Grenzenlose Freiheit

Der 63-jährige Daniel Salzmann segelte fünf Mal über den Atlantik und baute zehn Boote. Bild: Caroline Schneider

Wer an Rudersport denkt, der denkt in der Regel an die warme Jahreszeit. Nicht so Daniel Salzmann. Er ist auch im Winter regelmässig mit dem Kajak unterwegs. «In der kalten Jahreszeit hat es keinen Motorbootverkehr. Ich geniesse diese Stille auf dem Wasser.» Auch das Segeln liegt ihm in den Genen. Vor 40 Jahren überquerte er zusammen mit seinem Vater den Atlantik. Für die Überfahrt brauchten sie 30 Tage. Zurück segelte der damals 23-Jährige alleine – 22 Tage lang auf hoher See. Da er bloss eine Autobatterie hatte, segelte er ohne Licht. «Ich musste achtgeben, dass ich den gros-sen Frachtern ausweichen konnte.» Damit er ein paar Augenblicke zu Schlaf kam, hatte er sich einen Wecker gestellt, der ihn alle zehn Minuten aufweckte. Später geriet er in einen heftigen Sturm. Der Wind blies weit über 100 km/h, die 15 Meter hohen Wellen waren für seine kleine Nussschale eine Wucht. Er band sich im Cockpit fest und segelte 50 Stunden durch den Sturm. Für Schlaf und Essen blieb keine Zeit. Nachts war es bitterkalt, tagsüber verbrannte ihm die Sonne das Gesicht. «Damals segelte man noch ohne GPS, man navigierte mit dem Sextanten. Keine Sonne bedeutete keine Position.» Rückblickend sagt Salzmann: «Ich hatte schon seit jeher eine gute Kondition und einen starken Willen. Dieser Sturm hat mir gezeigt, was der Mensch alles aushält und dass die Grenzen weit höher liegen, als man denkt. Man kann immer noch, auch wenn man schon lange nicht mehr will.» Das waren Grenzerfahrungen, die seinen Blick auf die Welt und sich selbst schärften.

Salzmann will die Intensität des Lebens mitsamt allen Emotionen spüren. «Ich muss mich bewegen, sonst stehe ich geistig still.» Der Ozean hat den heute 63-Jährigen immer wieder gerufen. Mit seiner Exfrau war er zweieinhalb Jahre mit dem Schiff unterwegs. Vom Mittelmeer in die Karibik, die US-Ostküste hoch nach New York, durch den Hudson River bis zu den grossen Seen. Was ihn am meisten beim Segeln fasziniert, ist die Tatsache, dass man nur mit den Naturkräften unterwegs ist. «Die Passatwinde und die Strömungen tragen dich von Ost nach West, die Westwinde wieder zurück.» Was ihn weiter antreibt: «Unsere Gesellschaft versinkt in der Komfortzone. Auf dem Meer und in den Bergen musst du etwas können, um zu überleben. Ich suche diese Herausforderungen ganz bewusst.» Er habe sein ganzes Leben lang auf dem finanziellen Niveau eines Studenten gelebt. Dafür umso freier und reich an Erlebnissen. Er sei dankbar, dass er sich für diesen Lebensstil entschieden und all das getan habe, worauf er Lust verspürte. So hat er es auch im Berufsleben gehalten. Eigentlich ausgebildeter Lehrer, arbeitete er eine Weile in einer Schreinerei und richtete sich vor 20 Jahren eine eigene Werkstatt ein. Zehn Boote sind hier unter seinen Händen entstanden. Da-runter Kajaks, Segelboote und ein Trimaran – ein Boot mir drei Rümpfen. «Der Bau des Trimarans war die grösste Baustelle meines Lebens.» Dank dem handwerklichen Geschick und Durchhaltewillen wurde er nach 2000 Stunden fertig.

Vor drei Jahren reiste er zum letzten Mal mit einem uralten Segelboot, einem Kollegen und seinem Sohn über den Atlantik. «Vor der Abreise haben wir die wichtigsten Teile repariert, haben es aber nicht geschafft, das Segelschiff ganz dicht zu machen. Jeden Tag mussten wir zwei Mal Wasser schöpfen. Mein Kollege lag oft seekrank in der Kajüte. Ich war nebst Segler und Koch auch noch Krankenpfleger», sagt er und schmunzelt. Doch er ist überzeugt: «Die Menschen sollen nicht Materielles, sondern Erlebnisse sammeln. Diese greifen tiefer und sind nachhaltiger.»

«Die Menschen sollen Erlebnisse sammeln, nicht Material.»

Caroline Schneider

Veröffentlichung: 10. Februar 2022 / Ausgabe 6/2022

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