Schreiner erfindet das Rad neu

Die Fahreigenschaften seines Holzvelos überzeugen Christian Kunz (58). Deshalb hält er bereits einen neuen Rohling in der Hand. Bild: Beatrix Bächtold

Bei der Gewerbeausstellung im zürcherischen Dielsdorf sorgte ein Velo aus Holz für Aufsehen. Vater dieser alltagstauglichen Skulptur auf Reifen ist Schreiner Christian Kunz. «Mit Holz ist man für Fahrzeuge aller Art nie auf dem Holzweg. Es verhält sich in vielen Bereichen wie Karbon und ist ideal zu bearbeiten», erzählt der Tüftler. Sowohl Karbon als auch Holz sind Faserverbundwerkstoffe. Während Karbon aber ein technisches Produkt ist, gilt Holz als Gegenvorschlag der Natur, eine natürliche Struktur, bestehend aus Cellulose-Fasern, eingebettet in einer Matrix aus Lignin. Ende Juli 2018, nach dem Studium unzähliger Anleitungsfilme im Internet, legt der Schreiner los. Seine gesamte Freizeit investiert er, nimmt extra zwei Wochen Ferien und macht die Nacht zum Tag. Für sein Projekt darf er die Werkstatt der Schreinerei Schäfer AG benutzen, wo er bisher sein ganzes Arbeitsleben verbracht hat. «Im Gegenzug stellte ich das Velo an der Gewerbeausstellung am Stand meines Arbeitgebers aus», sagt er. Kunz ist in der Velohochburg Steinmaur ZH aufgewachsen, wo die meisten der rund 3500 Einwohner ein bisschen fahrradverrückt sind. Immer Ende Oktober lockt hier das Radquer die Velogrössen des Landes an. Ob Bahn- oder Strassen-Schweizermeisterschaft – die Velocracks des Veloclubs Steinmaur sind immer vorn dabei. Es wird sogar gemunkelt, dass ein echter Steinmaurer bereits bei der Geburt strampelt, damit er sich später schnell auf einem Velosattel zurechtfindet.

«Mit Holz ist man für Fahrzeuge aller Art nie auf dem Holzweg. Es verhält sich in vielen Bereichen wie Karbon und ist ideal zu bearbeiten.»

Doch nun zurück zum Holzvelo. Für den Ausführungsplan kopiert der Erbauer Grösse, Geometrie und Winkel seines «normalen» Fahrrads. Als ersten Schritt fügt er drei Bretter mit dem Verleimfräser zu einem Dreieck, dem späteren Rahmen, zusammen. «Die feste und zugleich elastische Esche ist dazu prädestiniert. Damit sich der Rahmen später nicht verzieht, nahm ich Rift oder Halbrift, jedenfalls aber kein liegendes Holz», erklärt er.

Pro Rahmen benötigt er zwei dieser Dreiecke, die er mit der Oberfräse sorgfältig aushöhlt und zusammenfügt. Das fertige Velo bringt 10,5 Kilo auf die Waage und ist damit ein bisschen schwerer als ein durchschnittliches Rennvelo. «Ich bin kein Risiko eingegangen. Lieber etwas schwerer, dafür stabil», erklärt er. «Alles echte Handarbeit und ohne CNC-Maschine», fährt er fort und pfeift durch die Zähne. Dabei habe er viel Zeit mit Hobeln und Schleifen verbracht. Inklusive Planung und Zusammenbau investierte Kunz rund 100 Stunden Arbeit.

«Wenn es nicht unverkäuflich wäre, müsste ich über den Daumen 10 000 Franken aufs Preisschild schreiben», sagt er. Und weil der Prototyp so gut gelungen ist, fertigt Kunz gleich auch ein zweites Velo für seine Frau an, diesmal aus Räuchereiche. «Meine Frau meint, dass sie sich auf dem Velo aus Holz sicherer fühlt. Vielleicht ist es nur ein Gefühl, weil sie weiss, wie sorgfältig und stabil ich es gebaut habe», sagt Kunz.

Gefühl oder Tatsache? Wer kann das schon genau sagen. Eines ist jedoch sicher, auf der Strasse fallen die ungewöhnlichen Fahrzeuge auf. Velofreaks und Leute vom Holzfach schauen dem Fahrzeug nach. «Aber es sprechen uns auch Menschen an, die mit beidem nichts am Hut haben», sagt Kunz.

Einerseits freut es ihn, dass sein spezielles Velo so viel Wertschätzung erlebt. Andererseits aber hat die Beliebtheit auch ihre Schattenseiten. So parkt Kunz sein Prunkstück nur bei sich in der Stube. Er sagt: «Man müsste es doppelt und dreifach sichern und zusätzlich noch mit Adlerblick im Auge behalten.»

beb

Veröffentlichung: 18. Oktober 2018 / Ausgabe 42/2018

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