Selbstverständliche Schlichtheit

Bild: Vitra Design Museum

Überlieferung.  Zierrat aller Art war für die Religionsgemeinschaft der Shaker ein Unding. Ihre Möbel und Gebrauchsgegenstände haben eine ganz eigene, schlichte Eleganz, die heute noch exemplarisch ist. Davon zeugt eine Ausstellung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein (D).

Heute gibt es nur noch genau zwei einzelne Personen von ihnen, und die leben beide in der letzten aktiven Shaker-Gemeinde im Bundesstaat Maine. In ihrer Hochphase zählte die Religionsgemeinschaft der Shaker 6000 Mitglieder, verteilt auf etwa 20 eigenständige Gemeinden in den USA. Die Bewegung war Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden. Auf der Basis ihres Wertesystems und ihres Strebens nach perfekter Ordnung und Struktur entwickelten sie eine einzigartige Gestaltungskultur, die auf jeglichen Zierrat verzichtete. War irgendwann die perfekte Form gefunden, die ideal dem angestrebten Zweck diente, wurde diese seriell produziert und nur noch in Feinheiten weiterentwickelt. Es entstanden zeitlose Haushaltsgegenstände und Möbel in minimalistischer Schlichtheit.

Die Shaker inspirieren Handwerker und Designer bis heute. «Jede Kraft bringt eine Form hervor», schreiben die Shaker über ihre Grundsätze. «Alles, was seinen Zweck vollkommen erfüllt, verdient es, vollkommen genannt zu werden. Durch Ausprobieren finden wir heraus, was am besten ist, und wenn wir etwas Gutes gefunden haben, bleiben wir dabei.» Gegenstände zu benutzen, die überflüssig bearbeitet, verziert oder geschmückt waren, war für sie undenkbar. Solche Objekte könnten womöglich die Sünde des Hochmuts fördern. Die Formen ändern sich trotz allem leicht mit dem Zeitgeschmack. Ihren Grundsätzen bleiben die Shaker dennoch treu.

Zeitlose Formensprache

Gemeinsam ist den von Shakern geschaffenen Gegenständen und Möbeln ästhetische Schlichtheit, die sich der Funktionalität unterordnet. Im Vitra Design Museum in Weil am Rhein (D) in der Nähe von Basel sind im Moment etwa 150 Originalexponate ausgestellt, die mehrheitlich aus dem Shaker-Museum in Chatham, New York, stammen.

Der Inbegriff des Shaker-Designs sind Stühle, die höchste handwerkliche Qualität mit einer reduzierten, zeitlosen Formensprache verbinden. Auch Schränke, Kommoden und Tische sowie Arbeitsutensilien schufen die Shaker nach den Bedürfnissen ihrer Gemeinschaft. Sie verkauften sie aber auch in grossen Mengen, um das Gemeinschaftsleben zu finanzieren. Dabei erwiesen sie sich als findige Unternehmer und Geschäftsleute. Die Herstellungsschritte wurden optimiert und standardisiert, um möglichst produktiv zu sein und trotzdem höchstmögliche Qualität zu produzieren.

Benutzt wurde jeweils das Material, das vor Ort vorhanden war, etwa die Holzarten, die in der Nähe wuchsen. Diese wurden nach Beständigkeit und Ästhetik ausgewählt. Zu ihren Bestsellern zählten ovale Spanschachteln, Handarbeitsutensilien, Möbel und allen voran und natürlich ihre berühmten Stühle, die in verschiedenen Varianten und acht Grössen vom Kleinkinderstuhl bis zum Hochstuhl angeboten wurden, je nach Körpergrösse ihrer Benutzer. Mit wenigen zusätzlichen Teilen konnten diese Stühle auch als Schaukelstuhl angeboten werden.

Stuhl mit Kippmechanismus

Für jedes Problem liess sich eine Lösung finden. Mitglieder der Gemeinde störten sich beispielsweise daran, dass andere gern ihre Stühle an die Wand kippten. «Es ist nicht richtig, unsere Stühle in unseren Häusern oder anderen anständigen Gebäuden an die Wand zu lehnen, auch nicht an Betten oder Möbel», heisst es daher in einer Schrift von 1821. In der Folge entwickelten sie einen Mechanismus, der den Stuhl beim Setzen von selbst leicht nach hinten neigt. Kugeln an den hinteren Füssen des Kippstuhls drehen sich in die passende Position, wenn man sich nach hinten lehnt. Alle Stuhlfüsse bleiben dabei fest auf dem Boden. Diese und andere Erfindungen liessen sich die Shaker patentieren, um ihr Wissen zu schützen. Alle ihre Möbel waren von Minimalismus geprägt. Am Nähtisch beispielsweise gibt es zahlreiche Schubladen, um perfekte Ordnung halten zu können. Die Arbeitsflächen sind ausziehbar, sodass sie keinen Platz wegnehmen, wenn der Tisch nicht benutzt wird. Zudem ist der Nähtisch so geschaffen, dass zwei Frauen aus der Gemeinschaft gleichzeitig daran arbeiten können. Seitlich gibt es deshalb für die zweite Benutzerin weitere Schubladen und eine eigene ausziehbare Arbeitsfläche.

Vier Meter lange Bank

Die grazile, vier Meter lange Bank von 1855, die den Blickfang im ersten Ausstellungsraum bildet, ist ein typisches Shaker-Möbel, das innerhalb der Gemeinschaft benutzt wurde. Solche Bänke möblierten die nach Männern und Frauen getrennten Versammlungsräume. Sie zeigen Anklänge des damals in den USA begehrten Tudor-Stils. Die Sitzfläche ist aus lokalem Kiefernholz gefertigt, die Streben aus Kirschholz.

Die Bank kommt mit drei Paar auffallend grazil gehaltenen Beinen aus. Sie sind aus Ahorn gearbeitet, die Verstrebungen dazwischen aus Kirsche. Sie sorgen für die nötige Tragfähigkeit. Spindeln aus Birke sitzen in der Rückenlehne, da sie biegsam, leicht und haltbar sind.

In den USA gelten ausgerechnet die unscheinbaren Hakenleisten, die sich überall entlang der Zimmerwände in den Shaker-Häusern fanden, als eines der markantesten Elemente ihres Designs. Sie waren stets in etwa 1,80 Metern Höhe angebracht. So konnte man jederzeit Arbeitsgeräte wie etwa Besen bequem versorgen oder Kleidung und Hüte aufhängen, ohne dafür Möbel zu benötigen, die nur Platz beansprucht hätten. Auch Mäntel fanden in dieser Höhe Platz, ohne auf den Boden zu hängen und so das Reinigen des Bodens zu erschweren.

Spanschachteln mit Schwalbenschwanz

Verkaufsschlager waren Spanschachteln in unterschiedlichen Grössen, wie sie in zeitgenössischen ländlichen Haushalten allgegenwärtig waren. Die Shaker fertigten sie für den Eigengebrauch, bemerkten aber bald, dass sie sich gut verkaufen liessen. Aus alten Aufzeichnungen weiss man, dass zwischen 1822 und 1865 allein die Gemeinde Mount Lebanon 75 000 Spanschachteln verkauft hat. Die Schachteln wurden aus dampfgebogenen Holzstreifen geformt, die mit Kupferstiften befestigt wurden. Die Herstellungsmethode war auch in anderen Betrieben üblich. Typisch für Shaker-Schachteln ist die Schwalbenschwanzverbindung, auch «Finger» genannt. Dadurch kann sich das Holz ausdehnen und zusammenziehen, ohne Risse zu bilden. Bei Geräten und Werkzeug kommen Funktionalität und handwerkliche Meisterschaft zusammen. Viele zeigen ein Abwägen zwischen Massenproduktion und nötiger Handwerkskunst, um die angestrebte Qualität und Haltbarkeit zu erreichen. Die seriell gefertigte Spatengabel etwa war zugunsten grösserer Dauerhaftigkeit trotzdem mit handgeschmiedeten Zinken versehen.

Besen gab es in vielen Grössen und auf ihre Zwecke angepasst. Sie stellten beispielsweise auch Modelle mit auffallend langem Stiel her, mit dem sich die hohen Wände der typischen Shaker-Gebäude reinigen liessen. Es gab breite Besen zum Polieren und eigens entwickelte flache, da diese effizienter kehrten als runde. Das Streben nach Sauberkeit und Ordnung war zentral im Glaubenssystem der Shaker. «Im Himmel gibt es keinen Schmutz», war einer der Leitsprüche.

Vorbildhafte Objekte

Eine Schubkarre ohne Seitenwände zum Transport von Kisten wiederum ist dank ihrer Konstruktionsweise besonders leicht. Das wurde durch sparsamen Einsatz von Metall erreicht. Es gibt nur einen Eisenring ums Rad, die Achse und ihre Halterung, kleine Details an den Füssen und vier Stangen, die das Kopfteil aufrecht halten. Der Rest ist aus Holz geschaffen.

Die spezielle Herangehensweise der Shaker hat Design und Architektur in der Moderne beeinflusst. Ihre Objekte gelten nach wie vor als vorbildhaft. Die Ausstellung im Vitra Design Museum dauert noch bis zum 28. September.

www.design-museum.de

Alexandra von Ascheraden

Veröffentlichung: 26. Juni 2025 / Ausgabe 25/2025

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