Schreiner lässt sich nicht behindern

Im Modell der «Panta Rhei» hat Matthias Reimmann (39) den Verlobungsring für seine Frau Janka versteckt. Bild: Beatrix Bächtold

Schreiner Matthias Reimmann ist ein glücklicher Mensch. Er hat ein Häuschen am Stadtrand von Winterthur ZH, einen treuen Hund und drei stolze Katzen. Und wenn er mit dem Geschäftsauto der Schreinerei Steinmann AG zur Arbeit fährt, so macht er das, nach vielen Berufsjahren, immer noch mit Freude.

Aber Reimmann ist anders als viele andere Menschen. Wegen eines Gendefekts fehlen dem 39-Jährigen seit der Geburt zwei Finger an jeder Hand, und er hört schlecht. Im Alltag merkt man das dem Schreiner-Avor nicht gross an. Was man aber sofort merkt, ist seine Geduld, seine Liebenswürdigkeit und sein feiner Sinn für Humor. Speziell an ihm ist auch die Freude, etwas zu planen und dann mit den Händen zu erschaffen. «Bei der Lehrstellensuche schnupperte ich nur an zwei Orten. Auch später bei der Jobsuche waren die fehlenden Finger nie ein Problem», erzählt er. Seine Eltern unterstützten ihn moralisch, wenn es darum ging, möglichst selbstständig zu bleiben. Als eine Fachperson vorschlug, ihrem Sohn in der Primarschule eine technische Schreibhilfe zur Verfügung zu stellen, lehnten sie ab. «Sie sagten, das komme nicht infrage, ihr Bub lerne mit der Hand zu schreiben», erinnert sich Reimmann. «Damit zeigten sie mir, dass es in Ordnung ist, gewisse Sachen auf meine Art zu machen.» Und so dreht der Schreiner den Schraubenzieher halt mit drei Fingern, und wenn er eine Platte heben muss, so tut er das mit einem Plattengriff. Reimmann hat seinen Traumberuf gefunden – und über eine Partnervermittlung für Menschen mit Handicap auch seine Traumfrau.

Für das erste Date verabredete sich das Pärchen auf dem Zürichseeschiff Panta Rhei, und da muss es wohl sofort gefunkt haben. «Mir gefiel ihre offene, fröhliche Art, und dass Janka stark sehbehindert ist, habe ich gar nicht richtig wahrgenommen», sagt Reimmann.

Als Verpackung für den Verlobungsring baute der Tüftler ein massstabgetreues Modell ihres Glücksschiffs aus Ahornholz. Dreht man aussen an einer Kurbel, so setzt sich im Inneren ein Lift in Bewegung, der den Verlobungsring zutage fördert. Die Hochzeitsfahrt fand – wie hätte es auch anders sein können – auf einem Schiff statt. Seitdem trägt Matthias Reimmann seine Janka auf Händen und versucht, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Mithilfe seines Bruders renovierte er das Häuschen, das er von seinen Eltern übernehmen konnte.

Der frischgebackene Ehemann verlegte Laminat und schreinerte eine Bar samt Barhockern. Auch der von Arthrose geplagte Hund Django profitiert davon, dass sein Herrchen Schreiner ist. Neuerdings gelangt er über einen Steg, «Made by Reimmann», auf den Pflegetisch. Nach der Arbeit kümmert sich Reimmann um den Garten und seine Frau um den Haushalt.

Um ihr das Kochen zu erleichtern, hat er in die Aludeckel der Vorratsbehälter die Namen der Gewürze in Blindenschrift eingestanzt. Weil es im Haus einige Schwellen gibt, hat sich das Ehepaar bis jetzt noch keinen Saugroboter angeschafft. Aber wer wie Matthias Reimmann im Leben schon so viele Hindernisse überwunden hat, weiss auch für dieses Problem eine Lösung: «Dann baue ich halt winzige Rampen.»

«Bei der Lehrstellensuche schnupperte ich nur an zwei Orten. Auch später bei der Jobsuche waren die fehlenden Finger nie ein Problem.»

beb

Veröffentlichung: 05. Juli 2018 / Ausgabe 27/2018

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