Nicht ohne seine Kamera

Der gelernte Schreiner Helmuth Gehlken (81) ist passionierter Fotograf. Die obige Aufnahme wurde für den Euronatur-Wanderkalender 2003 ausgewählt.

Es geschah 1956 auf einer Bergtour zum Gifferhorn im Saanenland. Helmuth Gehlken sah sie in ihrem rosafarbenen Kleid und konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden. Er nahm sie ins Visier seiner Kamera und drückte den Auslöser. «Klick, Klick», die Blumenpracht – rosafarbene Polsterpflanzen, eingerahmt von frischem Grün – war im Kasten und Gehlken verzaubert. «Es war wie ein Virus, das mich befallen hatte.» Den Ruf der Berge hat er nie mehr aus dem Ohr bekommen. «Das war eine neue, faszinierende Welt für einen Flachländer wie mich», sagt er und lächelt. Auf Ski und mit Wanderschuhen erforschte er fortan die Alpen, oft alleine und oft mit seinen Kameraden vom Schweizer Alpenclub SAC, aber nie ohne seine treueste Begleiterin, die Kamera. Seine erste war eine Agfa Isolette mit Faltbalgen, eine Kamera, die ihm seine Familie mit auf den Weg in die Schweiz gab. Aufgewachsen in einem Dorf zwischen Hamburg und Bremen, horchte er als Kind halb fasziniert, halb verängstigt den Geschwadern amerikanischer Bomber. Als der Kriegslärm verstummt war, galt es für den jungen Helmuth bald über seine berufliche Zukunft zu entscheiden. «Bei uns auf dem Land wurde man damals Knecht oder Handwerker», erklärt er. Gehlken entschied sich für das Schreinern. Auf Wanderschaft fand er durch ein Stelleninserat in der SchreinerZeitung nach Gstaad. Ein knappes Jahrzehnt arbeitete er in einem Schreiner- betrieb und wechselte dann zur Post.

Die Fremde machte er sich schnell zur Heimat. Überwältigt von ihrer natürlichen Schönheit porträtierte er sie in tausenden von Bildern. «Beeindruckt hat mich immer wieder, was unter besonders schwierigen Bedingungen lebt: die ersten Blumen, die schon während der Schneeschmelze blühen, oder die anderen, die in Fels und Geröll wachsen», resümierte er 2009 in seinem Buch «Faszinierende Berge – Bezaubernde Flora». Dieses präsentiert auf 192 Seiten seine gesammelten Bilddokumente aus den letzten rund fünfzig Jahren. Die Bergwelt geniesst Gehlken still und leise. «Alleine erlebt man die Natur viel intensiver», erklärt er. Auf seinen Touren hat er schon vieles entdeckt und abgelichtet – Orchideen, die sich als Nahaufnahme ausnehmen wie kleine ausserirdische Tierchen, seltene Enzianarten, Liliengewächse, Polsterblumen. «Es ist schwierig, diese Eindrücke in Worten wiederzugeben, mit Bildern sind sie leichter zu vermitteln», sagt er. Gehlken hat gelernt, wann und wo die Blumen ihre Köpfe aus der Erde strecken. Andere Geheimnisse legt die Natur nur ungern offen – vor allem ihre tierischen Vertreter tanzen den Bilderjägern mit Vorliebe auf der Nase herum. Gehlken weiss: Der Zufall macht die schönsten Fänge. «Ich habe oft genug erfahren, dass man selten findet, was man sucht», sagt er.

Heute ist der 81-Jährige öfter mit der Gondel und dem Postauto als zu Fuss und auf Ski unterwegs. Wer nun glaubt, dass er sich langweilt, sobald der Winter seine dicke Decke über die Berge legt, hat weit gefehlt. Auf seinem iPad zeigt er Aufnahmen von Kranichen die in Keilformation durch den feurig roten Himmel in den Süden fliegen. «Ihr lautes Trompeten war wie ein wunderschönes Konzert», erzählt er begeistert.

Heute linst er mit der Kamera nach dem Kranich – die Grafen von Greyerz, die im Mittelalter ein grosses Gebiet bis ins obere Saanetal beherrschten, machten den wachsamen Beobachter zu ihrem Wappentier. «Es ist unheimlich spannend, sich hier auf seine Spuren zu begeben», sagt Gehlken – und es verkürzt die Zeit bis zur nächsten Schneeschmelze.

«Es ist schwierig, diese Eindrücke in Worten wieder-zugeben, mit Bildern sind sie leichter zu vermitteln.»

sas

Veröffentlichung: 29. Januar 2015 / Ausgabe 5/2015

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