Lösung aus Flaschenmaterial

Bild: Tavapan SA Das neue Verbundwerkstoffsystem aus recyclierten PET-Flaschen kann in Kombination mit Holz- und Kunststofffenstern eingesetzt werden.

Neuheit.  Fensteranschlüsse sind vielfach Wind und Wetter ausgesetzt. Mit einem neuen Verbundwerkstoff ist es einem Hersteller in Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule Biel gelungen, 4721ein wasserabweisendes Produkt zu entwickeln, das es bis zur Serienreife geschafft hat.

Aus gestalterischen Gründen sind aus Fenstern immer häufiger Fassadenelemente geworden, die bündig in die Fassadenfront integriert werden. Mittels Ergänzungselementen, die aus Verbundwerkstoffplatten hergestellt sind, werden sie am Bau angebracht. Es ist offensichtlich, dass gerade hier an der Fassade eine starke Bewitterung mit entsprechendem Feuchtekontakt stattfindet.

Feuchteschäden sind vorprogrammiert

Zusätzlich werden die Elemente in der Bauphase vermehrt der Feuchtigkeit ausgesetzt, denn der immer stärker werdende Kostendruck im Baugewerbe führt zu Verdichtung und zeitlicher Überlagerung von Bauzeiten. Dabei kann es schon einmal vorkommen, dass die Montage der Fenster bei mehrgeschossigen Objekten in den unteren Gebäudegeschossen erfolgt, während die Rohbauarbeiten in den oberen Geschossen noch nicht abgeschlossen sind. Zusätzlich ist das Gebäude in diesem Stadium noch nicht durch ein Dach geschützt, und nicht selten erfolgt die Lagerung fertiger Fenster mit ihren Rahmenverbreiterungen auf der Baustelle bis zur Montage in nasser Umgebung.

Diese Feuchtebelastungen führen bei konventionellen Elementen vermehrt zu Schäden, denn die als Trägermaterial in den Verbundwerkstoffplatten eingesetzten Holzwerkstoffe quellen durch den Feuchtekontakt auf und machen die Platte unbrauchbar. Darüber hinaus wird die wärmedämmende Eigenschaft des Elements durch die eingedrungene Feuchtigkeit stark reduziert.

Vor diesem Hintergrund setzte sich der Verbundwerkstoffplatten-Hersteller Tavapan SA aus Tavannes BE mit der Berner Fachhochschule in Biel (BFH-AHB) in Verbindung, um seine Produktpalette zu optimieren. Dazu der BFH-Projektleiter Urs Uehlinger: «Die hohen Qualitätsansprüche gepaart mit der starken Verdichtung der Bauprozesse und der tiefen Toleranzgrenze bei Schäden sind in der Schweiz einzigartig. Dies führt zu hohen Ansprüchen an Material- und Baukomponenten. Denen gerecht zu werden, war die Herausforderung bei diesem Projekt.»

Grenzen der konventionellen Baustoffe

Durchfeuchtete Verbundwerkstoffplatten, oft genug schon im Rohbau durch Beton- und Putzarbeiten und Rohfussbodenverlegungen während der Fenster- und Türenmontage geschädigt, sind ein Schadensbild, welches unter anderem verdichteten Bauabläufen geschuldet ist. «Konventionelle wärmedämmende Verbundwerkstoffplatten, die bisher im Fassadenbereich zum Einsatz kamen, sind jedoch nicht wasserfest, sondern weisen lediglich einen gewissen Feuchtewiderstand auf. Die Verwendung hygroskopischer Baustoffe für derartige Elemente wird den heutigen verdichteten Bauprozessen häufig nicht mehr gerecht», erklärt Urs Uehlinger. Mit diesem Hintergrund und dem nötigen Fachwissen im Gepäck ging es an die Forschungsarbeit.

Zielsetzung der Neuentwicklung

Das Anforderungsprofil für die Werkstoff-Neuentwicklung von Tavapan war äusserst anspruchsvoll:

  • Wasserbeständigkeit der Klebstoffe
  • Wasserbeständigkeit der Mittellage
  • Dickenquellung nach Wasser- lagerung:
  • Temperaturbeständigkeit: 80° Celsius
  • Wärmedämmung Standardplattendicke 70 mm: U-Wert
  • Schraubenauszugsfestigkeit: soll ohne zusätzliche Verstärkungsleisten erreicht werden
  • Längsverformung bei Differenz- und beidseitig gleichem Klima: 4 mm
  • Schalldämmung Standardplattendicke 58 mm: 31 dB(A)
  • Brandschutz: EI30
  • hoher ökologischer Standard
  • recyclierbar
  • das neue Produkt darf nicht teurer werden als herkömmliche Rahmenver- breiterungen
  • die Kantenbearbeitung auf konven- tionellen Holzbearbeitungsmaschinen soll mit Standardwerkzeugen möglich sein
  • die neue Platte soll einen möglichst homogenen Aufbau (Vollkern) aufweisen
  • die geschäumte Isolationsmittellage soll ohne FCKW hergestellt werden
  • PU ist unerwünscht
  • die neue Platte soll als Rahmenver- breiterung für Fensterrahmen mit 58 bis 90 mm Stärke geeignet sein

Platten aus PET-Recycling

Knackpunkt der Materialentwicklung sei die Forderung nach einem ökologischen Material mit hoher Schraubenauszugsfestigkeit und gutem U-Wert gewesen, erläutert Urs Uehlinger. Nach diversen Versuchen mit anderen Materialien wurde ein Recycling-Prozess von PET-Flaschen für die anstehende Plattenproduktion entwickelt. In der Fenster- und Fassadenbranche sind Elemente von 5,20 m Länge gefordert, für die erst eine darauf abgestimmte Anlagentechnik bei der Extrusion entwickelt werden musste.

Das geschäumte PET zeichnet sich durch geringes Gewicht und hohe mechanische Festigkeit bei maximaler Funktionsdauer aus. Dabei ist das Material aufgrund seiner geschlossenen Zellstruktur wasserfest sowie frost- und alkalibeständig. Dank der Festigkeit des Materials sind stabilisierende Einleimer oder Stege überflüssig und die Platte ist wärmebrückenfrei. Zugleich erfolgt die umweltschonende Herstellung des PET-Schaumes ohne CO2-Emissionen.

Für Holz- und Kunststofffenster

Für den dauerhaften Schutz gegen Umwelteinflüsse waren PVC-Decklagen (für Kunststofffenster) und MDF-Exterieur-Decklagen (für Holzfenster) auf die PET-Kerne aufzubringen. Daher musste zusätzlich noch der Herstellungsprozess der geklebten Platten entwickelt werden. Der dafür nötige Klebstoff musste industrietauglich sein. Nach diversen Versuchen, bei denen auch Industriepartner in Hamburg und Barcelona mit eingebunden wurden, entschied sich das Team von BFH und Tavapan für einen modifizierten PU-Klebstoff, einen Hotmelt.

«Wir benötigten eine relativ schnelle Anfangshaftung, um einen kontinuierlichen Produktionsprozess zu gewährleisten. Es wurden verschiedene Klebstoffe bei uns im Werk im Produktionsprozess getestet. Da im Forschungslabor nur mit Mustergrössen gearbeitet werden konnte, mussten im Werk Klebversuche mit Platten in Seriengrösse von über 5 m gefahren werden», sagt Walter Zürcher von der Tavapan SA, der von Anfang an auf die Kooperation mit der BFH gesetzt hatte.

Mit Investitionen Zeichen gesetzt

«Teil des Projektes war die Investitionsplanung, für die vorab der Prozess samt Anlagenplanung definiert werden musste. Es wurde seitens des Industriepartners bereits in Anlagen investiert, noch bevor das Produkt für die Serienproduktion zu Ende entwickelt worden war», ergänzt Uehlinger. Im Januar 2012 wurde im Werk in Tavannes eine Anlage in Betrieb genommen, welche das neu entwickelte Produkt, das seither unter dem Namen «TAVAPET» vermarktet wird, produziert. Inzwischen gibt es eine Platte für erhöhte Schallschutzanforderungen, bei der zusätzliche Schwerfolien eingearbeitet werden, um die geforderten Werte von bis zu 39 dB bewertetes Schalldämm-Mass zu erreichen.

Positive Reaktionen – erste Aufträge

Urs Uehlinger blickt mit Stolz auf den spannenden Entstehungsprozess zurück: «Tavapan stellte sein neues Produkt ‹TAVAPET› 2012 auf der Fensterbau-Frontale in Nürnberg aus. Es gab durchweg positive Resonanz und erste Aufträge. Darüber hinaus wurde dort die Idee geboren, mit dem Produkt Hebe-Schiebetüren zu unterfüttern. Dafür sprach die hohe Druckfestigkeit, das geringe Gewicht und die Resistenz selbst gegen Alkaliwasser (Betonwasser).» Die Platten könnten vom Verarbeiter mit CNC-Anlagen profiliert und zugeschnitten werden. Selbst für den Innen- und Möbelbau lässt sich das Produkt verwenden. «Unser Unternehmen kann mit ‹TAVAPET› jetzt Platten für den Kühlbereich im Ladenbau anbieten oder Elemente für Messeausstellungsmöbel», erläutert Walter Zürcher. «Die hohe Festigkeit erlaubt darüber hinaus die Produktion von Tischblättern, zum Beispiel für die Gastronomie. Die Schraubenauszugsfestigkeit lässt sogar die Montage von Beschlägen zu, und die Platten können mit Kantenleimmaschinen bearbeitet werden.» Das Projekt habe gezeigt, so Zürcher, dass der öffentliche Geldgeber mit seiner Förderung viel ausgelöst habe. Ein Schweizer Unternehmen sei so weiterhin konkurrenzfähig – und dies europaweit – und habe durch dieses Projekt Arbeitsplätze im Schweizer Jura schaffen können.

«TAVAPET-wood» stellt mit den MDF-Exterieur-Decklagen eine Rahmenverbreiterung für Holzfenster dar, die wesentlich haltbarer ist als konventionelle Holzkonstruktionen. Die Platten sind über den Holzfachhandel zu beziehen.

www.ahb.bfh.chwww.tavapan.ch

jp

Veröffentlichung: 19. November 2015 / Ausgabe 47/2015

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