Nervenkitzel auf sicher

Julien Geiser (21) sucht in seiner Freizeit den Kitzel beim Freeriden und auf Skitouren. Bild: PD

Humpelnd erscheint Julien Geiser an der Haustür. «Nein, nein kein Bergunfall», sagt der Freerider beschwichtigend. Ein Auto sei mit 20 km/h in ihn reingefahren. Nur eine Prellung. Glück gehabt. «Die dümmsten Unfälle geschehen meist im Alltag und nicht auf einer anspruchsvollen Tour am Berg.» Der Extrem-Bergsportler sucht die unbekannten Gipfel, die steilen Couloirs, die nicht begangenen Wege. «Ich gehe praktisch nie alleine auf eine Tour.» Für ihn zähle vor allem das gemeinsame Erlebnis.Mit Freunden sportlich in der Natur unterwegs zu sein, zusammen draussen kochen und schlafen – da findet er sein Glück. Im Januar und Februar hat der Schreiner, der bei der Obrist Interior AG in Inwil LU beschäftigt ist, unbezahlten Urlaub genommen – ursprünglich um die Bergwelt Japans zu erkunden. Wegen Corona habe er dann aber den VW-Bus gepackt und sei mit einer Kollegin ins Wallis gefahren. Im Visier die Powderberge, rasante Abfahrten, unwegsames Gelände. Im Goms haben die beiden auf einer Höhe von 2100 m in einer selbst gebuddelten Schneehöhle übernachtet, um früh auf Skitour zu gehen. Danach suchte Geiser die besten Hänge im Tessin und in der Zentralschweiz. Die Anzahl der Tourengänger hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Viele haben wenig Ahnung beim Einschätzen von Gefahren. «Wenn ich Tourengänger kreuze, die zu spät dran sind, gebe ich ihnen einen Sicherheitshinweis und warne sie vor gefährlichen Stellen.»

Der Luzerner weicht den klassischen Skitourengipfeln aus. «Um die Masse abzuhängen, muss man länger zusteigen und mehr Höhe überwinden.» Das können an einem Tag dann schon mal 2000 Höhenmeter sein. Geiser mag es, schmale Couloirs runterzufahren. Sind diese zu eng, schnallt er sich die Skier an den Rucksack und seilt sich ab. Er mag den Nervenkitzel. Doch wo liegt für ihn die Grenze zwischen Sicherheit und Risiko? Der Schreiner überlegt und antwortet: «Risiko ist ein dehnbarer Begriff. Einige meiner Freunde behaupten, ich sei ein Spinner. Ich persönlich finde, dass ich zurückhaltend fahre. Ich schätze die Situation vor Ort genau ein. Dabei berücksichtige ich nicht nur die objektiven Kriterien. Wenn ich ein ungutes Bauchgefühl habe, dann vertraue ich darauf und verzichte auf die verlockende Abfahrt.» Geiser sucht die optimale Balance zwischen Thrill und Sicherheit. Dabei hält er sich auch strikt an die Wildruhezonen. «Ich möchte die Tiere nicht stören, schliesslich betreten wir ihr Revier.» Einmal sei ein Fuchs mitten auf der Skispur sitzen geblieben. «Ich habe einen weiten Bogen um ihn gezogen.» Die ersten Skitouren hat Julien im Alter von 13 Jahren mit seinem Vater gemacht. Bald darauf machte er seine eigenen Erfahrungen. Im Militär wurde er in die Truppe der Gebirgsspezialisten eingeteilt. Eine strenge Ausbildung. «Pro Jahr nehmen sie nur 80 Personen auf», sagt Geiser in seiner bescheidenen Art. Im Militär hat er sich nochmals viel Wissen und Können angeeignet. Er lernte zahlreiche Rettungstechniken, übte sich in der Beurteilung von Hängen, plante Routen und führte Gruppen sicher durch das alpine Gelände.

Der 21-Jährige hegt noch viele Träume: «Ich möchte mal eine längere Zeit in Kanada leben und arbeiten. Mich locken die weiten, einsamen Berge – und Schreiner sind in Kanada sehr gefragt.»

«Wenn ich ein ungutes Bauchgefühl habe, dann vertraue ich darauf und sehe von einer verlockenden Abfahrt ab.»

Caroline Schneider

Veröffentlichung: 29. April 2021 / Ausgabe 18/2021

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