Hüttengeschichten einer Schreinerin

Weil Sophie Voutaz (34) während ihres Mutter-schaftsurlaubs die Kündigung erhielt, ist sie nun sechs Monate im Jahr als Hüttenwartin tätig. Bild: Isabel Hempen

Nach einem dreieinhalbstündigen Aufstieg ist es endlich geschafft, die Cabane de Chanrion ist erreicht. Dies vom Startpunkt in Mauvoisin im Unterwalliser Val de Bagnes aus, von wo es durch historische Stollen hoch zum gleichnamigen Stausee und dann kontinuierlich weiter in die Höhe geht. Die SAC-Hütte liegt inmitten einer rauen, herrlichen Berglandschaft, abgelegen auf 2462 Metern über Meer. Es sind nur wenige Kilometer Luftlinie bis zur italienischen Grenze. In der modernen Cabane werden die Wanderer von einer anheimelnden Wärme empfangen. Und von Sophie Voutaz, die die Hütte gemeinsam mit ihrem Mann Olivier wartet. In ihren Armen hält sie den einjährigen Emile, der dreijährige Max tollt im Restaurantbereich zwischen den Gästen herum. «Habt ihr gut hergefunden?», fragt Sophie Voutaz auf Französisch und bittet die Gäste, vor dem Einchecken doch erst einmal bei einem Getränk zu entspannen. Ihre offene, unkomplizierte Art macht sie sofort sympathisch. Während die Gäste ein Bier aus einer lokalen Kleinbrauerei probieren, hat die Hüttenwartin viel zu tun. Dennoch findet sie vor dem Abendessen etwas Zeit für ein Gespräch. «Die Arbeit hier oben ist sehr intensiv, ich arbeite derzeit 17 Stunden am Tag», erklärt sie. Seit Anfang des Jahres betreibt sie mit ihrer Familie die Hütte, die jeweils von März bis Mai und von Mitte Juni bis Mitte Oktober gewartet ist. «Es ist die ideale Arbeit, da ich auch meine Kinder bei mir habe», sagt Voutaz lächelnd, während der kleine Max neben ihr spielt.

Eine glückliche Fügung, denn eigentlich hatte die 34-Jährige ganz andere Pläne: Nach 13-jähriger Tätigkeit in einem Treuhandbüro begann sie im Alter von 29 Jahren eine Lehre als Schreinerin. Beim Umbau einer Scheune auf dem elterlichen Bauernhof hatte sie gemerkt, dass es das war, was sie eigentlich tun wollte: mit den Händen arbeiten. Gegen Ende ihrer Ausbildung lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen und wurde bald darauf schwanger. Im April 2019 brachte sie Max zur Welt, im Juni bestand sie ihre Abschlussprüfung als Schreinerin. Dann der Schock: Der Patron kündigte ihr, weil sie nicht Vollzeit arbeiten wollte. «Es war schrecklich», erinnert sich Voutaz. «Ich dachte, dass meine Schreinerkarriere damit beendet ist.» Es mache sie wütend, dass Frauen in der Arbeitswelt auch im Jahr 2021 noch benachteiligt seien, sagt sie. Doch aufgeben ist nicht ihr Ding. Ihr Mann hatte mehrere Saisons auf einer SAC-Hütte gearbeitet, und auch sie selber liebt die Berge. Also bewarben sich die beiden beim SAC spontan für verschiedene Hütten. Und hatten Glück: Die Cabane de Chanrion sollte demnächst renoviert werden und danach neue Hüttenwarte erhalten. Die Familie, die bald zu viert sein würde, erhielt den Zuschlag. «Es ist wichtig, das zu tun, was man liebt», sagt die zupackende Frau überzeugt. Und manchmal müsse man dafür eben auch ein Risiko eingehen. Voutaz ist da, wo sie sein will. Jetzt, wo die Bergsaison vorbei ist, widmet sie sich mehr ihren Kindern – und sie will sich mit selbst kreierten Möbeln als Schreinerin selbstständig machen.

Wenn die Kinder grösser sind, werden ihr Mann und sie sich abwechseln – jemand von ihnen ist dann auf der Hütte, jemand mit den Kindern unten im Tal, zu Hause in Sembrancher VS. «Wir wollen diesen Job langfristig machen», sagt Voutaz – und muss zurück in die Küche, es gibt bald Abendessen.

«Die Arbeit hier oben ist sehr intensiv, ich arbeite derzeit 17 Stunden am Tag.»

Isabel Hempen

Veröffentlichung: 11. November 2021 / Ausgabe 46/2021

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