Mit Augenmass und Punktwolken

Das länglich-ovale Treppenhaus mit ständig ändernden Winkeln forderte die Treppenplaner besonders heraus. Bild: Stefan Rüegg (Treppenbau.ch)

Treppenplanung.  Bei der Firma Treppenbau.ch aus Ganterschwil SG ist der Name Programm. Die Projektleiter Stefan Rüegg und Adrian Scherrer waren für zwei preisgekrönte Vorhaben zuständig. Sie erzählen, was eine gute Treppe ausmacht und wie sie planerisch vorgehen.

Schreinerzeitung: Wie wichtig ist Planung im Treppenbau?
Adrian Scherrer: Es kommt darauf an, was man unter Planung versteht. Die rein technische Planung mit CAD ist da meist nur ein kleiner Teil davon – nebst den vielen E-Mails, die einen im Vorfeld beschäftigen. Es ist natürlich auch von Projekt zu Projekt, von Kunde zu Kunde verschieden. Es gibt durchdachte Projekte, die zum Beispiel von einem Architekten so weit ausgearbeitet worden sind, dass uns nur noch das rein technische Umsetzen bleibt. Dann gibt es auch Fälle, bei denen die Kundschaft zu uns kommt, uns sagt: «Ich will von hier unten nach da oben.» Mehr weiss sie nicht.
Und in diesem Fall?
Scherrer: Dann müssen wir uns die Gegebenheiten anschauen. Und dafür sorgen, dass wir eine Treppe einbauen, welche die Wünsche der Kundschaft und die Begebenheit vor Ort berücksichtigt. Bei der Begehung vor Ort sehen wir dann: «Ah, da hat es ja noch einen Pfosten und hier eine Steckdose, und die Lampe hier soll auch noch bleiben.» Das kann unter Umständen schon recht aufwendig werden.
Beim Projekt von Pirmin Jung war das ja nicht das Problem, da ja alles in einem digitalen Modell erfasst und abgebildet wurde.
Scherrer: Ja, das war speziell. Das Projekt ist eine Art Experiment, weil das ganze Gebäude bis ins kleinste Detail digital erfasst wurde. Bei jedem Gebäudeteil ist der Planungsprozess erfasst, und es kann nachverfolgt werden, warum etwas nun so oder so gelöst wurde. Bei der Treppe lief es nicht ganz genau so; denn der Treppenbau wird von den Architekten gerne als etwas Separates und als Herzensprojekt angesehen. Meine Ausganglage war daher letztlich eine rohe Vorplanung, anhand derer musste ich dann schauen, dass es aufgeht. Was doch anspruchsvoll war, denn die Treppe wendelt sich ohne zwischenliegendes Auflager weit über 360 Grad. Die Herausforderung war letztlich, dass sich beim Hinaufgehen niemand oben irgendwo den Kopf stösst. Dies sieht einfacher aus, als es ist. Ich habe da einige Varianten modelliert ...
Stefan Rüegg: ... Aber du musstest die Varianten nicht alle ins BIM-Modell einspeisen?
Scherrer: Nein, das machte ich dann erst mit den letzten Versionen, da sie das Modell komplett haben wollten. Für mich war es eine tolle Erfahrung.
Rüegg: Du warst nie vor Ort, um zu messen?
Scherrer: Doch, doch. Ich war zu Beginn schon vor Ort, um zu messen. Obwohl die Ausgangslage hier wirklich sehr gut war, da ich auch die Pläne der Bodenelemente des Holzbauers im Modell anschauen konnte. Dennoch: Wir bauen ja kaum eine Treppe ohne Messung und Augenschein vor Ort. Oder hattest du jemals so einen Fall?
Rüegg: Ohne Laserscanner vor Ort? Kaum. Als Notlösung kann das vielleicht einmal vorkommen. Dann hat es aber meist mit Zeitdruck zu tun. Eigentlich wollen wir ja erst messen, wenn der Bau möglichst weit fortgeschritten ist, doch manchmal heisst es eben: «Nein, ihr müsst die Treppe jetzt schon anhand eines 3D-Modells in Angriff nehmen.»
Das Risiko lässt sich eingehen?
Rüegg: Wenn da Zimmerleute am Werk sind, deren Elemente auch exakt in 3D geplant und CNC-gefräst sind, dann können wir das Risiko eher eingehen. Das müssen wir jeweils abschätzen. Aber gerade im Fall der Treppe im Haus Beuge in Näfels ging das natürlich nicht.
Das war Ihr Projekt?
Rüegg: Ja, da war ich für die Planung zuständig. Die neue Treppe nimmt den Platz ein zwischen der seit dem 14. Jahrhundert gewachsenen Substanz zweier Türme. Für die neue Erschliessung mit Treppe und Lift musste in diesem Zwischenraum ein kleiner Teil der historischen Substanz geopfert werden. Die besondere Schwierigkeit war, dass die Öffnung für die Treppen nicht rechteckig oder kreisrund war, sondern elliptisch. Die Geschosse wurden für die Übergänge teilweise mit Beton ergänzt, die ebenfalls elliptisch sein sollten. So sind wir nicht darum herumgekommen, mit einem Laserscanner eine Punktwolke zu machen, um die Situation in 3D über alle Geschosse abzubilden. Seit einigen Jahren ist das bei uns quasi Standard.
Machen Sie die Scans selbst?
Rüegg: Ja, wir haben uns selbst ein Gerät angeschafft.
Scherrer: Dank dem Laserscan mit Punktwolke nehmen wir quasi die Baustelle mit nach Hause. Das ist für mich immer wieder faszinierend, und es hilft auch in der Kommunikation mit anderen am Projekt beteiligten Personen, etwa wenn Fragen auftauchen, weil es noch Beleuchtungsspots in der Wand geben soll und so weiter.
Rüegg: Es kommt auch immer wieder vor, dass ein Zimmermann oder ein Architekt noch schnell ein Referenzmass benötigt. Da sind unsere Punktwolken jeweils sehr hilfreich.
Sie können also dank der Punktwolke alle Details einer Treppe haargenau planen?
Scherrer: Von den Abermillionen an Punkten in der Wolke benötigen wir für die Planung einer Treppe letztendlich lediglich einen Bruchteil. Doch dank dem Scan kennen wir nicht nur die für die Planung benötigten Masse, sondern wir haben eben auch einen ganzheitlichen Überblick und können Details der Gegebenheiten vor Ort in unsere Arbeit einbeziehen. Wo hat es einen Absatz? Wo steht eine Dreischichtplatte vor? Um nur zwei Beispiele zu nennen.
Ein wichtiges Mass für die Planung ist das Trittverhältnis. Doch wenn man dann anhand der Stockwerkhöhe die Anzahl Tritte ausrechnet, geht es ja kaum ohne Rest auf. Wie finden Sie den Kompromiss, ob man nun einen Tritt mehr oder weniger macht?
Rüegg: Diesen Kompromiss zu finden, ist unser tägliches Brot. Vereinfacht gesagt, brauchen wir Folgendes: Form und Grösse des Deckenlochs. Wie stark ist die Decke? Was ist die Geschosshöhe, und welche Form soll die Treppe letztlich haben? Unsere Treppensoftware errechnet dann einen ersten Entwurf mit, sagen wir mal, 15 Tritten, der dann aufgrund der Situation in die eine oder andere Richtung korrigiert wird.
Scherrer: Manchmal kommt es vor, dass der Zimmermann oder Architekt zwar ein Loch in die Decke eingeplant hat, es sich aber als zu klein erweist, um eine bequeme Treppe einzuplanen. Nun muss das Loch vergrössert werden. Das gibt halt ein gewisses Hin und Her in der Planung, was nicht allen Freude macht. Unser Ziel ist immer ein möglichst bequemes Überwinden der Höhe, ohne sich den Kopf anzustossen.
Ihre Prozesse sind weitestgehend digitalisiert. Wo passieren dennoch Fehler?
Rüegg: Bei der Massaufnahme gibt es gute und weniger gute Bedingungen. Was der Laserscanner beispielsweise gar nicht mag, sind Glasoberflächen, nasse Oberflächen, zu viel Staub in der Luft oder magnetische Felder ...
Scherrer: ... Oder Bahngeleise.
Rüegg: Wir hatten tatsächlich einmal ein Objekt, da gingen wir ein zweites und noch ein drittes Mal mit dem Scanner messen, und immer tauchten irgendwelche Fehlermeldungen auf, die wir uns nicht erklären konnten. Bis wir dann bemerkt haben, dass die Baustelle nur zehn Meter vom Bahntrassee entfernt war. Wir vermuten, dass dies den Scanner gestört hat.
Scherrer: Die Statik darf nicht unterschätzt werden. Hier liegen auch Fehlerquellen. Die Auflagen im Treppenbau gemäss SIA-Norm sind relativ hoch. Die Tragkraft muss pro Quadratmeter vier Kilonewton betragen, was heisst, dass im Extremfall auf jedem Tritt je zwei 80 Kilogramm schwere Personen stehen können müssen. Meine Erfahrung ist ausserdem, dass die meisten Fehler in der Kommunikation passieren. Ich war mir auch schon sicher – und das nach fünf Sitzungen –, dass der Handlauf aus Räuchereiche sein sollte, tatsächlich war es dann aber Eiche.
Rüegg: Das ist auch meine Erfahrung. In den heutigen Prozessen erreichen uns Rückmeldungen auf vielen Wegen: auf Plänen, per Mail, per Telefon, mündlich auf der Baustelle. Das alles zu bündeln und zu verarbeiten, ist eine Herausforderung.
Scherrer: Beim «Haus des Holzes» wollte man solche Fehlerquellen ausschalten und nur über die BIM-Plattform kommunizieren. Es gab sogar ein E-Mail-Verbot.
Was macht für Sie die Faszination des Treppenbaus aus?
Rüegg: Einerseits, dass es trotz Digitalisierung und modernster Maschinen immer wieder Projekte gibt, bei denen wir am Anfang nicht wissen, wie die Ausführung überhaupt machbar ist und wir deshalb Lösungen entwickeln müssen. Andererseits arbeiten wir im Treppenbau sehr häufig mit Massivholz, dem für mich schönsten und nachhaltigsten Werkstoff überhaupt.
Scherrer: Und ich bin halt der Geometrie-Fanatiker.

www.treppenbau.ch

Prix Lignum 2024

Ausgezeichnete Treppen

Die Firma Treppenbau.ch kam beim Prix Lignum 2024 gleich mit zwei ihrer Projekte in die Kränze, so in der Region Zentral die Wendeltreppe im «Haus des Holzes» von Pirmin Jung in Sursee (Bild auf nächster Seite). Sie verbindet den Empfangsbereich im Parterre mit den Büros im ersten Stock. Der Tresen setzt sich dabei nahtlos als Wange und Handlauf in der Treppe fort. Das als «raumbildende Skulptur» bezeichnete Werk entstand in einem Team aus Fachleuten aus Architektur, Ingenieurwesen und Handwerk und ist wie alles im «Haus des Holzes» in einem digitalen Zwilling abgebildet.

Ebenfalls ausgezeichnet hat die Jury in der Region Ost die neue Erschliessung im denkmalgeschützten Haus Beuge in Näfels GL (Bild links). Die Wendeltreppe verbindet Gebäudeteile aus unterschiedlichen Epochen und mit abweichenden Geschossebenen. Sie sei Problemlöserin und «gleichzeitig der handwerkliche Höhepunkt des Eingriffs», heisst es im Jury-Bericht.

www.prixlignum.ch

Stefan Hilzinger, hil

Veröffentlichung: 15. Mai 2025 / Ausgabe 19/2025

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