Im Epizentrum des Holzbaus

Immer wieder anders: Beim Begehen bieten sich immer neue Perspektiven im skulpturalen Treppenhaus von Blumer Lehmann. Bild: Christian Härtel

Stammhaus Blumer Lehmann.  Mit dem neuen Empfangs- und Bürogebäude in Gossau SG setzt die Blumer-Lehmann AG wieder einmal Massstäbe. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht das Atrium mit Treppe, dessen Konstruktion, Fertigung und Passgenauigkeit für Staunen sorgt.

Wenn man sich dem Erlenhof und dem Gelände der Blumer-Lehmann AG in Gossau SG nähert, sticht einem das neue Gebäude, das Stammhaus, ins Auge. Gebaut wird eigentlich ständig beim Unternehmen, auch neben dem nun fertigen Neubau sind weitere Produktionskapazitäten entstanden. Doch das kubisch anmutende Stammhaus ist anders. Der äusserlich eher schlichte, mit Holzlamellen beschattete Büro- und Empfangsbau lässt zunächst gar nichts grundlegend Neues oder Besonderes vermuten. Durchaus erwähnenswert ist der Aussenbereich der im Erdgeschoss untergebrachten Cafeteria. Wohl kaum ein Holzbaubetrieb hat einen solch einladenden Platz zum Verweilen, Entspannen und der Begegnung mit den Kolleginnen und Kollegen. «Das Stammhaus wird ein lebendiger Ort sein, an dem Ideen entstehen und gedeihen und der damit den Geist unseres Unternehmens verkörpert», wünscht sich Bauherrin Katharina Lehmann, CEO des Unternehmens. Und in der Tat hat dieser Holzbau das Potenzial dazu. Gegenüber der Cafeteria, auf der anderen Stirnseite des länglichen in Skelett-Bauweise errichteten Gebäudes, befindet sich der Haupteingang. Der Blick fällt beim Betreten auf eine Skulptur, die auch das Treppenhaus und noch viel mehr ein Atrium ist. Denn Licht durchströmt die imposant anmutende hölzige Treppenanlage mit ihren dreidimensional gekrümmten Flächensegmenten. Schnell ist klar: Wer hier mit Holz gebaut hat, der versteht sein Handwerk.

Holzbau hat den Bogen raus

Die Treppenanlage besteht aus flächig gekrümmtem Brettsperrholz, dem Cross Laminated Timber, kurz CLT. Zwei Radien reichen aus, um den Eindruck einer Freiform mit den Ringsegmenten zu erzeugen. Entworfen von K&L Architekten aus St.Gallen wurde die Treppenanlage gemeinsam mit dem Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) der Universität Stuttgart (D) entwickelt. «Das Ergebnis verbindet computerbasierte Planungsmethoden, digitale Fertigung und handwerkliche Holzbaukunst zu einer architektonischen Synthese und macht die zukunftsweisenden Möglichkeiten des traditionellen Werkstoffs Holz räumlich erlebbar», beschreibt Blumer Lehmann den Anspruch.

Die geschwungene Atriumtreppe durchdringt die fünf Stockwerke nicht nur zur Erschliessung, sondern bietet durch die besondere Konstruktion auf den Ebenen auch Nischen zum Verweilen mit unterschiedlichen Ein- uns Ausblicken. So wird ein Treppenhaus zum Begegnungselement der Architektur.

Die gekrümmten Wandelemente aus den kreuzweise gebogenen und verleimten Massivholzplatten aus eigener Produktion übernehmen eine tragende Funktion. Die äusseren Wände folgen einem Radius von drei Metern. Dank dieser Krümmung und des segmentweisen Zusammenfügens erreicht die Struktur eine hohe Steifigkeit mit einer Wandstärke von 130 Millimetern. Die tragende innere Wange der Treppe ist sogar nur 90 Millimeter stark.

Neue Fertigung in den Startlöchern

Hergestellt sollen solche besonderen CLT-Elemente künftig in der ebenfalls neuen Produktionshalle gleich neben dem Stammhaus werden. Dieses ist über eine Passerelle im zweiten Obergeschoss mit der Produktionshalle verbunden. Selbstredend stellen gekrümmte Brettsperrholzelemente die Ausnahme dar; mit den für die Produktion eingesetzten Vakuumpressen lassen sich aber neben flachen Tafeln auch gebogene Formen realisieren.

Die Feuertaufe der eigenen Produktion von CLT ist mit den gekrümmten Elementen für die Atriumtreppe gelungen. Die Herausforderung liegt dabei aber nicht nur bei der Planung und Herstellung der Bauteile. Die Exaktheit der ausgeführten Geometrie der Teile und deren Verbindungen mit vielen Tausend Bohrungen in unterschiedlichen Winkeln lässt einen staunen. Und dann alle Teile mit unterschiedlich geneigten Fugen über fünf Geschosse zu montieren, sodass die Stösse der gebogenen Platten exakt zusammenpassen, ist ausserdem eine besondere Leistung.

Damit das gelingen konnte, war die Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Institut ein wesentlicher Faktor. Bereits in der Vergangenheit hatte man kooperiert. Nun konnten die Wissenschaftler durch Entwurf und Detaillierung der computergestützten Planungs- und Fertigungsmethoden für die gekrümmten Holzbauteile die Prozesse weiterentwickeln. Blumer Lehmann hat das Atriumdesign technisch und baulich realisiert. Die gekrümmten Platten wurden mit Holz aus dem eigenen Sägewerk in Eigenregie gefertigt. Nun geht es daran, das Produkt, ein CLT curved, für eine internationale Zulassung weiterzuentwickeln.

Viel Platz für gute Arbeit

Die Organisation im Inneren des Gebäudes ist von der Anordnung der Büros entlang der Aussenfassade geprägt. Besprechnungs- und Rückzugsräume, die zahlreich vorhanden sind, sowie die Teeküchen und Garderobennischen gruppieren sich um den Erschliessungskern herum. Optisch sind diese markant durch eine grün gebeizte Vertäfelung in Tanne abgegrenzt. Der Kontrast mit dem naturbelassenen Holz der Konstruktion und der Akustikdecke wertet beide Ausführungen auf. Das tannenartige Grün macht das natürliche Holz noch wohnlicher. 180 Büroarbeitsplätze sind so in angenehmer Umgebung entstanden. Und immer wieder tauchen in den Fluren der Geschosse Mitarbeitende in Arbeitskleidung auf. Der Ort der Begegnung und des Austausches scheint real zu sein. Auch die Sitzungs- und Besprechungsräume sind gut ausgelastet. In einer Telefonnische lassen sich dann doch noch die besonderen Decken begutachten. Denn diese sind wie einige Wände auch aus Lehm und dienen als thermischer Speicher. Wasserführende Rohrleitungen sorgen für eine Kühlung über die Flächen.

Überhaupt hat man sich auch für die Lösung funktionaler Ansprüche wie Akustik und Klima viel Mühe gemacht, um nicht dem Irrtum komplexer, energieintensiver und oft nur bedingt funktionsfähiger Hightech-Lösungen auf den Leim zu gehen. Stattdessen Lowtech mit Beschattung, Wasser, Lehm und Luftzirkulation. Warme Luft soll über das Atrium entweichen, automatisierte Fenster sorgen für Frischluft und Nachtauskühlung. Am Tag können alle Büroflächen indiviudell und manuell über die Fenster gelüftet werden. Die wasserführenden Lehmdecken zur Kühlung in den innen liegenden Besprechungsräumen werden durch Kälte aus dem Erdreich gespeist, erklären die Architekten.

Schatten wie bei einem Holzstapel

Das Gebäude ist auf drei Seiten mit Balkonen versehen. Die vertikalen Lisenen sorgen für den Sonnenschutz der Fensterbänder und verhindern eine Blendung der Personen an den Arbeitsplätzen. Auf der vierten Seite zum Werkhof nach Südwesten hin fällt mehr Sonne ein. Dort wurde die Fassade mit horizontalen Lamellen ergänzt, deren Abstand vor den Fenstern grösser ist. Zwischen den horizontalen Hölzern sind sogenannte Spriegel angebracht, 10 000 an der Zahl. Diese stellen die in regelmässigen Abständen aufgelegten Latten dar, die als Stapelleisten zwischen den Brettlagen dienen. Damit erinnert die Fassade an das Bild der nebenan im Sägewerk zum Trocknen aufgehölzelten Brettstapel. «Die Ästhetik der Fassade mit dem Holzschutz zu vereinbaren, war eine Herausforderung», teilt Blumer Lehmann der Presse mit.

Ebenfalls besonders zeigt sich der Himmel über dem Treppengebilde im Atrium. Damit möglichst viel Tageslicht einfällt, hat man den Abschluss als rundes Oberlicht mit einem Durchmesser von 8500 Millimetern umgesetzt. Den Abschluss bildet die Leichtkonstruktion eines ETFE-Folienkissens. Dadurch entfaltet die Treppenskulptur mit den exakt gestossenen gekrümmten Elementen und der fast willkürlich scheinenden Abfolge der Gratlinien erst ihre Wirkung. Die Blicke nach oben wie nach unten bieten so unendliche Perspektiven inmitten von Holz.

www.blumer-lehmann.comwww.kl-architekten.ch

Christian Härtel

Veröffentlichung: 08. Mai 2025 / Ausgabe 19/2025

Artikel zum Thema

15. Mai 2025

Mit Augenmass und Punktwolken

Treppenplanung.  Bei der Firma Treppenbau.ch aus Ganterschwil SG ist der Name Programm. Die Projektleiter Stefan Rüegg und Adrian Scherrer waren für zwei preisgekrönte Vorhaben zuständig. Sie erzählen, was eine gute Treppe ausmacht und wie sie planerisch vorgehen.

mehr
15. Mai 2025

Was leicht wirkt, ist oft schwierig

Treppenplanung.  Um ihren neuen Bürotrakt zu erschliessen, realisierte die Vogel Design AG in Ruswil LU eine Podesttreppe, die sich auf halber Höhe teilt. Die erste Idee dazu hatten Innenarchitekturstudierende der Hochschule Luzern.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Treppen