Schreinern wie im Labor

Muñoz hat sich mit seiner Möbelwerkstatt selbstständig gemacht. Bild: Taller Aureo

Schreinerlehre in chile.  Eine Schreinerlehre wie die in der Schweiz gibt es nicht überall. In Chile lernen die jungen Handwerker in kleinen Design-Werkstätten, wie man Möbel macht. Paulo Muñoz erzählt, wie er in seiner Werkstatt «Taller Aureo» Lernende unterrichtet.

Paulo Muñoz bringt in Santiago de Chile anderen das Schreinern bei. In seiner Werkstatt «Taller Aureo» zeigt er seinen Lernenden, wie man mit Werkzeug und Maschinen umgeht und wie man damit schliesslich ein Möbel entstehen lässt. Seine Philosophie ist es, mit einer Mischung aus Möbelschreiner und Architekt an die Dinge heranzugehen. Er selber nennt das «Furnitecture».

 

Schulbücher gibt es keine

«In Chile gibt es gerade einen Trend hin zum Handwerk», sagt Muñoz, «es scheint, als hätten die Leute die Digitalisierung satt.» Das drücke sich dadurch aus, dass einige seiner Lernenden kaum daran interessiert seien, Schreiner zu werden. «Sie wollen einfach ihr eigenes Möbel kreieren.» Sie suchten in den Kursen Abwechslung, so wie andere Yoga machten. «Auf der anderen Seite gibt es aber auch jene, die möglichst viel über das Holzhandwerk lernen wollen, um am Ende ihr eigenes Möbelgeschäft aufzuziehen.» Muñoz benutzt ein Whiteboard für die Theorie und die Werkstatt für die Praxis. Schulbücher gibt es keine. «Jeder Prozess ist anders, es wird viel experimentiert. Es ist sozusagen ein Versuchslabor.»

 

Lehre für Fenster und Türen

«Obwohl das Interesse an der Möbelherstellung stetig wächst, ist Möbelschreiner kein erlernbarer Beruf in Chile», sagt Muñoz. Es gibt Institutionen, bei denen man lernt, wie man Fensterrahmen und Türen herstellt. Das Herstellen von Schränken, Stühlen und anderen Möbeln lernt man jedoch in kleinen Werkstätten, die Kurse anbieten, wie in jener von Paulo Muñoz. Als er hört, dass Schreinerlernende in der Schweiz in einer mehrjährigen Lehre ausgebildet werden, mit einem Lernendenbetreuer an der Seite und Unterricht in der Berufsschule, ist er begeistert. «Das klingt ja grossartig und sehr inspirierend», sagt er dazu. Wer in Chile Schreiner werden will, besucht so viele Kurse wie möglich, kauft Werkzeuge und stellt Möbel her, bis er das gut beherrscht. Vieles lernt man über Youtube-Videos.

 

Viele setzen auf Massenware

In Santiago de Chile kaufen die meisten Leute ihre Möbel und Inneneinrichtungen bei grossen Händlern, die importierte Ware anbieten. «Dort findet man günstige Möbel, die gut aussehen, aber von so schlechter Qualität sind, dass sie kaum ein Jahr halten.» Auf der anderen Seite gibt es eine wachsende Gemeinde von jungen Designern und Architekten, die eigene, handgemachte Einzelstücke anfertigen und ihre Ware auf Instagram präsentieren. Auch wächst das Bewusstsein bei jungen, modernen Leuten, die sich Einzelstücke leisten können. Sie erkennen, dass Massenware einen negativen Einfluss auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft hat, und kaufen eher lokale und handgemachte Produkte.

 

Sie entdecken das Handwerk

Weil Paulo Muñoz Architektur studiert hat, ähnelt sein Arbeitsprozess sehr jenem eines Architekten. Der Schüler bringt eine Problemstellung mit, und Muñoz übersetzt diese in einen neuen, ausgearbeiteten Designvorschlag. Seine Lehrmethode ist es, den Lernenden in den kompletten Prozess miteinzubeziehen und als Team zu arbeiten. Seine Schüler lernen in sechs oder sieben Sitzungen alles, was sie über den Umgang mit Werkzeugen, über Sicherheit und über Designkonzepte wissen müssen. Sie lernen, mit Band- und Kreissägen richtig umzugehen und Bohr- und Schleifmaschinen sicher zu benutzen. Und sie lernen, den Nutzen zu berechnen und einfache Dübel- und Zapfenverbindungen anzuwenden. Muñoz ist sich bewusst, dass die Lernenden damit noch keine Schreiner sind. «Aber sie entdecken so das Handwerk.» Sie bekommen ein Gespür für das Holz und den Herstellungsprozess. Das Ergebnis sind ein einzigartiges Möbelstück und ein Lerneffekt für Lehrer und Lernende.

www.instagram.com/talleraureo

AJ

Veröffentlichung: 06. September 2018 / Ausgabe 36/2018

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