Stirbt die Biene, stirbt der Mensch

Der gelernte Bauschreiner Florian Achermann (36) istder einzige haupt-berufliche Imker im Kanton Uri. Bild: Caroline Schneider

«Die wenigsten Menschen sind sich der Funktion der Biene bewusst. Wenn mit den Bienen Schluss ist, geht es auch uns an den Kragen.»

Der gelernte Bauschreiner Florian Achermann aus Schattdorf UR arbeitet als hauptberuflicher Imkermeister – eine Rarität in der Schweiz. «Anfänglich konnte ich mich nicht als Selbstständiger anmelden, weil der Imker als Beruf im Kanton Uri nicht anerkannt war», erzählt der 36-Jährige auf dem Weg nach Isleten zu seinen Bienenstöcken. Er bewirtschaftet 200 Bienenstöcke. In einem Stock leben 60 000 Bienen. «Ich bin der grösste Arbeitgeber des Kantons Uri», sagt Achermann mit einem Augenzwinkern. «Bienen sind sehr empfindliche Tiere. Wenn du gestresst bist, fühlen sie das und werden unruhig», sagt der Urner und streichelt mit den Fingerkuppen sanft über seine Bienen, die zu Hunderten auf der Wabe herumkrabbeln. Dann führt er den Besucher ein in die faszinierende Welt der Bienen. «Die Insekten leben in einer direkten Demokratie. Hier entscheidet alleine das Volk. Die Königin hat keine Macht. Legt sie nach zwei bis drei Jahren immer weniger Eier, so entscheiden die Arbeiterbienen, eine neue Königin heranzuziehen», erzählt der Imker. Das Zusammenleben der Bienen ist komplett durchorganisiert. Im Stock herrschen klare Regeln, die das Funktionieren des Bienenstaates gewährleisten. Da gibt es die Drohnen, die Königinnen und die Arbeiterinnen.

Die Drohnen, also die männlichen Bienen, führen ein kurzes Leben. Sie sind lediglich für die Begattung zuständig. Ein einziger Hochzeitsflug mit der Königin ist ihnen vergönnt. Danach stirbt der Drohn, weil sein Begattungsapparat in der Königin steckt und sein Hinterleib ausgerissen wird, bis er qualvoll verendet.

Die Königin hat die Aufgabe, in Fliessbandarbeit Eier zu legen. Die einzelnen Phasen einer Arbeiterbiene sind vorgegeben: Die ersten wenigen Tage nach ihrer Geburt ist sie Putzbiene und säubert die Wabenzellen. Die nächsten drei bis zehn Tage kümmert sie sich um die Brutpflege. Danach erledigt sie allgemeine Stockarbeiten. Zwischen dem 18. und 20. Tag wird sie Wächterin und sorgt dafür, dass keiner leer heranfliegenden Biene Einlass gewährt wird. In der letzten Phase sammelt die Arbeiterin Nektar. Die Erntezeit dauert von Mai bis August. Welch unglaubliche Leistung diese Insekten erbringen, verdeutlicht Folgendes: Für ein Kilogramm Honig sind 60 Millionen Blütenbesuche erforderlich. Dazu fliegt eine Biene zweieinhalb Mal um die Erde. Die grösste Bedrohung der Bienenvölker sind die Pestizide der Landwirtschaft und die Schädlinge, wie etwa die Varroamilbe, die Gallenwespe oder der Beutenkäfer. «In den 40er-Jahren hatten wir 60 Prozent mehr Bienenvölker als heute», erklärt der Imker mit besorgter Stimme. «Die wenigsten Menschen sind sich der Funktion der Biene bewusst. Sie ist das drittwichtigste Nutztier der Landwirtschaft. Wenn mit den Bienen Schluss ist, geht es auch uns auch an den Kragen.»

Ohne Bienen gibt es keine Bestäubung mehr. Folglich wird nichts mehr blühen und die Menschen verlieren ihre Lebensmittelgrundlage. «Der Mensch denkt kurzfristig», sagt Achermann. «Er will heute den Profit. Was morgen ist, blendet er aus.»

Der Imker steckt den Rahmen mit der perfekt konstruierten Wabe zurück in den Kasten. Stolz blickt er auf seine Bienenhäuschen. «Für mich gibt es nichts Schöneres, als zu sehen, wie mein Bienenvolk aufwächst und sich zu einem Wirtschaftsvolk entwickelt.»

Die Kästen, die Futtergeschirre und die Rahmen hat Achermann selber hergestellt. Ein Beweis dafür, dass er sein Schreinerherz behalten hat.

cs

Veröffentlichung: 09. Juni 2016 / Ausgabe 23/2016

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