Mit dem Car durch Europa

Die erste Fahrt als Carchauffeur führte Schreinermeister und Unternehmer Philipp Späti (50) nach Paris. Bild: PD

Einfach so aus dem Alltag ausbrechen und einen Traum verwirklichen – das tun wenige. Schreinermeister und Unternehmer Philipp Späti aus dem solothurnischen Bellach ist einer von ihnen. Von April bis Oktober heuerte er als Vollzeitchauffeur bei Schneider Reisen Langendorf an und war mit dem Car quer durch Europa unterwegs. Ein grosser Schritt für den 50-Jährigen und seine Innenausbaufirma, die er in dritter Generation führt. «Ich musste loslassen und meinem Team alle Verantwortung überlassen. Und ich hatte plötzlich einen völlig unplanbaren Berufsalltag», erinnert er sich. Zwar wohnte er weiterhin zu Hause bei seiner Frau und den zwei Kindern im Teenageralter. Doch nun war er ständig unterwegs – und wusste meist nur sehr kurz vorher, wo er die nächsten Tage sein würde. Ganz neu war das Carfahren aber nicht in Spätis Leben. Schon als Kind war er begeistert von grossen Fahrzeugen. Im Militär ging er zu den Motorfahrern und lernte das Lastwagenfahren. Danach folgte der Carausweis. Seit über 25 Jahren fährt er neben seinem Hauptjob als Carchauffeur, normalerweise an 50 bis 60 Tagen im Jahr. «Das Carfahren war immer schon ein Ausgleich. Ich wurde immer ganz kribbelig, wenn ich zu lange nicht fuhr», so Späti. «Ganz oft habe ich mich aber auch gefragt, ob ich vielleicht den Beruf verfehlt habe.»

Seine Familie ermunterte ihn dazu, das Leben als Carchauffeur auszuprobieren. Als ihn dann auch noch sein Unternehmensberater unterstützte, informierte er seine 33 Mitarbeitenden. Er fuhr wie andere Chauffeure Senioren durchs Emmental, Schüler quer durch die Schweiz und Ausflügler auf den Markt von Luino.

Besonders interessant seien die mehrtägigen Fahrten in unbekannte Regionen gewesen, sagt Späti. So war er etwa in Polen, Kroatien, Süditalien, Spanien und den Niederlanden. Er war Chauffeur und Reiseleiter zugleich. Er bereitete sich minutiös vor, plante die Fahrstrecke und informierte sich über Wissenswertes entlang der Route. Der Arbeitsalltag endete nicht am Ankunftsort. Auch ausserhalb des Cars kümmerte sich Späti um das Wohl seiner Passagiere, checkte sie im Hotel ein, reservierte Restaurants, organisierte Ausflüge oder rettete die Situation, wenn einmal etwas schieflief. Noch nie erlebte Späti einen Unfall, wohl aber Pannen und heikle Situationen. So erinnert er sich lebhaft daran, wie er vor Jahren einmal in Frankreich mit einer Gruppe im Car übernachten musste, weil die Strasse wegen Lawinengefahr gesperrt war. Im Restaurant vor Ort gab es nur noch Wasser, Bier und Brot. Späti musste drei Stunden bei einer Telefonkabine anstehen, um das Reisebüro zu informieren.

Nun, ein halbes Jahr, rund 50 000 Kilometer und 2600 Passagiere später, ist Philipp Späti zurück in seiner Firma. Seine Auszeit habe das Team vorangebracht und gezeigt, dass es auch ohne ihn gehe. Damit sei ein erster Schritt zu einer Nachfolgeregelung getan, freut er sich. «Aber ich weiss nun auch, dass ich meinen Job zu sehr liebe, um ihn einfach aufzugeben.»

Er habe durch die Distanz einen klaren Blick für seine Situation gewonnen. Nun müsse er die Erkenntnisse umsetzen, sagt Späti. «Ich lege jedem ans Herz, einmal aus der Routine auszubrechen und innezuhalten – dem Beruf und der Leidenschaft kann das nur nützen.»

«Ich lege jedem ans Herz, einmal aus der Routine auszubrechen und innezuhalten – dem Beruf und der Leidenschaft kann das nur nützen.»

fg

Veröffentlichung: 01. Dezember 2017 / Ausgabe 48/2017

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