit halber, dass es bisher keine Behörden- oder Gerichtspraxis gibt, wonach die SR 002 oder einzelne Inhalte davon «anerkannte Regeln der Baukunde» wären.

In welchem Fall sollte der Bauherr die Richtlinien beiziehen?

Sofern keine behördlichen Auflagen bestehen, kann der Bauherr frei entscheiden, ob die Richtlinien im jeweiligen Bauvorhaben als Vertragsbestandteil in den Werkvertrag einbezogen werden. Dabei sollte er seine konkreten Anforderungen an Sicherheitsglas sowie die Auswirkungen auf die Baukosten berücksichtigen.

In welchem Verhältnis steht die SR 002 zu den europäischen Richtlinien?

Die schweizerischen Baunormen wie die SR 002 oder auch die SIA-Normen orientieren sich an den entsprechenden europäischen Normen. Gemäss SIA-Normen 331 «Fenster und Fenstertüren», 343 «Türen und Tore» und 329 «Vorhangfassaden» sollen Sicherheitsgläser eingebaut werden, wenn es das Risiko verlangt. Dieses Risiko wird im internationalen Vergleich unterschiedlich bewertet. Die SR 002 lehnt sich an Regelungen in den Nachbarländern an, jedoch sind die Richtlinien in der Schweiz betreffend Sicherheitsglas auf eine freiwillige Anwendung ausgerichtet.

Können Bauherren eine Verglasung zurückweisen, wenn sie nicht den Anforderungen der SR 002 entspricht?

In den meisten Werkverträgen wird nicht auf die Empfehlungen der SR 002 verwiesen. Ohne expliziten Einbezug der Richtlinien sind diese kein Vertragsbestandteil. In diesem Fall kann der Bauherr die Annahme nicht verweigern.

Wurde die Anwendung der SR 002 vom Bauherrn gewünscht und vertraglich vereinbart oder von einer befugten öffentlichen Stelle vorgeschrieben, so ist die SR 002 verbindlicher Vertragsbestandteil und daher anzuwenden. Entspricht die eingebaute Verglasung dann nicht der Vereinbarung, kann der Bauherr die Annahme verweigern.

Welche Auswirkungen hat die Richtlinie auf die Schweizer Fassadenbranche?

Richtlinien und Empfehlungen können einen positiven Einfluss haben auf die Qualität eines Produktes. Gleichzeitig ist der Hang zu einer möglichst detaillierten Regelung oft kostentreibend und deshalb volkswirtschaftlich grundsätzlich nicht erwünscht. Die Vertragsparteien müssen sich jeweils vor Vertragsabschluss überlegen, ob Verglasungen bei einem bestimmten Projekt tatsächlich ein Verletzungsrisiko darstellen und somit der Beizug der SR 002 für ein konkretes Projekt notwendig ist.

Je nach Situation kann die Sicherheit von Verglasungen auch durch andere Massnahmen wie beispielsweise eine kleinteilige Fenstergliederung erreicht werden.

Wie kann ein Unternehmen seine Sorgfaltspflicht hinsichtlich der angemessenen Glasqualitäten wahrnehmen?

Planer und Unternehmer sind gehalten, die Verletzungsgefahr bei der Verwendung von Glas beim Bau zu prüfen und den Bauherrn entsprechend zu informieren. Die SR 002 kann dabei als Planungswerkzeug dienen. Die involvierten Parteien sollen im Einzelfall mögliche Gefahren identifizieren und entsprechend entscheiden, ob die Richtlinien bei einem konkreten Projekt als verbindlich oder auch als unverbindliche Orientierung einbezogen werden sollen. Der Entscheid muss für jedes Projekt individuell und unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren gefällt werden.

Muss der Unternehmer haften, wenn der Bauherr trotz Empfehlung kein Sicherheitsglas akzeptiert?

Das ist eine juristische Frage, die nur im konkreten Einzelfall entschieden werden kann. Grundsätzlich ist bei einem Haftungsanspruch eines Dritten gegenüber dem Planer oder dem Unternehmer eine Akzeptanz des Bauherrn unerheblich. Ein vertraglicher Anspruch des Bauherrn gegenüber dem Planer oder dem Unternehmer hingegen entfällt durch seinen Verzichtsentscheid.

Im Einzelfall kann eine Risikoanalyse haftungsmindernd sein für alle involvierten Parteien. Der Entscheid darüber obliegt jedoch dem Bauherrn und ist bei jedem Projekt individuell zu treffen.

Und zum Abschluss noch eine technische Frage: Wie genau ist die in der SR 002 festgehaltene 1-Meter-Regel in der Praxis umzusetzen?

Der gedankliche Meterriss zur Anwendung von Sicherheitsglas ist als Vereinfachung für alle am Bau Beteiligten gedacht. In der SR 002 heisst es dazu: «Für Verglasungen mit Glas unterhalb der Mindesthöhe von einem Meter ab begehbarer Fläche ist aus Gründen des Personenschutzes angriffsseitig Sicherheitsglas anzuordnen. Je nach Zugänglichkeit ist dies beidseitig sicherzustellen, so beispielsweise bei EG-, Balkon- oder Terrassenverglasungen.»

Als Referenzpunkt für die 1-Meter-Regel zu Sicherheitsglas gilt das Glaslicht beziehungsweise die Oberkante der Glasfalzleiste. Bei besonderen Einbausituationen wie beispielsweise einem breiten Sims sind die beteiligten Parteien gefordert, über die Auslegung der Regel einen praxistauglichen Entscheid zu treffen.

Sigab und Ipb

Sigab ist die Abkürzung für Schweizerisches Institut für Glas am Bau. Als neutrale Fachstelle hat das Sigab zum Ziel, die fachgerechte und sinnvolle Verwendung von Glas am Bau zu fördern. Die Stiftung mit Sitz im zürcherischen Schlieren erstellt Expertisen, veröffentlicht Fachartikel und erlässt Richtlinien im Zusammenhang mit Glas am Bau.

IPB steht für Interessengemeinschaft privater und professioneller Bauherren. Sie vertritt deren Anliegen gegenüber Dienstleistern, Fachverbänden, Behörden und anderen Organisationen. Die Hauptziele des Vereins mit Sitz in Winterthur ZH sind die Mitwirkung bei Verordnungen, Normen und Richtlinien, die Professionalisierung bei Bau- und Immobilienfragen sowie die Weiterbildung der Mitgliedsfirmen. Zentral ist die Weiterentwicklung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Immobilienwirtschaft.

Sigab und IPB haben keine direkte Verbindung miteinander, wohl aber diverse Berührungspunkte.

www.sigab.ch

www.ipb-online.ch

 

Monika Hurni

Veröffentlichung: 27. August 2020 / Ausgabe 35/2020

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