Muster mit Mikroexplosion

In der Villa Hauterive erinnern die gravierten Trennwände an die Oberfläche des Neuenburgersees. Bild: Yves André

Gravur.  Graviertes Glas schmückt Möbel, schafft Raumatmosphären und dient gleichzeitig als Sicht- und Kollisionsschutz. Einzigartige Muster, abgestimmt auf das Gebäude, deren Bewohner und Umgebung, kreiert die Designerin Susanne Dubs.

Die Villa Hauterive hoch über dem Neuenburgersee ist von Licht durchflutet. Halbtransparente, gravierte Glaswände unterteilen den Raum und lassen doch die Sicht auf die Landschaft frei. Grossflächige Gravuren – abstrahierte Wellenbilder – an den Glaswänden zum Badezimmer schränken den Blick ein und schaffen Privatsphäre.

Feinste Ornamente schmückten bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Eingangstüren der Gründervillen. Damals mittels Ätzungen angebracht, begann man später die Muster mit Sandstrahlen auf die Glasoberfläche zu übertragen. Bei diesem Verfahren werden Strahlmittel mit Druckluft auf die Glasoberfläche geschleudert, die oberste Schicht wird aufgeraut, dadurch matt und undurchsichtig. Beide Verfahren werden heute noch industriell eingesetzt.

Brillant mit Laser

Die leistungsstarke Lasertechnik ist erst seit rund 20 Jahren marktreif, sie bietet noch grösseren Gestaltungsspielraum. Bei der Lasertechnik wird der Laserstrahl über zwei Spiegel abgelenkt. Dort, wo sich die zwei Laserstrahlen auf der Glasoberfläche treffen, wird eine Mikroexplosion ausgelöst. Dieser Punkt wird matt, aber die Oberfläche bleibt unberührt und glatt. «Mit Millionen Punkten zeichnen wir ein Bild ins Glas», beschreibt Dani Keller, Geschäftsleiter der Keller Glas AG in Winterthur ZH, das Verfahren. Jeder einzelne dieser Punkte reflektiert das Licht und wirkt dadurch brillant, gar leuchtend.

Die Keller Glas AG arbeitet seit 2013 mit Lasermaschinen. Glasscheiben mit einer Fläche bis zu 4,4 auf 2,2 Meter können in der Anlage graviert werden. Die Kosten für Lasergravuren sind vergleichbar mit jenen der Ätztechnik. Präziser sei das Gravieren mit Lasern, weil der Prozess maschinengesteuert ist und sich digitale Datensätze von Grafiken schablonenfrei auf die Oberfläche brennen lassen. Einfache Standardsujets ab Photoshop habe der Familienbetrieb anfangs auf die Gläser graviert. Handwerker seien sie, keine Designer, betont Keller. Deshalb haben sie mit Susanne Dubs eine professionelle Designerin hinzugezogen.

Dekor und Kollisionsschutz

Dubs, die gelernte Schriftenmalerin und Visuelle Gestalterin, hat sich auf das Design von Glasoberflächen spezialisiert. Sie nutzt die vielfältigen Möglichkeiten, die die Lasertechnik bietet: Sie hinterlegt Gravuren mit Farbenflächen, verspiegelt sie oder lässt dreidimensionale Formen erscheinen. Den brillanten Leuchteffekt unterstreicht die Gestalterin auch mal mit einer LED-Beleuchtung. Bei Schiebetüren setzt Dubs teils auch den Moiré-Effekt ein. Wo sich das Muster von den zwei Scheiben übereinanderschiebt, erscheint eine Bewegung im Bild – «ein reizvoller Effekt», findet Dubs und verweist auf die Eingangstüren des Shops im Inselspital Bern.

Die Anwendungen von Lasergravuren sind vielfältig. Als architektonisches Mittel im Innenausbau kommen Gravuren beispielsweise bei Glasduschen zum Einsatz oder als dekorative Rückwand in der Küche. An Türen, Trennwänden und Balkonbrüstungen dienen Glasgravuren nebst der Dekoration auch dem Sicht- und Kollisionsschutz.

Für die Keller Glas AG hat Dubs unterschiedlichste Designs kreiert. In der Motiv-Datenbank kann der Kunde zwischen Ornamenten, Rauten, geometrischen oder organischen Mustern, wie einem Blätterwald oder der stilisierten Darstellung von Mohnblumen, wählen. Es müssen Hunderte oder gar Tausende verschiedene Motive sein, die Dubs innert der letzten Jahre entworfen hat.

Auf Wunsch von Architekt oder Bauherr kreiert die Designerin auch Sujets abgestimmt auf das Gebäude, die Landschaft und die Vorlieben der Bewohner. Im Bündner Ferienhaus ziert die gläserne Balkonbrüstung Waldbilder und verweist damit auf die umliegenden bewaldeten Berge. Bei der Villa Hauterive oberhalb des Neuenburgersees bespielt Dubs die Trennwände mit Wellen und Wasserkräuseln, die an die Spiegelungen der Seeoberfläche erinnern.

Designerin mit Netzwerk

Mit Susanne Dubs habe sich die Keller Glas AG nicht nur einen «kreativen Kopf» in den Betrieb geholt, sondern auch gleich einige grosse Projekte, erzählt Dani Keller.

Bei der Villa Hauterive, der Heilpädagogischen Tagesschule in Biel und im Inselspital Bern haben der Glasspezialist und die Gestalterin bereits zusammengearbeitet. Dubs’ grosses Netzwerk mit Architekten ist wertvoll. Denn Wiederverkäufer entschieden sich noch selten für gravierte Gläser – dafür sei die Technik und auch deren Möglichkeiten zu wenig bekannt.

Wobei die exklusiven Gläser das Portfolio von Innenausstattern und Schreinereien bereichern könnten. Hebt sich doch gerade der Schreiner mit massgeschneiderten Lösungen vom Grosshersteller ab. Mit individualisierten Duschwänden, Balkonbrüstungen oder Küchenwänden könnte den Kunden ein zusätzlicher Mehrwert geboten werden. Beim Erweiterungsbau der Heilpädagogischen Tagesschule in Biel zogen die «Bauzeit-Architekten» Susanne Dubs bereits in der Entwurfsphase bei. Die Gestalterin entwickelte mehrere Vorschläge, die sowohl das Corporate Design der Schule als auch die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigten. Die Muster setzte sie von der Produktion bis zur Planung und Koordination mit den Handwerkern um. Durchgängig sind die Glasscheiben der grossflächigen Fenster und Türen graviert.

Leitsystem in der Schule

Geometrische Bilder, die fast unmerklich variieren – jedes Klassenzimmer hat ein eigenes Muster – und trotz der Vielfalt einheitlich wirken. Das Kunstbudget, das für den öffentlichen Bau bereitgestellt worden war, wollten die Bauzeit-Architekten nicht bis zum Schluss aufsparen, um es dann in eine Skulptur oder ein Bild zu investieren. Die Kunst sollte in das Gebäude integriert werden und einen architektonischen Mehrwert bringen. Mit der durchgängigen Gestaltung der Gläser sei das gelungen.

Die Gravuren sind dekorativ, aber immer auch nützlich. Sie dienen der Signalisation oder dem Sichtschutz in die Klassenzimmer. Nebst den Glasgravuren hat die Designerin auch passende Vorhänge entworfen und das Farbkonzept entwickelt. «In jeder Disziplin ist Dubs auf die Materialität eingegangen, hat probiert und getüftelt, bis es passte», beschreibt Peter Bergmann, Partner des Architekturbüros Bauzeit und federführend beim Erweiterungsbau, die Zusammenarbeit. Anders als Künstler, die einfach «ihr Ding» durchziehen wollen, sei Dubs klar prozess- und teamorientiert. Das gebe es nur selten, fügt der Architekt an.

Handwerk, Kunst und die Politik

Susanne Dubs ist Künstlerin, die fotografiert, gestaltet und mit Schulklassen Kunstprojekte umsetzt, und ist als gelernte Schriftenmalerin ebenso Handwerkerin. Bald nach der Ausbildung sei das alte Handwerk verschwunden, abgelöst von Folien und Klebern, erzählt sie. Profitiert habe sie trotzdem von der Ausbildung wie dem technischen Umgang mit den verschiedensten Materialien, der Form- und Farbgestaltung und interdisziplinär zu arbeiten. Diese Kenntnisse begleiten Dubs bis heute. Sie arbeitete nach der Lehre als Grafikerin, schloss später ein Studium für Visuelle Kommunikation an und gestaltete in einer Designagentur Produkte. Mehrere Jahre lang unterrichtete sie an Schulen.

Vor zehn Jahren spezialisierte sie sich auf das Gestalten mit Glas. Wunderschöne Effekte könne man mit Glas erzielen, erzählt die Gestalterin, die ihrem Beruf mit grosser Freude und Leidenschaft nachgeht. Nach einem Abstecher in den Magglinger Gemeinderat, in dem sie das Departement Bau, Verkehr und Energie leitete, fokussiert sie sich auf ihre Einzelfirma und gute Partnerschaften. Denn: Gute Zusammenarbeit funktioniert ähnlich wie die Lasertechnik: Dort wo zwei Strahlen aufeinandertreffen und eine kleine Explosion auslösen, wird ein Zeichen gesetzt, das vom Licht reflektiert zu leuchten beginnt.

www.susanne-dubs.chwww.kellerglas.chwww.bauzeit.com

Visualisierung

Muster auswählen

Auf der Website der Keller Glas AG findet sich eine Vielzahl an Motiven zum Auswählen. Wie das gewünschte Sujet in der Anwendung wirkt, zeigt Susanne Dubs anhand von Visuali- sierungen. Von der einzelnen Glasscheibe bis zur fertigen Duschwand oder der Balkonbrüstung koordiniert sie den gesamten Herstellungsprozess bis hin zur Lieferung und Montage. Nicht nur Glas, sondern auch passende Tapeten und Vorhänge gestaltet Dubs und bietet Farbkonzepte für den Innenausbau an.

HO

Veröffentlichung: 19. April 2018 / Ausgabe 16/2018

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