Märchenhafte Ballonwelten

Neben seinem Hauptberuf als Schreiner betätigt sich der 48-jährige Toni Herger auch als Ballonkünstler. Bild: PD

Es ist kurz vor Mittag an jenem strahlend schönen Tag, und Toni Herger ist gerade nach Hause gekommen. Gemeinsam mit seiner Frau und den drei Kindern im Teenageralter lebt der 48-Jährige am Rande von Altdorf UR. Den Weg von und zur Arbeit in Erstfeld legt der Schreiner jeweils mit dem Velo zurück. Bis es Mittagessen gibt, dauert es noch eine Weile. Herger setzt sich draussen auf die sonnenbeschienene Terrasse und deutet auf eine Micky und eine Minnie Maus in Menschengrösse, die im Innern des Hauses zu sehen sind. Beide bestehen komplett aus Ballons und werden durch eine Stange aufrecht gehalten. Der Ballonkünstler hat die Figuren am Vortag gemacht. «Eine Bestellung für einen 30. Geburtstag», erklärt er. Seit einigen Jahren ist Herger neben seinem Vollzeitberuf als Schreiner etwa einmal im Monat als «Mister Balloni» unterwegs. 2013 besuchte er interessehalber einen Kurs im Ballonmodellieren und kann seither nicht mehr davon lassen. Wieso? «Mir gefällt der Kontakt zu den Leuten und das Strahlen in den Augen der Kinder», erklärt er einfach, das sei ein Ausgleich zum beruflichen Alltag an der CNC-Maschine. Wird er für einen Anlass gebucht, wirft er sich in seinen lustigen Anzug samt Hut und Fliege, platziert vor Ort seine Ballonfiguren und den prall gefüllten Koffer neben sich und wartet auf die Wünsche der Kinder. Eine halbe Stunde lang stehen diese oft an, um einen Ballon in der Farbe ihrer Wahl und eine Figur auszusuchen. Soll es ein Affe werden, eine Schnecke oder doch lieber ein Gespenst? Oft benötigt Herger für das Gewünschte mehrere Ballons, die er mittels verschiedener Techniken gekonnt miteinander verknotet.

Sein Geschick beweist er während des Interviews: Er greift aus seinem Koffer einen grünen und einige rosarote Ballone, bläst diese an der elektrischen Pumpe auf und formt mit geschickten Handgriffen eine Rose. Gleich darauf zieht er schwarze und rote Ballone hervor, aus denen er in kurzer Zeit einen Formel-1-Wagen zaubert. Seine Fingerfertigkeit ist eindrücklich, doch tatsächlich kann Herger noch viel mehr. Für das Shoppingcenter Tellpark im nahen Schattdorf baute er zur Fasnacht eine riesige Märchenwelt. Rund 16 000 Ballone und 400 Arbeitsstunden wendeten er und seine Familie auf, um ein verwunschenes Schloss samt Eiskönigin, Rotkäppchen, Dornröschen und Co. zu zaubern. Ein andermal wand sich ein riesiger Drache durch das Einkaufszentrum. Erfahrung mit derlei Grossprojekten hatte er bis dahin nicht. «Ich wollte herausfinden, ob solche Konstruktionen machbar sind», sagt der Handwerker. Was ihm dabei indirekt zugute kommt, ist seine Legasthenie. Mit Buchstaben und Zahlen hat er Mühe, sein räumliches Vorstellungsvermögen ist dafür sehr ausgeprägt.

Während seiner Schulzeit hatte ihm die Leseschwäche sehr zu schaffen gemacht. «Mein Lehrer sagte mir damals, dass ich keine Lehre machen könne», erzählt er. Um so dankbarer ist er der damaligen Chefin seines Betriebs, die ihn vorbehaltlos in die Lehre nahm. Auch dank seiner Mutter, die ihm den Schulstoff jeweils vorlas, schloss er die Lehre schliesslich mit der Note 5,1 ab. Beruflich machte ihm sein Handicap nie Probleme, muss er als Schreiner doch keine Anleitungen, sondern Pläne lesen können. Und als Ballonkünstler versetzt ihn sein Vorstellungsvermögen in die Lage, seine Fantasie Wirklichkeit werden zu lassen.

«Mir gefällt der Kontakt zu den Leuten und das Strahlen in den Augen der Kinder.»

Isabel Hempen

Veröffentlichung: 13. Januar 2022 / Ausgabe 1-2/2022

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