Kaum einer hatte eine grosse Klappe

Munter gemixt mit Blech, die Rückwand hinterleuchtet, und die hölzige Klappe ist von einem Sägeschnitt durchdrungen, damit sie die Seite beim Schliessen aufnimmt. Bild: Christian Härtel

Messebericht.  Der Salone del Mobile ist die grösste Designveranstaltung der Welt. Jedes Jahr richten sich deshalb die Blicke nach Mailand, um Trends bei Formen, Farben, Materialien und Lifestyle zu erfassen. Für 2023 kann festgehalten werden: Vieles ist solide und wertig.

Es wird gesaugt und verräumt, und so mancher Stand liegt noch recht still im Dunkeln. Am ersten Morgen in Halle 1 der Mailän- der Möbelmesse mutet der Start des grössten Designevents der Welt noch etwas müde an. Die 61. Ausgabe vom 18. bis 23. April 2023 mit gut 2000 Ausstellern startet langsam, um dann aber gut in Fahrt zu kommen. Schon am zweiten Tag ist das weitläufige Messegelände gewohnt dicht bevölkert. Am Ende zählen die Veranstalter über 300 000 Designinteressierte. Weniger als auch schon, aber durchaus ein beachtlicher Erfolg in der aktuellen Situation. Etwa weil das Publikum aus Russland weitestgehend fehlte. Vielleicht waren auch deshalb weniger Ausstatter für die luxuriöse Glitzerwelt vor Ort.

Auffällig waren dafür die vielen asiatischen Gesichter vor Ort. China stellte den grössten Anteil ausländischer Besucherinnen und Besucher. Das ist neu und fiel besonders auf, weil sie wiederum oft ganz genau hingesehen haben. Da wurde der Stuhl schon Mal auf den Kopf gedreht, um die Details besser fotografieren zu können.

Mehr als eine Neuheitenschau

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) hat schon recht, wenn sie schreibt, dass der Salone nicht nur eine Trendschau ist, sondern vielmehr ein Abbild des kreativen Menschen. Denn die Mehrheit der Menschen vor Ort pflegt die schöngeistige Kultur, erfreut sich an den kreativen Leistungen von Designschaffenden aus der ganzen Welt und wertschätzt den Erfindungsreichtum sowie nicht zuletzt die Fertigkeiten der Handwerker.

Aktuell ist vor allem das Stein- und Metallhandwerk gefordert. Wenn man die Entwürfe sieht, steuern diese inzwischen einen beträchtlichen Teil beim aktuellen Interieur im gehobenen Bereich bei. Mit Blech und Stein so exakt wie Schreiner mit Holz zu arbeiten – das ist eine Herausforderung für die Betriebe, worin mutmasslich die Schwierigkeit liegen dürfte, einen solchen Trend zum spielerischen Materialmix als Schreinerei mitzugehen.

In Mailand geht es jedes Jahr von Neuem darum, was morgen in den edleren und später auch in den anderen Möbelhäusern angeboten wird. Und es geht natürlich auch darum, wie die kreative Welt derzeit auf dieselbige blickt. Vieles von dem, was in den Messehallen und auch an den Präsentationen in der Stadt zu sehen war, wirkte solide, klar und anständig. Manchmal durchaus pfiffig, meist edel und eben solide in einem positiven Sinn und deshalb auch wertig. Es scheint nicht die Zeit der grossen Feste zu sein und auch nicht eine Zeit für die mutigsten aller denkbaren Entwürfe.

Gekonnt solide glänzen

Stattdessen war eher eine etwas vornehme Zurückhaltung spürbar. Am deutlichsten zeigten das die Polstermöbel, die oft nicht mehr raumfüllend sind. Design widerspiegelt nicht zuletzt auch die grossen Fragen, die Gesellschaften umtreiben. Neben dem nach wie vor sehr präsenten Nachhaltigkeits- und Ökologiethema war auch der veränderte Materialeinsatz auffällig.

Was lange selbstverständlich war, wird derzeit öfter hinterfragt. Regalseiten können so schon mal aus Blech sein, während der Holzkorpus von einer Regalseite durchdrungen der Konstruktion Stabilität verleiht. Nachdem zuletzt kaum etwas ohne Struktur bei den Oberflächen zu sehen war, nimmt die Vielfalt der Möglichkeiten zu. Zwar bleibt es bei den edlen, gedeckten Tönen des italienischen Edel-Chics, doch daneben sind alle Spielarten möglich.

Nussbaum, Eiche und Esche dominieren weiter bei den Holzarten. Dem übergeordnet sind jedoch die Kombinationen der vielen Materialien, allen voran echter Stein und Metall in wohl nie da gewesener Oberflächenvielfalt.

www.salonemilano.it

 

In allen Bereichen zu Hause

Der italienische Edelausstatter von Badezimmern Antoniolupi hat das Feuchtgebiet schon lange erweitert. Ganz neu ist das Label nun in allen Räumen zu Hause.

Wie gewohnt, macht Antoniolupi auch das gut. Vor allem die Bettentwürfe fielen dabei auf. Das Bad ist aber nach wie vor die Domäne des Labels. Auch in diesem Jahr hat die Marke wieder mutige und pfiffige Entwürfe für das Badezimmer gezeigt. Man weiss dabei nie, ob es sich um Ladenhüter handelt oder um Kult.

www.antoniolupi.it

 

Unglaublich farbig

Bei Porro findet man meist Stücke, die sich gut miteinander kombinieren lassen und den grossen Linien der Möbelmode noch eine besonders Feine hinzufügen.

Nun kam es zu einer Farbexplosion, weil aus dem Archiv mehrere Entwürfe von Alessandro Mendini ans Licht kamen. Porro produziert drei der Aufbewahrungsmöbel in limitierter Auflage von jeweils 50 Stück. Darunter einen Schrank mit zwei Flügeltüren, ein Schreibpult mit Klappe und ein offenes Möbel mit Schublade.

Das Besondere der farbigen Flächen ist nicht nur ihre zusammengesetzte Form, sondern auch ihre Machart. Denn sie besteht aus Celluloseacetat. Dabei handelt es sich nicht um einen abgewandelten Naturstoff auf Cellulosebasis. Dieses ist glasklar und lässt sich gut farbig gestalten. Dazu ist der Thermoplast schwer entflammbar sowie schlagfest und unempfindlich. Damit bleibt Porro auch seinen Qualitätsansprüchen treu und hat einen Hingucker auf seiner Seite. Allerdings dürfte das Kombinieren mit den bunten Möbeln etwas anspruchsvoller werden.

www.porro.it

 

Einladung aus der Westschweiz

Passoni ist ein alteingesessener Stuhlproduzent aus einem Dorf mit langer Holztradition im Friaul.

Das Westschweizer Atelier Oï hat für Passoni den Massivholzstuhl mit Cetonia entworfen. Die wohlproportionierten und gerundeten Teile ohne Brüche an den Verbindungen, sondern mit sanften Übergängen laden die Menschen geradezu ein, Platz zu nehmen. Ein Stuhl, der Lust auf Anfassen und Abhocken macht und dabei vor allem nicht enttäuscht.

www.passonidesign.it

 

Leichte Holzarchitektur

Leuchten aus Holz sind meist von ähnlichen Formen und Konstruktionen geprägt. Bei LZF hat man sich davon deutlich emanzipiert und lässt schon mal einen fransigen Fisch oder einen Vogel leuchten. Das Ganze selbstredend in Holz. LZF hat inzwischen eine bemerkenswerte Vielfalt an Leuchten im Angebot, bei denen Holz die Hauptrolle spielt. Ansonsten scheinen die Designer bei der Gestaltung hingegen eine freie Hauptrolle einzunehmen, was wohl zur besagten Vielgestaltigkeit führt.

Bei Osca war Designer Bodo Sperlein am Werk. Osca ist eine architektonisch inspirierte Leuchte mit einer kubistischen Ästhetik. Die ineinandergreifenden dreidimensionalen Bögen aus echtem Furnier sind nach oben wie auch nach unten gerichtet, was der Leuchte eine skulpturale Form verleiht. Wie immer bei Holz ist das Licht stimmungs- voll, aber nicht allzu erhellend. Tatsächlich gibt es in der Architektur einige Beispiele, die eine solche Formensprache haben. So erinnert die Leuchte etwa an das Bauhaus-Museum in Berlin.

www.lzf-lamps.com

 

Passende Strukturen

Der Entwurf ist nicht neu, passt aber offensichtlich so gut in die aktuelle Zeit, dass Riva 1920 das Sofa Nudo aus dem Jahr 2017 nun am Salone prominent präsentiert hat. Rückseite und Seitenteile von Sofa und nun auch von einem Sessel sind aus Massivholz mit eigenwilliger Struktur und kräftigen Dimensionen gefertigt.

Zum typischen Riva-Design gehört auch die sichtbare Verbindung der Holzteile mittels Schwalbenschwanzzinkung, die sich nach oben hin öffnet, wodurch beim Benutzen ein leicht federnder Effekt entsteht.

www.riva1920.it

christian härtel, ch, ch, ch, ch, ch

Veröffentlichung: 11. Mai 2023 / Ausgabe 19/2023

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