Sauber in die Kurve

Leicht verformbar und hygienisch rein: Lotte verbindet diese beiden Vorteile mit neuen Staron-Produkten. Bild: Lotte

Mineralwerkstoffe.  Das porenfreie, leicht zu reinigende Material bringt gerade in Zeiten der Pandemie Vorteile mit sich. Doch diese liegen nicht alleine in der Hygiene, sondern auch in der Flexibilität, im wahrsten Sinne des Wortes: Neue Produkte lassen immer engere Biegeradien zu.

Hygiene, Hygiene, Hygiene! Im Zug, in den Läden, beim Coiffeur. Wer nicht auf Hygiene achtet, gilt als Störer. Das hat natürlich seine Gründe und ist in der aktuellen Lage nachvollziehbar. Klar, dass das Thema auch im Innenausbau seinen Niederschlag findet. Und ebenso klar, dass sich die Anbieter von Werkstoffen und Beschichtungen dazu ihre Gedanken machen – machen müssen. Zum Beispiel jene, die Mineralwerkstoffe im Sortiment haben, diese für Schreiner verarbeiten oder Formteile verkaufen.

«Mineralwerkstoffe bieten in puncto Hygiene eindeutig die besten Oberflächen», sagt Rolf Baumgartner, Geschäftsführer der Studer Handels AG im zürcherischen Höri. Das Unternehmen vertreibt verschiedene Mineralwerkstoffprodukte, den Schwerpunkt legt es auf Staron. Zum Angebot gehören unter anderem Lavabos, Duschtassen und Badewannen. Der Einsatz in Nassräumen mache einen grossen Anteil aus.

«Die Hygiene steht im Moment im Fokus», sagt auch Yves Glauser, Geschäftsleiter der Kläusler Acrylstein AG mit Sitz in Bassersdorf ZH. Das Unternehmen hat in der Schweiz und in Liechtenstein die Exklusivvertretung für den Mineralwerkstoff Hi-Macs. Es vertreibt das Material, stellt Formteile her und berät Schreinereien bei der Verarbeitung. Das Einsatzgebiet von Hi-Macs ist breit, es reicht vom Spülbecken bis hin zu Fassadenelementen. Die Reinheit des Stoffs liefert ein schlagendes Argument bei all diesen Verwendungszwecken. Der Mineralwerkstoff ist porenlos und wird optisch ohne Fugen verarbeitet, verdreckt kaum und ist einfach zu reinigen.

Eine Mischung gegen Viren

Seit Jahrzehnten schwören Spitäler, Alterszentren, Arztpraxen und andere Gesundheitseinrichtungen auf Mineralwerkstoffe.

Und die Produzenten haben ihr Angebot darauf abgestimmt. Seit Längerem werden spezielle Platten gefertigt, die zusätzlich antibakterielle Eigenschaften haben. Die Wirkung wird bei den meisten Produkten durch die Zugabe von Silberionen während der Herstellung erreicht. Das ist ein offensichtlich effektives Verfahren im Kampf gegen bakterielle Verunreinigungen.

Jetzt gibt es auch gute Neuigkeiten in Bezug auf Viren – von der Meyer AG in Ennetbürgen NW. Die Schreinerei hat sich mit dem Werkstoff Varicor, den sie in der Schweiz exklusiv anbietet, ein Geschäftsfeld aufgebaut. Seit August kann das Varicor-Werk im elsässischen Wisches das Zertifikat eines französischen Labors für die antivirale Wirkung vorweisen. «Ab sofort sind alle Varicor-Platten und -Becken optional mit dieser Eigenschaft lieferbar», sagt Bruno Kiser (kleines Bild), Inhaber und Geschäftsleiter der Meyer AG. Gemäss Zertifikat des unabhängigen Prüflabors waren in den Tests nach einer Kontaktdauer von 120 Minuten auf dem Werkstoff mehr als 96 Prozent der aufgebrachten Viren eliminiert. «Das kann meines Wissens kein anderer Mineralwerkstoff bieten», sagt Kiser. Für den Versuch verwendete das Labor humane Coronaviren der Art HCoV-229E. Dabei handelt es sich nicht um den Erreger Sars-CoV-2, der für die aktuell grassierende Pandemie verantwortlich ist. Doch gehören beide Virenarten zur gleichen Familie und haben ähnliche Eigenschaften.

Der Hersteller hat die Entwicklung des Werkstoffs wegen Corona seit Anfang Jahr vorangetrieben. «Man hat auf das Virus reagiert und an einer neuen Zusammensetzung geforscht», sagt Kiser. Die neue Rezeptur verwendet Zusatzstoffe, die neben der antiviralen auch eine antibakterielle Wirkung haben. Mehr ist darüber noch nicht bekannt. «Die Informationen über das neue Produkt haben uns erst vor wenigen Wochen erreicht, es ist alles noch ganz neu.»

Grosszügiger in der Biegung

Doch die Hygiene ist nicht der einzige Trumpf, den Mineralwerkstoffe ausspielen können. Als Gemisch aus Aluminiumhydroxyd (zu etwa zwei Dritteln) und einem Kunststoff (zu einem Drittel) – meistens Polymethylmethacrylat (PMMA) – hat das Material die Eigenschaft, dass es sich unter Einfluss von Wärme sehr gut verformen lässt. Diesbezüglich sind in den letzten Monaten von verschiedenen Herstellern teilweise spektakuläre Neuentwicklungen auf den Markt gekommen (siehe unten).

Aber nicht alle Anbieter von Mineralwerkstoffen lassen sich durch solche Trends treiben. Das Unternehmen Varicor zum Beispiel, das gerade viel Innovationskraft in die antiviralen Platten gesteckt hat, scheint die Bemühungen der Konkurrenz gelassen zu nehmen. Varicor-Produkte basieren im Unterschied zu anderen Mineralwerkstoffen nicht auf Acryl, sondern auf einer Mischung von Copolymeren. Das Material ist nicht ganz so flexibel wie beispielsweise Hi-Macs, Staron oder Corian, die mit Acryl gebunden sind. Je nach Plattenstärke und Farbe können mit Varicor Biegeradien von 90 Millimetern erreicht werden. Das Unternehmen setzt deshalb bei der Herstellung von stark geformten, dreidimensionalen Teilen auf das Giessverfahren.

«Bei den Biegeradien stossen wir nur selten an die Grenzen», sagt Kiser. Die Meyer AG hat allerhand Lavabos, Duschwannen und Sonderformteile im Angebot. Und wenn es für einmal ganz eng um die Kurve gehen soll, könne man die Teile verkleben. Sichtbar sind die Fugen ja nicht.

www.varicor.ch




Farbig und extrem beweglich

LG Hausys mit Sitz im südkoreanischen Seoul, das Mutterhaus von Hi-Macs, tüftelt schon seit geraumer Zeit an Materialmischungen, die das Biegen mit extrem engen Radien zulassen. Schon vor rund zwei Jahren ging das Unternehmen mit einer kleinen Sensation an den Markt: Das damals lancierte Material Hi-Macs Ultra-Thermoforming ermöglicht Biegungen mit einem Innenradius von 6 Millimetern, die Verformbarkeit ist um rund 30 Prozent höher als bei herkömmlichen Platten. Doch dieses Produkt hatte noch eine Schwäche: Es konnte nur in der Farbe Alpine White angeboten werden. Für das extreme Biegen farbiger Platten hatte LG Hausys das Rezept noch nicht gefunden. Stein des Anstosses: Bei Mineralwerkstoffen hellt die Biegestelle auf, wenn der Radius sehr eng ist. In der Farbe Weiss ist dieser Effekt naturgemäss nicht sichtbar, also auch kein Problem.

Durchbruch mit dunklen Farben

Jetzt haben die Koreaner den Durchbruch geschafft. Mit dem vor einigen Monaten präsentierten Produkt Intense Ultra stösst Hi-Macs in die dunklen Sphären vor. Das Material ist ebenso flexibel wie das weisse Vorbild und zeigt dabei keine Verfärbungen. Die Platten sind in den drei Farben Black, Dark Grey und Grey erhältlich. Ein weiterer Pluspunkt: Die Oberfläche ist toleranter gegenüber Kratzern als bei herkömmlichen, gefärbten Platten. Für Yves Glauser (Bild) von der Kläusler Acrylstein AG eröffnet Intense Ultra deshalb viele neue Möglichkeiten. «Architekten mögen dunkle Farben. Bislang musste man immer darauf hinweisen, dass Kratzer gut sichtbar sind. Das ist jetzt sicher einfacher.» Dank der höheren Flexibilität sind neue Geometrien bei Lavabos möglich.

www.himacs.ch




Faltbar wie Papier

Im Frühling hat das südkoreanische Unternehmen Lotte das Produkt Staron Super Flex auf den Markt gebracht. Mit ihm nimmt es die Tendenz auf, dass mittels Thermoforming immer kantigere Geometrien gebogen werden. Staron wird diesen Anforderungen mehr als gerecht. Der minimale Innenradius einer Super-Flex-Platte beträgt 0 Millimeter. Das Material kann also wie ein Blatt Papier gefaltet werden – ohne dass es bricht. In einem Test konnte eine doppelt so grosse Dehnbarkeit wie bei einer herkömmlichen Mineralwerkstoffplatte nachgewiesen werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich das Thermoforming einer Super-Flex-Platte bereits ab einer Temperatur von 140 Grad durchführen lässt, was leicht unter dem bisherigen Wert ist.

Ein Material, das in der Verarbeitung fast kein Limit mehr kennt, hat natürlich seinen Reiz. Lotte ist mit der Entwicklung von Staron Super Flex im Rennen um die beweglichsten Platten vorne dabei. Erhältlich ist das Material in der Farbe Bright White, also nicht in dunklen Farbtönen. Für Rolf Baumgartner (Bild) von der Studer Handels AG ist das aber kein bedeutender Nachteil. «80 Prozent der Produkte, die bei uns nachgefragt werden, sind ohnehin weiss, weil sie in den Nassbereich kommen.»

Der Vertrieb von Staron Super Flex ist erst angelaufen, weshalb bei der Studer Handels AG diesbezüglich noch nicht viele Anfragen eingegangen sind. «Wir sind aber bereit und können liefern», sagt Baumgartner.

www.staron.ch




Mit ausgereifter Technik

Corian aus dem Hause des US-amerikanischen Chemiekonzerns Dupont ist einer der bekanntesten Mineralwerkstoffe. Auch im Corian-Sortiment gibt es Spezialplatten mit einem höheren Acrylanteil, damit sie sich mit engeren Radien biegen lassen. Die deutsche Hasenkopf Industrie-Manufaktur ist ein Grossverarbeiter von Corian. Auf Anfrage heisst es, man experimentiere seit vielen Jahren mit verschiedenen Verformungstechniken. «Heute ist die Technik so ausgereift, dass hochkomplexe Möbelfronten und kleinste Objekte wie zum Beispiel Kleiderbügel realisiert werden können.»

www.hasenkopf.de

Martin Freuler, mf

Veröffentlichung: 10. September 2020 / Ausgabe 37/2020

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