«Handwerk ist Gold wert»

Malaika Joss (26) arbeitet an einer Holzbühne vor dem Zürcher Grossmünster. Bild: Caroline Mohnke

Leute. «Mein Wecker läutet jeden Morgen um 6.26 Uhr», sagt die 26-jährige Schreinerin Malaika Joss auf der Baustelle vor dem Grossmünster in Zürich und lacht. Irgendwann habe sie angefangen, ihren Wecker auf ungerade Zeiten zu stellen. Das komme ihr dann nicht so früh vor.

«Unser Vater hatte eine Gartenbaufirma. In den Ferien halfen wir ab und zu im Betrieb gegen einen Batzen beim Jäten, Lauben und anderen Sachen», erzählt Joss, die mit drei Schwestern in Zürich aufgewachsen ist, und fügt an: «Wir hatten nicht viele Spielsachen und bastelten viel selbst.» Die Mittwochnachmittage verbrachten sie meist draussen und bauten Hütten aus Restmaterial von Vaters Baustellen. «Wir knüpften oft Armbänder und zeichneten viel», erinnert sie sich. «Nach dem zehnten Schuljahr begann ich eine Lehre als Kauffrau, diese brach ich jedoch schnell wieder ab.» Danach arbeitete sie im Gartenbau und machte noch weitere Schnupperlehren. Beim Schnuppern als Korb- und Flechtwerkgestalterin habe es ihr regelrecht den Ärmel reingezogen. Während der dreijährigen Lehrzeit bekam sie auch Gelegenheit, in der hauseigenen Schreinerei mitzuhelfen. «Ich absolvierte noch eine zweite Lehre als Schreinerin mit der Idee, die beiden Berufe irgendwann miteinander zu verbinden. Heute arbeitet sie in der Altstadt-Schreinerei Nussbaumer in Zürich und mietet sich meistens einen Tag in Basel ein, wo eine Freundin eine Flechtwerkstatt hat. «Je nach Auftrag flechte ich im Garten meiner Eltern, da habe ich mich ein wenig werkstattmässig eingerichtet.»

«Du musst deinen Kopf immer bei der Sache haben; wir arbeiten millimetergenau, da darf nichts schiefgehen.»

Auf die Frage nach den grössten Herausforderungen im Schreinerberuf antwortet sie: «Du musst deinen Kopf immer bei der Sache haben; wir arbeiten millimetergenau, da darf nichts schiefgehen.» Sie empfinde es ab und zu herausfordernd, als Frau auf Baustellen zu sein, und habe manchmal das Gefühl, sie müsse sich stärker beweisen als ihre männlichen Berufskollegen. Obwohl sie genau gleich gut qualifiziert sei. «Es kommt oft vor, dass ein männlicher Kollege mir Sachen aus der Hand nimmt und hochträgt», erzählt sie. «Das ist sicherlich nur gut gemeint, doch es gibt mir das Gefühl, dass ich schwächer sei als meine Berufskollegen.» Joss ist Mitglied im Verein «Finta* – gemeinsam bauen wir neu» im Bau- und Handwerksbereich. Finta* steht für Frauen, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgeschlechtliche und agender Personen. «Wir organisieren Workshops, Werkzeug-Flohmärkte, Stammtische, handwerkliche Selbstermächtigungskurse, Austauschnachmittage und vieles mehr.» Es sei schön, zu sehen, wie viele Finta*-Personen auch gerne bauen oder etwas mit den Händen gestalten. Obwohl die Vereinstätigkeit bei Finta* viel Zeit beansprucht, engagiert sie sich auch andernorts: «Vor Kurzem gründeten wir ‹Scorpio Zürich›, einen Ableger von ‹Scorpio Basel›.» Das sei eine Lernendenbewegung, die sich für bessere Bedingungen in der Lehre einsetzt.

Malaika Joss würde jederzeit wieder einen handwerklichen Beruf wählen: «Mir gefällt, dass ich am Abend sehe, was ich gemacht habe und was entstanden ist. Dabei kann ich auch viele eigene Ideen umsetzen, nach Gesprächen mit der Kundschaft.» Und sie fände auf der ganzen Welt Arbeit, denn Handwerk sei immer gefragt und sozusagen Gold wert. Ausgleich findet sie auf dem Vitaparcours und beim Stricken und Häkeln von Mützen, Pullis oder T-Shirts. Ausserdem möchte sie Italienisch lernen. Und ja, als ehemalige Pfadi geht sie auch immer wieder in den Lagern in der Küche oder beim Aufbau zur Hand.

 

Caroline Mohnke

Veröffentlichung: 16. Juni 2025 / Ausgabe 24/2025

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