Schreiner rettete ein Denkmal

Schreiner und Holzbildhauer Roger Aschilier (48) arbeitete sechs Sommer lang am alten Walliserhaus. Bild: Beatrix Bächtold

Bescheiden und trotzig zugleich steht das «Lorihiischi» gegenüber dem Schuttkegel des Bergsturzes, der hier 1991 zu Tal donnerte. Von der Sonne schwarz gebrannt sind seine Wände aus Lärchenholz, und wer durch die Tür mit der Jahreszahl 1686 will, der muss sich erst einmal bücken. Die Menschen hier in der Gemeinde Randa im Oberwallis haben gelernt, mit der Natur zu leben und auch mal mit wenig zurechtzukommen. So wie die vier Frauen aus drei Generationen, die hier in diesem Haus weitgehend als Selbstversorger ihr Leben gemeistert hatten. «Geht man in dieser Bergregion nur 50 Jahre zurück, dann ist man im Mittelalter», sagt der Schreiner und Bildhauer Roger Aschilier. Und dann erzählt er, dass weder Sturm noch Schnee, weder Bergsturz noch Lawinen das Lorihiischi gebodigt hatten, sondern vielmehr die Armut seiner Bewohnerinnen. Als die letzte 1996 starb, war das Haus extrem baufällig, und die Gemeinde fragte sich, was man damit anfangen sollte. Man holte den Rat Aschiliers ein. Dieser erkannte anhand der Bauweise sofort, dass das Haus viel älter war als bisher angenommen. Daraufhin entnahm ein Gutachter der Rundholzwand Proben für eine dendrochronologische Untersuchung. Diese ordnet die Jahresringe von Bäumen anhand ihrer Beschaffenheit einer bestimmten Wachstumszeit zu, auf drei Monate genau. Die Wissenschaft stützte Aschiliers Vermutung: Teile dieses Lorihiischi stammen aus dem Jahr 1268. Sofort waren sich die Verantwortlichen einig, dass dieser historisch wertvolle Zeitzeuge ins Leben zurückfinden muss.

Altes Brauchtum sollte unter das Dach aus Granit und Quarzit zurückkehren und Ausstellungen sollten zeigen, wie die Vorfahren mit einfachsten Mitteln ihr Leben meisterten. «Vom Korn zum Brot, von der Wolle zum Stoff. Die Menschen des World Wide Web werden staunen», sagt Aschilier. Zur Finanzierung gründete man die Stiftung Wohnmuseum Randa. Private, Unternehmen, Institutionen legten zusammen, und nach einigen Jahren der Planung beauftragte man Aschilier mit der Ausführung. Unterstützt von zwei treuen Kollegen, einem Maurer und einem Elektriker, ging er ans Werk. Er schichtete die Grundmauern neu und ergänzte die Wände. «Beim Auswechseln der faulen Wände stand das Lorihiischi zeitweise nur noch auf einer oder auf zwei Wänden. Das war eine statische Herausforderung», sagt er. Aschilier zog auch die Böden ein. Dort, wo Schlüssel oder Beschläge fehlten, schmiedete er sie in seiner eigenen Schmiede nach. Sogar der 300 Jahre alte Giltsteinofen in der Stube glänzte nach der Renovation wieder. Als Absolvent der Schule für Holzbildhauerei in Brienz BE hatte Aschilier zudem das Know-how, die Balken mit Ornamenten zu verzieren. In seiner Schreinerei in Herbriggen restaurierte er Türen und Möbel. «Meistens aus altem Arvenholz – ruhig, gut zu bearbeiten und resistent gegen Insektenbefall. Jedes alte Stück Holz in diesem Haus hat seine Geschichte, und es ist mir wichtig, diese weiterleben zu lassen.»

Das Holz hatte er aus Abbruchobjekten gesammelt und es bei sich eingelagert, lange bevor er vom Lorihiischi wusste. Ganze sechs Sommer seines Lebens steckte Aschilier in dieses Projekt. «Früher haben die Leute mit einfachen Werkzeugen Dinge gemacht, die Jahrhunderte überdauerten. Heute in unserer Wegwerfgesellschaft sollte man sich daran zurückbesinnen», erklärt er seine Motivation. Und so hat die 388-Seelen-Gemeinde Randa seit dem 10. August 2019 neben der längsten Fussgänger-Hängebrücke der Welt – Schreiner sei Dank – einen zweiten Superlativ auf ihrem Gebiet: das älteste, erhaltene Wohnhaus weit und breit.

«Geht man in dieser Bergregion nur 50 Jahre zurück, dann ist man im Mittelalter.»

beb

Veröffentlichung: 10. Oktober 2019 / Ausgabe 41/2019

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