Sein Leben ist auf Holz gebaut

Fritz Zorn (90) in seinem Wohnzimmer, hinter ihm stehen Holzfiguren. Bild: SZ, Martin Freuler

Fritz Zorn fand ein altes Sägeblatt. Irgendwie gelang es ihm, daraus eine Art Schnitzmesser zu basteln. Mit diesem begann er, aus einem alten Stück Holz eine Skulptur zu formen. Das ging «mehr schlecht als recht», sagt er, doch mit viel Geduld habe er schliesslich eine Bärenfigur zustande gebracht. Zorn, der Nichtraucher, hat dafür von einem Engländer 20 Zigaretten bekommen. Er benutzte diese, um sie gegen Dinge einzutauschen, die ihm mehr nützten als Raucherwaren. Das war 1945. Fritz Zorn war 21-jährig, aber sein Leben hatte gerade neu begonnen. Er war einer von mehreren Tausend im nordägyptischen Gefangenenlager Tel-el-Kebir. Sie alle waren von Adolf Hitler und seinen Gehilfen in den Krieg gegen die Welt geschickt worden und fielen irgendwann den Engländern statt dem Tod in die Hände. Für Zorn war die Gefangenschaft wie eine Befreiung, nachdem er die Kriegsgräuel an der Ostfront, in Jugoslawien und in Italien miterlebt hatte. «Das Schlimmste schien überstanden zu sein.» Zorn, der gelernte Schreiner aus Grossdubrau in Sachsen, vertrieb sich jetzt die Zeit mit Schnitzen. Er fertigte Figuren und Holztablette mit Intarsien an und verkaufte sie an die englischen Wächter, was eigentlich verboten war. «Langsam wurde mein Geschäftssinn wieder geweckt.» Der Geschäftssinn, der ihn Jahre später im zürcherischen Effretikon zu einem angesehenen Schreinermeister machen sollte. In die Schweiz kam Zorn nach der Freilassung 1947. Seine Mutter und sein Stiefvater, ein nach Sachsen ausgewanderter Schweizer, waren nach dem Krieg nach Speicher im Kanton Appenzell Ausserrhoden gezogen. Zorn wollte nicht zurück ins zerbombte Deutschland und folgte der Familie in die Ostschweiz.

Der junge Mann konnte wieder in den Schreinerberuf einsteigen. Mit viel Fleiss und grossem Geschick tat er sich hervor. Er war ein guter Schreiner, ehrgeizig, und er wollte beruflich weiterkommen. Damit stiess er nicht immer auf Gegenliebe, zumal er für manche der «zugewanderte Deutsche» blieb. Er war 1956 der erste Ausländer seit dem Krieg, der auf dem Bürgenstock die Meisterprüfung des Schreinermeisterverbands ablegte, bei dem er später Ehrenmitglied wurde. Das erfüllte ihn mit Stolz. Die Einbürgerung folgte 1964.

Per Inserat in der SchreinerZeitung suchte Zorn 1959 eine neue Stelle als Betriebsleiter. Es meldete sich eine Witwe aus Effretikon bei ihm, welche die Schreinerei ihres verstorbenen Mannes übernommen hatte und Entlastung suchte. Zorn wurde Geschäftsleiter und baute den Betrieb, der wirtschaftlich am Abgrund stand, wieder zu einem blühenden Unternehmen auf. In den 60er-Jahren wurde er Teilhaber, 1973 alleiniger Besitzer der Effretiker Schreinerei Wettstein + Zorn, bis er im Jahr 1990 in den Ruhestand ging.

Auch privat ist Fritz Zorn glücklich geworden. 1950 heiratete er seine Frau Erika, mit der er bis heute sein Leben teilt. Drei Töchter und eine Enkelin haben sie, von allen hängen Porträts im getäferten Wohnzimmer. Ein massiver Holztisch steht da, selber gebaut, und unzählige Schnitzfiguren. Die letzte Figur schnitzte Zorn vor etwa zwei Jahren. Im Keller hat es noch Holz, doch ihm fehlt die Kraft.

Fritz Zorn sitzt im Sessel. Das Gehen fällt ihm schwer, die 90 Jahre und die Anstrengungen des Lebens drücken auf die Knie. Neben ihm steht ein Kopf aus Holz, ein Selbstbildnis, das er vor einigen Jahren geschnitzt hat. Er habe sein Leben gelebt und lebe es noch heute, schrieb Zorn einst in seiner Biografie. «Doch fragte mich jemand, ob ich dieses Leben, das ich nicht missen möchte, nochmals von vorne beginnen wollte, ich würde in klarem Bewusstsein Nein sagen.»

«Die Gefangenschaft war wie eine Befreiung: Das Schlimmste schien überstanden zu sein.»

MF

Veröffentlichung: 20. November 2014 / Ausgabe 47/2014

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