Magie braucht keine Mode

Glas, Aluminium und Licht: Valcucine baut die zu 100 % rezyklierbare Küche ohne doppelte Korpusseiten.

Vor Ort in italien.  Ein Besuch bei der Küchenschmiede Valcucine in Pordenone (IT) hinterlässt vor allem eines: einen erhabenen Eindruck über modernes Handwerk. Jenseits der klassischen Schreinerei und der Industrie geht das Unternehmen eigene Wege.

Die Betriebsbesichtigung startet Roberto Fracassi, Training Manager bei der Küchenmanufaktur Valcucine, im Garten des Unternehmens. Es wird bei Weitem nicht die einzige Überraschung an diesem Tag bleiben. Valcucine entwickelt und baut seit gut 30 Jahren Küchen im venetischen Pordenone. Also kein Traditionsbetrieb im Verhältnis zu vielen anderen, aber ein von Beginn an mit klaren Vorstellungen der vier Gründer aufgebautes Unternehmen. Dazu gehört eine stabile Grundlage von Überzeugungen und Werten, was sich neben der Präsentation nach aussen auch in nahezu jedem Detail der Fertigung und den Produkten widerspiegelt. Schon nach dem Besuch im Garten mit den Bezügen zum Inneren des Gebäudes verfestigt sich der Eindruck, dass die Leitwerte von Valcucine, namentlich «Wohlbefinden, Zeitlosigkeit und Innovation», mehr sind als Plauderbeiwerk im Bemühen um möglichst grosse Reklamewirksamkeit. So spielt Kunst eine gewichtige Rolle. Sie ist allgegenwärtig. In Form von Exponaten, die Inspiration geben sollen und auch dadurch, dass Fracassi die Handwerker der Station, in der die Designs für die Glasfronten erzeugt werden, schlichtweg als Künstler bezeichnet, obwohl sie permanent das Gleiche tun.

Denn die Gläser werden nicht bedruckt, sondern mittels Folien durch Einlegearbeiten hergestellt.

Die Flächendekors, die auf die Gläser verklebt werden, wirken wie ein Bild und bieten zudem auch Vorteile hinsichtlich Ausbleichungsverhalten und Farbintensität. Solche Intarsienarbeiten haben aufgrund ihrer kleinen, der Handarbeit geschuldeten Unregelmässigkeiten ein besonderes Antlitz. Der Unterschied zur Holzintarsie ist lediglich das Material, nämlich farbige Folien. Das Ganze natürlich «customized», also auf den Kunden angepasst; jedes Motiv ist möglich.

Alles im Griff

Um zu solchen und anderen Lösungen zu kommen, werden alle verwendeten Materialien zunächst geprüft. Also auch die täglichen Anlieferungen von Werkstoffen.

Dazu dient ein Labor mit mehreren Mitarbeitern, die den ganzen Tag prüfen und dokumentieren. Etwa Konstruktionen für Fronten aus Aluminiumprofilen mit Glas und anderen Materialien, die in Langzeittests über mehrere Jahre in der Klimakammer verbringen. Zuvor werden aber auch die einzelnen Komponenten geprüft.

Oberflächen werden geritzt und mit sauren Lösungen gequält, Werkstoffe im Ofen entsprechend der Hitze von heissen Topfböden ausgesetzt und allerlei mechanisch-physikalische Versuche durchgeführt.

Nur wenn die Materialien und Konstruktionen über jeden Zweifel erhaben sind, entstehen daraus Küchen. Kaum ein Unternehmen, das einen solchen Aufwand betreibt. Bei Valcucine ist es Teil der Kultur, denn ein guter Ruf ist schnell verspielt. Wer Neues umsetzen möchte, muss die Grundlagen da- zu im Griff haben. Auch eine Besonderheit: Die Küchen werden alle im Haus entworfen und gestaltet. Mitgründer des Unternehmens Gabriele Centazzo ist der Chefdesigner und schwört darauf, dass alle Prozesse im Hause ablaufen.

Alleinstellungsmerkmale allenthalben

Innovationen hat Valcucine am laufenden Band zu bieten, obwohl die Fertigung nicht übermässig aktuell wirkt. «Das ist für uns auch nicht entscheidend, denn ein gehöriger Teil Handarbeit hat auch Vorteile. So prüfen viele Augen und Hände in der Entstehung die Produkte», erklärt Fracassi.

Insgesamt beschäftigt Valcucine derzeit gegen 200 Mitarbeiter, viele davon auch in den gut bestückten Planungs- und Technikerabteilungen. Von Valcucine stammt die erste nahezu vollständig recyclierbare Küche, weil nur aus Glas und Aluminium bestehend und rein mechanisch miteinander verbunden. Neben der Materialisierung sind es vor allem die auf den Gebrauch hin entwickelten Beschläge und neuen Konstruktionen, welche die Küchen von Valcucine von allen anderen unterscheiden.

Etwa ein Klappenlift, der nicht im Korpus-inneren platziert ist, sondern aussen, oberhalb der Hängekorpusse, mit einem ausbalancierten Gegengewicht seine smarte Bewegung erfährt. Bis zu 3,60 Meter breite Oberschrankfronten lassen sich mühelos mit dem kleinen Finger öffnen. Die Klappe öffnet sich dabei um mehr als 180 °, wodurch nichts stört beim Zugriff auf die Utensilien im Oberschrank.

Vom Aufgang der Sonne

Eine weitere Entwicklung des Hauses ist der Korpus hinter dem Korpus. Denn hinter der normalen Arbeits- und Korpustiefe befindet sich ein «versteckter» zweiter Korpus, der sich dann erschliesst, wenn die zweiteilige Front nach unten und oben verschoben wird. Auch diese Beschläge funktionieren bis über drei Meter Breite fingerleicht, aktivieren dabei das Licht des Glaskorpusses und öffnen so die Werkstatt Küche. Die jüngste Entwicklung ist das elektrische Öffnen und Schliessen der Fronten. Mit einem Fingerzeig fährt die gesamte Front nach oben und gibt die für das Kochen wichtigen, in der zweiten Korpusebene liegenden Geräte und Ablagen frei. Der Sensor sitzt dabei mittig in der Front und aktiviert gleichzeitig die Drehbewegung des Wasserhahns, der sonst hinter der völlig geschlossenen Front ist. Klar ist das Ganze mit einem Sicherheitsmodus gegen Fingerklemmen ausgestattet, und darüber hinaus erscheint das Licht im Glaskorpus hinter dem Korpus je nach Vorgang als aufgehende oder untergehende Sonne.

Angenehme Details

Die Macher bei Valcucine waren die ersten, die dünnste Glasfronten auf Rahmen aus Aluminium umgesetzt haben. Dabei sind unteres und oberes sowie die Längsprofile einer Front unterschiedlich ausgebildet. Und auch hier wird ein enormer Aufwand betrieben, um dem Wohlbefinden gerecht zu werden. Am oberen Griffprofil etwa findet sich eine kleine Dichtungslippe zwischen Rahmen und Glas, die der Benutzer beim Öffnen des Korpusses berührt, was den Zugriff angenehmer gestaltet. Ein anderes Detail, bislang relativ wenig beachtet, stellt die auf einer Rollenbahn verlaufende Schneid- und Arbeitsfläche dar. Bei Nichtgebrauch die Kochfläche abdeckend, ist sie im Nu an anderer Stelle auf der Abdeckung verschoben. Auch dies war vor einigen Jahren eine eigene Entwicklung.

Individualität im System

Jeder Kunde kann das Antlitz seiner Küche auch selbst kreieren. Dafür sorgt die Abteilung der grafischen Gestaltung, die für die Umsetzung des Designs hinter den sechs Millimeter dünnen Glasfronten zuständig ist. Kunden bringen so auch ihre ganz persönlichen Motive ein. «Ein immer wichtiger werdender Markt für uns», sagt Fracassi. Der Umsatz wächst, vor allem international. Nur noch die Hälfte entfällt davon auf den heimischen Markt.

Die Küchenlinien von Valcucine beruhen stets auf einem System und sind so enorm wandlungsfähig. Dafür sorgt das Skelett aus Aluprofilen mit vielseitigen Möglichkeiten zur Beplankung, Kabelführung und zur Installation von Lichtquellen. Beim aktuellen Programm etwa gibt es für die optische Trennlinie zwischen Abdeckung und Unterschrank ein reichhaltiges Sortiment von Materialisierungen. Die Gestaltung der Flächen von Unter- und Oberschränken ist scheinbar grenzenlos frei wählbar. Viel davon ist Handarbeit, etwa die Einlegearbeiten aus Keramik, die in Zusammenarbeit mit einem Mosaik-Künstler entstehen.

Der einzelne Mensch steht im Mittelpunkt, was auch für die Mitarbeitenden gilt. Neben einem «Spielezimmer», in dem Tischfussball und Tischtennis parat stehen, gibt es auch eine umfangreiche Bibliothek.

Die Partner in den weltweit mehr als 370 Showrooms werden regelmässig in Pordenone geschult. Dabei wird auch die komplexe Technik im Ausstellungs- und Schulungsraum bis ins «Innerste» vermittelt. Und für die erholsame Mittagspause wird dann natürlich im Haus gekocht. Wenig überraschend: mit einer Valcucine.

www.valcucine.com

ch

Veröffentlichung: 21. September 2017 / Ausgabe 38/2017

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