Lehre hinter Gittern


Kreativ: Diesen Stuhl hat der inhaftierte Lernende selbst entworfen und gebaut. Bild: Michael Suter


Kreativ: Diesen Stuhl hat der inhaftierte Lernende selbst entworfen und gebaut. Bild: Michael Suter
Freiheitsentzug. In der Justizvollzugsanstalt Realta im Kanton Graubünden verbüssen erwachsene Männer ihre Straftaten. Zum Programm der Resozialisierung gehört, dass sie Aufgaben mit beruflicher Verantwortung nachgehen können. In der Schreinerei wird sogar eine Berufslehre angeboten.
Hohe Mauern mit Stacheldraht verbinden einzelne Gebäude, deren Fenster mit Gittern versehen sind. An der Wand des Empfangsbereichs hängen mehrere Flachbildschirme, auf denen in regelmässigen Abständen verschiedene Bilder aufflackern. Sie stammen von den Kameras, die jeden Winkel des Geländes zeigen und überwachbar machen. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Realta sitzen Männer, die gegen das Gesetz verstossen haben, ihre Strafe ab.
Die JVA Realta wird als offene Anstalt geführt und hat das Ziel, den Gefangenen auf den Wiedereintritt in das bürgerliche Leben vorzubereiten. Dabei werden die Verhältnisse im Anstaltsalltag möglichst nahe an jene ausserhalb der Anstalt angepasst. Das umfasst auch Berufskurse und Berufslehren. Thomas (Name von der Redaktion geändert) absolviert eine Schreinerlehre. Er ist Mitte zwanzig und ist seit einigen Monaten in der Anstalt in Cazis. Er ist nicht der typische Gefangene, den man hier erwartet. Er ist intelligent, gebildet, hat die Berufsmatura absolviert und ein Studium im Bereich Industriedesign begonnen.
Trotz seines guten beruflichen Hintergrunds landete er im Gefängnis. Dort erhielt er die Chance, eine Ausbildung zu absolvieren. «Ich bin sehr vielseitig interessiert. Neben Sprachen und administrativen Arbeiten hat mir schon immer die Arbeit mit Holz gefallen. Daher habe ich mich für eine Schreinerlehre entschieden. Ich bin sehr dankbar, dass mir hier diese Möglichkeit geboten wird und ich die Zeit gut nutzen kann», erzählt er.
Er geniesse in der Ausbildung viele Freiheiten, könne seine eigenen Ideen einbringen und Möbel von A bis Z selber herstellen, erzählt Thomas. Am Anfang sei das natürlich nicht so gewesen. «Als erste Aufgabe musste ich Spiesse für eine Metzgerei produzieren und später einmal eine Kiste aus Lärchenholz, um Ski darin zu verstauen. Aber mittlerweile kann ich anspruchsvolle Aufträge alleine abwickeln.»
So arbeitet er im Moment an einer Serie von Stühlen für den Speisesaal der Anstalt. Das Design stammt von Thomas selbst. Er mag Herausforderungen und ist froh, wenn er auch sein Know-how aus dem Studium einbringen darf. «Arbeiten wie Rüsten und Schleifen mag ich nicht besonders, aber die gehören halt auch dazu.»
Speziell an der Schreinerei Realta ist nicht nur, dass dort Sträflinge arbeiten, sondern auch, dass der Lernende von Beginn an mit Maschinen arbeiten darf. Ansonsten verläuft der Arbeitstag ähnlich wie ausserhalb der Anstalt. Gearbeitet wird jeden Tag von 7.30 Uhr bis 17.10 Uhr. Um 11.50 Uhr ist Mittagspause. Neben den Arbeiten für die Anstalt führt die Schreinerei auch Aufträge für externe Kunden aus. «Die Kunden kommen direkt bei uns vorbei. Die Leute aus der Region haben Vertrauen zu uns, und es herrscht eine gute und offene Beziehung. Wir machen viele Restaurationsarbeiten, aber auch viele Schränke, Garderoben usw.», erklärt Thomas.
Nach der Arbeit geht er täglich ins Krafttraining. Ansonsten verbringt er seine arbeitsfreie Zeit mit Laufen, Fussballspielen oder Zeitung lesen. «Durch die Zeitung bleibe ich auf dem Laufenden, was in der Welt geschieht. Internet ist in der JVA nicht erlaubt. Und natürlich auch kein Handy. Um den Kontakt zur Aussenwelt zu pflegen, steht uns ein normales Telefon zur Verfügung.» Einmal pro Monat erhält Thomas Urlaub für 32 Stunden. In dieser Zeit besucht er Familie und Freunde. Damit er auch die theoretischen Grundlagen für die Schreinerlehre mitkriegt, drückt er an zwei Nachmittagen die Schulbank.
Thomas wird nach seiner Zeit im Gefängnis seine Schreinerlehre abschliessen. Er hat sogar bereits einen Lehrbetrieb gefunden, bei dem er seine Ausbildung fortsetzen kann. «Ich habe immer davon geträumt, selbständiger Designer zu werden. Mittlerweile kann ich mir aber gut vorstellen, auch als Schreiner weiterzuarbeiten.»
Veröffentlichung: 08. Januar 2015 / Ausgabe 1-2/2015
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