Produktdesign für Menschen in Not

Patrick Müller (35) entwirft Möbel wie den Sessel aus Karton (v.), der sich aus einer Zügelkiste zusammensetzen lässt, oder den Sperrholz-Stuhl. Bild: PD

Das Gemeinschaftsatelier «Zur heiteren Forelle» ist eine helle, luftige Werkhalle im aargauischen Suhr, in der kreative Köpfe frische und unkonventionelle Ideen austüfteln. Einer davon ist Patrick Müller. Unter dem Namen Pamu konzipiert, entwirft und entwickelt er Produkte wie Zügelkisten aus Karton, die nach dem Umzug zu schlichten Möbeln umfunktioniert werden können. Oder einen Arbeitstisch, der eine Kombination aus Tisch und Wandregal ist und ohne Bohren und Schrauben an die Wand gelehnt wird. Für diesen «Lean on Desk» wurde er 2017 im Rahmen eines deutschen Designwettbewerbs mit dem «Iconic Award» ausgezeichnet, und ein Jahr später gewann er den «German Design Award». «Diese Auszeichnungen waren für mich natürlich eine Bestätigung», sagt der gelernte Schreiner. Mit zwei Kollegen hat er das Design- und Forschungsteam «Design for one World» ins Leben gerufen. Ziel ist es, Hilfsmittel zu entwickeln, um humanitäre Notlagen zu lindern. «Dieses Werkzeug entwarfen wir für den Südsudan», erklärt Müller, während er eine Art Sackmesser mit kleiner Sichel und kurzer Säge auf den Tisch legt. «Im Südsudan tobt seit Jahren ein Bürgerkrieg. Damit die Menschen trotzdem Häuser aus heimischen Materialien wie Gräsern und Lehm bauen können, brauchen sie ein geeignetes Werkzeug.» Eine Machete wäre dafür genau richtig. «Hilfsorganisationen verteilten eine Zeit lang Macheten. Diese wurden aber als Waffen missbraucht und durften deshalb nicht mehr abgegeben werden.» Um zu garantieren, dass dies nicht passiert, arbeiteten Müller und seine Kollegen unter anderem mit dem Forensischen Institut zusammen, welches das Werkzeug im Hinblick auf das Gefahrenpotenzial begutachtete.

Auch ein zweites soziales Projekt hält den 35-Jährigen auf Trab: Zurzeit wird in einem Flüchtlingscamp in Westafrika ein Händewaschsystem getestet, das er mit-entwickelt hat. Die Anlage wird ohne Energie und Chemikalien betrieben. Dank spezieller Membranen kann das Wasser einen Monat lang in einem geschlossenen Kreislauf verwendet werden. «Wir haben extra einen Spiegel montiert», erklärt Müller. «Da in Krisenregionen viele Menschen keinen Spiegel besitzen, funktioniert dies wie ein Magnet.» Die Anlage soll mithelfen, dass sich weniger Menschen mit Krankheiten anstecken. Speziell Kinder werden so spielerisch auf die Bedeutung der Hygiene aufmerksam gemacht. «Das höchste der Gefühle ist für mich, wenn ich mit Design mithelfen kann, gesellschaftliche Probleme zu lösen», sagt Müller.

Mit dem Handwerk kam er in Berührung, als seine Eltern ein Haus bauten. «Ich war damals 11 und begleitete meine Eltern oft zur Baustelle. Dort verfolgte ich gebannt die Arbeiten der Schreiner.» Der Zufall wollte es, dass Müller bei der Firma die Lehre machen konnte, die am Bau des Hauses beteiligt war. «Ich fand den Schreinerberuf von Anfang an toll. Nun bin ich eine Stufe vorher eingestiegen – beim Entwerfen, Zeichnen und Planen», erklärt er. Die Arbeit, der er als Industriedesigner in der «Heiteren Forelle» nachgeht, macht ihm grossen Spass. Der Name spielt übrigens auf die heitere Truppe im Atelier an und verweist auf einen nahegelegenen Bach, in dem es mal Forellen gehabt haben soll.

«Das höchste der Gefühle ist für mich, wenn ich mit Design helfen kann, gesellschaftliche Probleme zu lösen.»

fh

Veröffentlichung: 09. April 2020 / Ausgabe 15/2020

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