Velotour in den Ruhestand

Von St. Petersburg nach Wladiwostok: Drei Monate lang ist Walter Stalder (66) mit dem Velo durch Russland gefahren. Bild: PD

Um sich nach einem erfüllten Arbeitsleben in den verdienten Ruhestand zu begeben, stehen verschiedene Wege offen: Manche Menschen können ganz einfach von einem Tag auf den anderen mit der Arbeit aufhören. Bei anderen ist der Übergang deutlich schwieriger.Walter Stalder wollte seinen Ausstieg möglichst flies-send und reibungslos gestalten, doch das war leichter gesagt als getan. Einst übernahm er die Schreinerei von seinem Vater und führte 28 Jahre lang die Geschäfte. Diese Verantwortung gab er im Alter von 60 Jahren an seinen Sohn Patrick ab, während sein älterer Sohn Markus die Produktion leitet. Mit 65 Jahren wollte er sich endgültig aus dem Geschäft zurückziehen.

Schliesslich warteten seine vier Enkelkinder schon darauf, dass ihr Grossvater endlich ganz viel Zeit mit ihnen verbringen konnte. Der Schreiner merkte jedoch bald, dass es schwieriger war als gedacht, sich vom Arbeitsleben zu verabschieden. Immer wieder wurde im Geschäft nach ihm persönlich verlangt, und sein Rat blieb gefragt. Etwas hin und her gerissen zwischen der Treue zu seinen Kunden und seinem Bedürfnis nach mehr Zeit für sich selbst, entdeckte er schliesslich die Angebote für Velotouren quer durch Russland und hoffte: «Nach drei Monaten Absenz in unserem Betrieb wird mich sicher niemand mehr vermissen.»

Die Route «Trans Russland» startete Anfang Juni dieses Jahres in Sankt Petersburg und endete Anfang September in Wladiwostok. Das Reisefieber hatte Stalder schnell gepackt, doch die Strecke von 10 000 Kilometern flösste ihm trotz seiner Fitness Respekt ein. Er trainierte intensiv, um dieses spannende Erlebnis gut vorbereitet geniessen zu können. Dabei konnte er immer auf die Unterstützung seiner Familie zählen.

Die Tour war professionell geplant, so wusste Stalders Frau, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Die Velofahrer fuhren in drei Gruppen von jeweils sechs bis acht Personen. Begleitet wurden sie von zwei komfortablen Reisebussen mit je 25 Schlafplätzen. In Hotels übernachteten sie nur in grösseren Städten nach jeweils rund 600 Kilometern. In zusätzlichen Anhängern waren eine Küche mit Vorräten und die WCs und Duschen untergebracht. Die Velofahrer absolvierten ein Tagespensum von 120 bis 150 Kilometern. Insgesamt überwanden sie rund 57 000 Höhenmeter. «Wieder zu Hause angekommen, hatte ich fünf Kilo weniger auf der Waage», erzählt Stalder. Die herausfordernde Tour führte ihn in die Weiten des eurasischen Kontinents. Er lernte die Schönheiten der Natur und die Herzlichkeit der Menschen in Russland kennen und schätzen. Ein Freund des Veranstalters sorgte zudem dafür, dass die Tour in seiner russischen Heimat bekannt wurde. Daraus folgte, dass die Radfahrer mit Polizei-Eskorte sicher durch die grösseren Städte geleitet wurden und an einigen Orten sogar Journalisten von russischen Fernsehsendern oder Zeitungen und weitere Schaulustige auf die Schweizer warteten.

Für Walter Stalder war die Velotour eine grosse Herausforderung, die ihm aber genau das brachte, was er wollte: Den Beginn des Ruhestands.

«Nach drei Monaten Absenz aus unserem Betrieb wird mich sicher niemand mehr vermissen.»

cw

Veröffentlichung: 15. November 2018 / Ausgabe 46/2018

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