Im Fluss der Strukturen

Der 62-jährige Schreiner Ruedi Portmann schnitztseit über 40 Jahren Holzkunstwerke. Bild: Caroline Schneider

«Die Ideen für meine Holzskulpturen schenkt mir das Leben – genauer gesagt die Natur», erklärt Ruedi Portmann. Für diesen Beitrag wollte er ursprünglich gar nicht zur Verfügung stehen. Seine Objekte seien zu wenig gut, das könne jeder, hatte er im Vorfeld des Gespräches in seiner bescheidenen Art gesagt. Portmann steht inmitten seines kleinen Reichs, einer Garage, die er in eine Werkstatt umfunktioniert hat. Ausgerüstet mit einer Hobelbank, einer Fräse, einer Drechselbank und jeder erdenklichen Art von Holzschnitzwerkzeugen. Daneben zieht ein unvollendetes Werk die Aufmerksamkeit auf sich: eine aus einem Ast geschnitzte Waldohreule, die einer echten in nichts nachsteht. «Ein Kollege musste seine Linde fällen und fragte mich, ob ich etwas von dem Holz gebrauchen könne. Als ich die Krone der Linde sah, entdeckte ich darin mein nächstes Objekt.» Der Künstler streicht mit seiner Hand über die Ohren der Eule und erklärt, dass nun noch der Sockel aus geschnitzten Lindenblättern fehle. Unter einem der Blätter soll am Ende eine Maus schräg hinauf zur Eule blinzeln. Der 62-Jährige versucht, mit Arrangements aus mehreren Figuren Szenen zu kreieren. «Damit hauche ich meinen Objekten Leben ein.» Der Schreiner verfügt über ein differenziertes Vorstellungsvermögen. Bevor er eine Holzschnitzerei angeht, fertigt er Skizzen an, um seine Gedanken und Ideen zu visualisieren. Danach betrachtet er das Holz ganz genau, insbesondere dessen Strukturen.

«Ich spiele gerne mit den Strukturen. Wenn du gegen sie arbeitest, dann lebt das Objekt nicht.» Er zeigt auf ein anderes Kunstwerk, einen Ast, aus dem fünf Kerzen herausragen. «Die Strukturen verlaufen mit der Bewegung der Flamme. Dadurch erhält man den Eindruck, als ob die Flamme züngelt», sagt er.

«Holz ist einfach ein geniales Material. Es lebt und bewegt sich ständig.» Man spürt Portmanns Verbundenheit zu seinem erlernten Beruf. Er weiss viel über die verschiedenen Holzarten und deren Beschaffenheit. Präferenzen habe er nicht. «Jedes Holz hat seinen Reiz und seine Eigenheit und das macht es abwechslungsreich.» Portmann hat seine Lehre in einer Antikschreinerei absolviert. «Mein Chef hat mir einige alte Handwerkstechniken beigebracht. Drechseln etwa oder Schnitzen», sagt er. Später hat er die Kunstgewerbeschule in Luzern besucht und sich in Bildhauerei weitergebildet. Seither fertigt er Holzkunstwerke an – im stillen Kämmerlein. Er mache diese Werke für sich selber. Als er im Alter von 42 Jahren seinen Job verlor, suchte der in Rotkreuz ZG lebende Schreiner vergeblich nach einer neuen Stelle in seinem erlernten Beruf. «Deshalb ist mir mein Hobby so wichtig geworden. Ich kann in meinen Arbeiten versinken und werde dabei ganz ruhig.» Das erfülle ihn mit tiefer Zufriedenheit. Mit seinem Enkel, der gerade mal zweijährig ist, verbringt er viel Zeit in der Werkstatt. In seinem kleinen Wortschatz existieren beinahe mehr Schreiner-Ausdrücke als andere. Der Kleine lerne schnell und schnitze seine eigenen Formen.

Kürzlich ist Portmann der Reuss entlanggeradelt und hat dabei ein kämpfendes Milan-Paar im Flug beobachtet. «Ich musste absteigen und mir dieses fantastische Schauspiel genauer ansehen.» Das war die Geburtsstunde seines nächsten Projektes. Präzise umschreibt er, wie er die kämpfenden Milane schnitzen möchte: «Der untere muss ganz fein geschnitzt sein, den oberen dominanteren werde ich rau schnitzen, als Ausdruck für seine Macht und seine Stärke. So ergibt sich ein schöner Gegensatz.» Schade eigentlich, dass Portmanns Kunsthandwerke keinem grösseren Publikum zugänglich sind und im «stillen Kämmerlein» verweilen.

«Holz ist einfach ein geniales Werkmaterial. Es lebt und bewegt sich ständig.»

cs

Veröffentlichung: 04. April 2019 / Ausgabe 14/2019

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