Mit Mut die Praxistauglichen finden

Die saubere Kantenbearbeitung oder eine Lösung für einen sauberen Kantenabschluss sind wichtige Auswahlkriterien für einen Spezialwerkstoff. Bild: SZ, Noah J. Gautschi

Spezielle Materialien.  Von den vielen Werkstoffen, die entwickelt und auf den Markt gebracht werden, kommen im Alltag nur wenige zum regelmässigen Einsatz. Einige Materialien bringen dem Schreiner aber einen wirklichen Mehrwert und überzeugen in der Praxis.

Beim Besuch einer Werkstoffmesse kann der Schreiner die unglaublichsten Materialien entdecken: Werkstoffe mit speziellen Oberflächeneffekten, unterschiedlichen Materialkompositionen oder sogar Gebilde aus chemischem Schaum springen dem Fachmann ins Auge. Vieles, das auf den ersten Blick überzeugt und zum Entwerfen inspiriert, kommt im Alltag jedoch nie zum Einsatz.

Fehlende Lösungen

Ein Grund, weshalb viele Schreinerbetriebe auf den Einsatz solcher Spezialwerkstoffe verzichten oder sie nur ganz selten verwenden, ist das Fehlen einer ganzheitlichen Lösung.

Das fehlende Angebot von Verbindungslösungen und Kantenabschlüssen oder die zu komplizierte Weiterverarbeitung im eigenen Betrieb sind sehr häufig genannte Argumente. Neue Entwicklungen, die einem bestimmten Ziel dienen, haben es da einfacher. Sie müssen von Anfang an konkrete Vorgaben erfüllen und sind somit durchaus interessant genug, um näher betrachtet zu werden.

Nicht nur für die Schreinerbranche

Innenarchitekten sind bekannt für gekonnte Spielereien mit Farben und Materialien und viele Trends werden von führenden Architekten geprägt.

Das beste Material bringt einem Planer wenig, wenn er keinen Verarbeiter für die Umsetzung finden kann. Die Schreiner sind prädestiniert für die Weiterverarbeitung solcher Materialien. Damit ein Produkt den Weg in die Werkstatt findet, muss es jedoch praxistauglich sein.

Der Trend, viele Materialien im Rohzustand zu verbauen, hat den Nachteil, dass die Oberflächenbehandlung wegfällt. Das erschwert die Korrektur kleiner Fehler zusätzlich, und gerade bei Materialien mit fertiger Oberfläche ist die Möglichkeit einer sauberen Bearbeitung der Kanten und der Oberfläche die halbe Miete.

Die Ausnahmen finden

Um geeignete Materialien aus dem grossen Angebot herausfiltern zu können, muss der Schreiner aktiv reagieren. «Wenn ich ein Material sehe, das mich interessiert, bestelle ich ein Muster», sagt Stefan Liechti, Inhaber der Werthmüller AG in Burgdorf BE. So findet sich immer wieder einmal ein Material, das in einer Schreinerei problemlos verarbeitet werden kann.

«Ich bin ein Gestalter, der gerne mit Materialien experimentiert. Wichtig bei einem neuen Werkstoff sind immer die damit einhergehenden angebotenen Lösungen», erklärt Stefan Liechti. Die folgenden Materialien sind vom Schreiner sauber und mit den herkömmlichen Maschinen zu bearbeiten. Mit etwas Ideenreichtum und Experimentierfreude ergeben sich interessante Möglichkeiten für jeden Schreinerbetrieb.

www.werthmuellerag.ch

WSP-Dekor – für Küche und Bad

Die sichtbare Aussenschicht besteht aus einem Gelcoat. Dieser wird durch eine Glasfasermatte verstärkt und anschliessend mit Kunstharz getränkt.

Die einzelnen Rohmaterialien sind allesamt giftfrei und schon seit vielen Jahren im Einsatz.

Kein Serienprodukt

Zu beachten ist die Tatsache, dass der Werkstoff WSP kein Serienprodukt ist. Bei jeder WSP-Paneele wird der Gelcoat von Hand auf die GFK-Trägermatte gegossen. Diese Fertigungsmethode hat den Vorteil, dass sehr kundenbezogen produziert werden kann und jedes Element ein Unikat wird.

Eigenschaften

Trotz der geringen Materialstärke von nur 4 bis 5 mm ist das Material schlag- und bruchfest. Je nach Einbausituation kann das Material sogar tragend eingesetzt werden. Der Werkstoff ist alkali- und säurebeständig und zudem wasserfest.

Möglicher Einsatzzweck

Für den Einsatz im Bad oder in der Küche ist die folgende Eigenschaft interessant. Die Hitzebeständigkeit liegt bei 110 °C und kurzfristig bei bis zu 280 °C. So kann das Material auch als Küchenrückwand hinter dem Herd verwendet werden.

Da die Plattenoberfläche porenlos und somit hygienisch unbedenklich ist, bietet sich auch der Nassbereich als Einsatzort an. Anpassungen oder zusätzliche Ausschnitte, wie zum Beispiel Elektrodosen in der Küchenrückwand, können mit herkömmlichen Hartmetall- oder Diamantwerkzeugen gemacht werden.

Kratzer einfach wegmachen

Bei allfälligen Schäden in Form eines Kratzers kann mit einer Polierpaste und einem sauberen Lappen die Gelcoat-Oberfläche neu aufpoliert werden. Für Silikon- oder Farbrückstände kann ohne Probleme Aceton verwendet werden.

Imi-Beton – Zementmöbel vom Schreiner

Der Werkstoff «imi-beton» wird von der Tischlerei H. Schubert GmbH aus dem deutschen Wettringen hergestellt. Die Firma wird heute in dritter Generation von Peter Schubert geleitet.

Im Jahr 2000 entwickelte die Firma den Werkstoff «imi-beton» und hat seither eine ganze Palette von interessanten Materialien geschaffen. Was mit einer einfachen Mischanlage und einer Giessform in einer Holzscheune begann, ist heute eine moderne Plattenproduktion mit einem Händlernetz in Deutschland, Holland, Belgien und der Schweiz.

Beton war nur der Anfang

Bis heute ist die Werkstoffauswahl der Firma um Platten mit Belegen aus Rost, Stein und Altholz ergänzt worden. Die «imi-beton»-Werkstoffe gibt es in verschiedenen Oberflächenbeschaffenheiten.

So kann beim Betonbelag aus Glattschalung, Bretterschalung oder Vintage-Beton ausgesucht werden.

Damit kann der Schreiner die häufigsten Betonerscheinungsbilder in seinen Möbeln aufgreifen. Auch die anderen Plattenbelege der Firma, wie zum Beispiel die «imi-rost», überzeugen durch eine perfekte Imitation und bieten die Möglichkeit einer sauberen Bearbeitung.

Problemlose Verarbeitung

Die «imi-Werkstoffe bauen je nach Wunsch auf einem Träger aus MDF, HDF oder HPL auf und sind unproblematisch mit normalem Schreinerwerkzeug zu bearbeiten. Die Oberfläche ist fertig und benötigt keine weiteren Behandlungen. Wenn die Kanten auf Gehrung verleimt werden, ist überhaupt keine weitere Kantenbearbeitung notwendig. Der Belag lässt sich gut sägen und fräsen ohne auszureissen.

Wenn das Trägermaterial in 3-mm-HDF oder 0,9-mm-HPL gewählt wird, können sogar geschwungene Formen belegt werden.

Medite Tricoya – Hält der Feuchte Stand

Sobald ein Werkstoff für den Aussenbereich gesucht wird, sollte der Schreiner einen Blick auf «Medite Tricoya» werfen. Die Platte zeichnet sich durch ihre Haltbarkeit und Formstabilität aus. Gefertigt wird das Material in einer eigenen Produktionsanlage in Irland.

Eigenschaften

Die Verbindung von acetylierten Holzfasern und der speziellen Herstellungstechnologie machen die Platten sehr langlebig. Das Material ist zudem pilzresistent und sehr dimensionsstabil. Der Hersteller gibt eine Lebensdauer von 60 Jahren an und die Herstellergarantie beträgt ganze 50 Jahre.

Verarbeitung

In der Verarbeitung verhält sich der Werkstoff ähnlich wie eine normale MDF-Platte und kann mit dem herkömmlichen Werkzeug bearbeitet werden.

«Ich muss allerdings sagen, dass wir bei unseren Arbeiten gemerkt haben, dass die Fräser auf der CNC stärker abgenutzt werden», sagt Christof Dürr, Projektleiter der Schreinerei Zwicky AG. Im praktischen Einsatz ist die Beständigkeit des Werkstoffes erstaunlich. In einem betriebsinternen Vergleich, an der Werkstattfassade, mit einer lackierten wasserbeständigen MDF-Platte, zeigt die unlackierte «Medite Tricoya» keinerlei Veränderungen. Die MDF-Platte ist hingegen schon stark aufgequollen.

Passende Komponenten

Bei einer entsprechenden Widerstandsfähigkeit, sind natürlich die restlichen Komponenten umso mehr gefordert. So müssen alle Verleimungen wasserfest ausgeführt werden und die Beschläge und Schrauben müssen rostfrei gewählt werden.

www.zwicky-schreinerei.ch

Pep Clear – Die Deckschicht hält Beschläge

Dieser Werkstoff zieht ganz klar die Blicke auf sich. Die Herstellerfirma 3 Form kommt aus den USA und ist spezialisiert auf die Herstellung von Werkstoffen auf Kunststoffbasis. Der Vertrieb in Europa wird über die Zweigstelle in Rotterdam (NL) abgewickelt. «Die Bestellung war problemlos möglich. Aber man muss genügend Zeit einrechnen», weiss Thomas Flückiger, Inhaber der Flückiger Schreinerei GmbH aus Erfahrung zu berichten.

Viele Kantenmöglichkeiten

Was bei diesem Werkstoff beachtet werden muss, ist die Ausführung der Kanten. Ausgehend von der Dicke, der Deckschicht, müsste eine Schmalkantenbeschichtung möglich sein. Trotzdem bietet sich das Angebot des Herstellers, die Werkstücke gerade mit der gewünschten Kante auf Mass zu bestellen, an. Die Möglichkeiten sind zahlreich und lassen keine Wünsche offen. So können die Kanten als Einleimer oder nachträglich aufgeleimt bestellt werden. Es können ebenfalls verschiedenste Fasen auf Wunsch angebracht werden.

Wer lieber einen Kantenabschluss aus Aluminium wünscht, kann entsprechende Profile gleich mitbestellen und diese individuell anbringen.

Werkstoff ist formbar

Der Werkstoff kann auch in einer gewünschten Form hergestellt werden und ermöglicht so die Verwendung als dreidimensionale Verkleidung oder als Formteil. Auch eine Prägung in die Oberfläche ist möglich, um zum Beispiel ein Logo zu platzieren. Durch die Transparenz bietet sich der Werkstoff insbesondere zur indirekten Beleuchtung an.

Beschläge

Im Beispiel (Bild unten links) wurde mit den normalen Beschlägen gearbeitet. Durch die Deckschicht von zirka 3 mm können diese normal und ohne Einschränkungen befestigt werden.

www.fs-schreinerei.ch

Sperracolor – Zuschneiden fertig

Die Sperrag Jago AG aus Pratteln BL importiert mit dem Werkstoff «Sperracolor» einen produktionstechnisch interessanten Werkstoff. Die Platten werden mit einer fertigen Oberfläche geliefert.

Nach dem Zuschnitt und der Kantenbearbeitung müssen lediglich noch die Kanten mit Klarlack geschützt werden und die Oberflächenbearbeitung ist abgeschlossen. Die Farbauswahl wird laufend erweitert und den Trends angepasst. Die «Sperracolor Eco-Transparent»-Linie umfasst momentan zehn Standardfarbtöne. Für weitere Farbtöne kann sich der Schreiner direkt an die Herstellerfirma richten.

Eigenschaften

Die Platten werden mit einem Wasserlack lackiert und anschliessend mit einem widerstandsfähigen und transparenten Melaminharzfilm überzogen. Der Aufbau besteht aus geschältem Birkenfurnier und der Werkstoff ist durch die überkreuzende Verleimung sehr formstabil.

Verarbeitung

Hier liegt ein grosser Vorteil dieses Werkstoffes. Er lässt sich wie eine normale Sperrholzplatte bearbeiten. Zu beachten ist, dass die Platten einen kleinen Farbunterschied aufweisen können. Dieser ist produktionsbedingt durch die transparente Oberflächengestaltung gegeben.

So wird die Erscheinung je nach der Ausprägung des Holzbildes etwas heller oder dunkler rüberkommen. Bei grösseren Flächen, die aus mehreren Elementen bestehen, sollte das berücksichtigt werden. Laut dem verarbeitenden Schreiner ist der Unterschied aber sehr gering und lässt sich im Vorfeld einplanen

njg

 

Veröffentlichung: 13. März 2015 / Ausgabe 11/2015

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

«Einfach mal durchklicken»

Dokumentation.  Auf der Internetseite holzbaukultur.ch wächst eine Dokumentation heran, die den Werdegang des Holzbaus in der Schweiz begreifbar macht. Bis Ende des Jahres sollen 400 Gebäude online sein. Im Gespräch dazu Elia Schneider von der Berner Fachhochschule in Biel.

mehr
17. April 2024

Ein meisterlicher Botschafter

Parkettverband ISP. Im Schloss Laufen am Rheinfall fand die 55. Generalversammlung der Interessengemeinschaft Schweizer Parkettmarkt (ISP) statt. Ein abgekühlter Markt und der Mangel an Lernenden beschäftigt die Bodenlegerbranche auch in diesem Jahr.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Werkstoffe