Kristalle schlucken Schall

Das «Kryptographie-Fenster» ist eine mögliche Anwendung für phonononische Kristalle: Sie verzerren die Sprache rein mechanisch - ohne Elektronik oder Strom. Bild: Gian Vaitl, Empa

Schalldämmung. Akustikforscher der Empa entwickelten Kristallstrukturen, die tiefe Schallwellen schlucken. Damit lassen sich formfeste Baustoffe herstellen, die enorm viel leichter sind als herkömmliche Isolatoren.

Das könnte ein Fester der Zukunft sein: Durch das Glas sind Personen deutlich zu sehen. Sie sprechenden angeregt miteinander, was auch gedämpft zu hören ist. Doch vom gesprochenen Text ist kein einziges Wort zu verstehen. Nicht, weil man die Sprache nicht versteht, sondern weil das Glas bestimmte Frequenzen aus der Sprache herausfiltert. So wird der gesprochene Inhalt für Zuhörer gänzlich unverständlich, da das menschliche Gehirn die akustischen Informationen nicht mehr zu einem Sinn zusammensetzen kann.

Schluckende Kristallstrukturen

Was nach einer lustigen Erfindung von James Bonds Waffenentwickler «Q» klingt, ist alles andere als fiktiv. Einem Team von Akustikforschern der Empa ist es gelungen, makroskopische Kristallstrukturen zu bauen, die innere Drehbewegungen nutzen, um die Ausbreitung von Schallwellen abzuschwächen. Mit der Methode lassen sich sehr leichte und steife Materialien entwerfen, die auch tiefe Frequenzen besonders gut «schlucken» können, berichtet das Fachmagazin Nature Communicatons.

Kristalle im Gross-Massstab

Die Welt der Kristalle bietet viele interessante Eigenschaften: Kristalle können etwa in Einwegfeuerzeugen elektrische Funken schlagen, sie können polarisiertes Licht herstellen und sie können gebündelte Röntgenstrahlen in tausende von Einzelreflexe zerlegen, die in alle Raumrichtungen gestreut werden. Manche dieser Eigenschaften bleiben auch dann erhalten, wenn man die Kristallstrukturen 100-millionenfach vergrössert und die Kristalle im Gross-Massstab nachbaut. Dies machen sich Physiker seit einigen Jahren zu Nutze, denn die vergrösserten Kristalle dämpfen Vibrationen. Diese akustischen Eigenschaften nennt man phononische Kristalle.

Drehbare Teller filtern Frequenzen

Andrea Bergamini und seinem Team der Empa-Abteilung Akustik und Lärmminderung ist es nun gelungen, Zusatzeigenschaften in die Kristalle zu integrieren, die im Original nicht vorhanden sind. Die Forscher bauten kleine, drehbare Teller in die Kristallstrukturen, die in der Lage sind, Schwingungen entlang der Längsachse in Torsionsbewegungen umzusetzen. Diese Dreh-Mechanik «verschluckt» je nach Ausrichtung einen breiten Bereich der Schwingungen, was zu einer sogenannten Bandlücke in den Frequenzen führt.

Das «Kryptographie-Fenster»

Wie aber lassen sich solche Schwingungsfrequenz-Bandlücken nutzen? Inzwischen ist im Labor ein erstes Modell entstanden, das eine mögliche Funktion phononischer Kristalle zeigt: Bergamini baute ein Fenster aus zwei Plexiglas-Scheiben, in das solche Drehteller integriert sind. Die Grösse der Teller ist auf die Frequenz der menschlichen Sprache abgestimmt. Die Idee: wenn bestimmte Frequenzen aus der Sprache herausgefiltert werden, wird der Inhalt für Zuhörer unverständlich. Das menschliche Gehirn kann die akustischen Informationen nicht mehr zu einem Sinn zusammensetzen. Erste Tests im Akustik-Labor zeigen, wieviel Potential in der Idee steckt: Man kann die sprechenden Personen sehen, doch vom gesprochenen Text ist kein einziges Wort zu verstehen.

100-mal leichtere Schalldämm-Elemente

Bergamini und seine Kollegen erwarten, dass transparente, phononische Kristalle für Architekten und Innenarchitekten interessant sein könnten. Mit Hilfe dieses physikalischen Tricks lassen sich formfeste, steife Baustoffe herstellen, die Schall sehr gut isolieren und dabei bis zu 100-mal leichter sein können als andere phononische Isolatoren mit der gleichen Wirkung. Auch im Maschinenbau, im Flugzeugbau und im automobilen Leichtbau könnte das Herausfiltern störender Frequenzen mit leichten Designer-Dämmstoffen bald eine grosse Rolle spielen.

ids

www.empa.ch

Veröffentlichung: 24. Oktober 2019

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