Slam-Poet mit Stechbeitel am Arm

Als Schreiner und Slam-Poet bringt Zélim Steinemann (27) Holz und Verse in Form. Bild: Beatrix Bächtold

Leute. Als Slam-Poet ist Zélim Steinemann ein poetisch denkender Schreiner, könnte man sagen.

Wie das konkret funktioniert? Also, der junge Schaffhauser schnappt sich Begriffe aus dem Massivholzlager der Schreinerwelt, schneidet sie zu, positioniert sie, sucht die richtige Verbindung, steckt sie in seinem Schreinerherz zusammen. Erst dann bringt er die Rohlinge zu Papier, begutachtet sie von allen Seiten, bewundert ihre Maserung, tritt einen Schritt zurück. Immer wieder und wieder stellt er sie um. Kämpft um jede Nuance Ausdruckskraft. Alles in Hand- und Kopfarbeit. Als Schreiner ist er nicht der Mann für halbe Sachen. Erst wenn alles perfekt erscheint, bringt er es seinem Publikum zu Gehör. So wie kürzlich an der Diplomfeier des VSSM in Nottwil LU, wo er sowohl als frisch diplomierter Projektleiter als auch als Slam-Poet auf der Bühne stand. Sein Auftritt dauerte nur wenige Minuten, umfasste aber alles, was das Schreinerherz bewegt. Im Gedicht reiht er nämlich Streichmass, Traversen, Friese und Treppenwangen wie Perlen an einer Gedankenschnur auf. An einer Stelle heisst es: «Denn vor ihm steht aus Eichenholz und Lack und Leim praktisch ein Musterbeispiel für Konstruktion und Design, der schönste Tod für alle Eichen, dass dessen Kollegen im Wald vor Neid erbleichen.» Da läuft es doch jedem Schreiner eiskalt den Rücken runter. Zélim Steinemann arbeitet bei der Firma Bareiss Schreinerei + Wohnen in Thayngen SH.

«Schreiner und Poeten ticken ganz ähnlich. Beide lieben die Perfektion.»

In seiner Freizeit spielt er mit der Fachsprache. So wie andere Kreuzworträtsel lösen, brütet er vor dem Laptop in seiner Altstadtwohnung mit Blick auf den Rhein über seinen Texten. Angefangen hat das während der Coronakrise: Während seine Hobbys – das Klettern und die Pfadi – pausierten, kam er zum Schreiben, zum Dichten. Für ihn lag das auf der Hand. «Schreiner und Poeten ticken ganz ähnlich. Beide lieben die Perfektion», sagt er. Und wie die Schreiner, so pflegen auch die Dichter ihre Community. Man ist vernetzt, kennt sich, unterstützt sich und schätzt die Kompetenz und Besonderheit des anderen. Steinemann spürt das Wohlwollen seiner Zuhörerschaft immer wieder, wenn er auf der Bühne steht. Manchmal tut er das innerhalb der Veranstaltungsreiche «Dichtungsring» im Musikclub «Albani» in Winterthur ZH. Hier buhlen einmal im Monat Poetinnen und Poeten aus der ganzen Schweiz wortgewandt um die Gunst des Publikums. Man inspiriert sich, vergleicht sich. «Es ist so, wie wenn Schreiner die Fachmesse besuchen», sagt er. Die Themen holen sich die Fabulierenden vorwiegend aus den Tücken des Alltags oder dem Liebesleben. Dass man wie Steinemann berufsspezifische Fachausdrücke aufbereitet, ist eher die Ausnahme. «Aber es funktioniert. Jeder Beruf hat seine Sprache. Da gibt es nichts Unnötiges. Bei mir ruft das eine Ehrfurcht hervor», sagt er. 2021 schaute er zunächst als Zuhörer vorbei. «Meine Gedichte erschienen mir gut genug. Ich meldete mich für einen Auftritt an», berichtet er.

Bei seinem ersten «Slam» sassen rund 60 Leute im Publikum. «Als sie anerkennend mit den Fingern schnippten, applaudierten und Freude an meinen Schreinergeschichten hatten, war ich schon ein bisschen stolz», sagt er. Apropos Stolz: Steinemanns Leidenschaft sprudelt ihm nicht nur über die Lippen, sie geht ihm auch unter die Haut. Sichtbares Zeichen ist der Stechbeitel, den er sich auf den rechten Unterarm hat tätowieren lassen. Das Werkzeug in Originalgrösse erinnert an die Zeichnung des vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci. Auch in ihm verbinden sich Poesie, Design und Handwerk.

Beatrix Bächtold

Veröffentlichung: 25. März 2024 / Ausgabe 12/2024

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