Vom Flüchtling zum Schreiner


Samuel Okbazghi überprüft auf dem Tagesplan, welche Arbeit als Nächstes ansteht. Bild: Michael Suter


Samuel Okbazghi überprüft auf dem Tagesplan, welche Arbeit als Nächstes ansteht. Bild: Michael Suter
Flüchtlingsprojekt. Die Technische Fachschule Bern bildet im Auftrag des Kantons Bern zwölf Flüchtlinge zu Schreinerpraktikern aus. Samuel, Amir und Dawit haben harte Zeiten hinter sich und sind top motiviert, sich als Schreiner ein neues Leben aufzubauen.
Zwölf Steckbriefe zieren eine breite Stellwand zwischen Werkbänken und Maschinen. Auf jedem der A3-Plakate sind Fotos angebracht. Einige davon zeigen Kinder, andere ganze Familien, Fussballmannschaften oder auch Ortschaften. Umrahmt werden die Bilder von beschreibenden Stichworten wie: meine Frau, mein Sohn, ein Fussballturnier. Eigentlich nichts Aussergewöhnliches, wären da nicht auch Bilder von Afghanistan und Eritrea. Eines zeigt eine riesige Buddha-Statue vor und nach der Zerstörung. Daneben der Text: Die Taliban haben im März 2001 die Statue gesprengt. Alle Steckbriefe stehen für ein Schicksal. Sie wurden von zwölf Flüchtlingen erstellt, die zurzeit an der Technischen Fachschule Bern eine zweijährige Ausbildung zum Schreinerpraktiker mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) absolvieren.
Samuel Okbazghi ist 30 Jahre alt und stammt aus Eritrea. Der hagere Mann mit nachtschwarzem, wolligem Haar und dunkler Haut lebt seit vier Jahren in der Schweiz. Seine Heimat hat er aufgrund politischer Probleme verlassen. Vor allem der obligatorische Militärdienst war ausschlaggebend für seine Flucht. «Du hast als Soldat keinerlei Rechte und lernst schnell Hunger und Durst kennen», sagt Samuel mit starrem Blick und leiser Stimme. Zudem werde der Militärdienst immer wieder verlängert. «Jahrelang riskiert man sein Leben ohne eine nennenswerte Entlöhnung.» Samuel wollte das nicht mehr länger hinnehmen und verliess sein Heimatland. Seine Freundin und ihr gemeinsames Kind musste er zurücklassen. Er flüchtete in den Sudan und blieb dort ein Jahr, bevor er die gefährliche Reise durch die libysche Wüste antrat, in der er beinahe verdurstet wäre. Als er weiter nach Norden gelangte, wurde er von libyschen Soldaten aufgegriffen und in ein Gefängnis gesteckt. Dort verbrachte er 16 Monate, bevor er 2011 völlig überraschend frei kam, als der Bürgerkrieg im Zuge des Arabischen Frühlings ausbrach. Per Boot gelangte er nach Sizilien und von da per Zug nach Mailand. Die Schweizer Grenze überquerte er schliesslich in einem Auto.
Als anerkannter Flüchtling bekam er hier die Möglichkeit, eine Vorlehre an der Berufs-, Fach- und Fortbildungsschule Bern (BFF) in Angriff zu nehmen. «Ich lernte Deutsch, verbesserte meine Fähigkeiten in Mathematik und eignete mir Sozialkompetenzen an.» Während dreier Tage pro Woche arbeitete Samuel in einem Vorlehrbetrieb als Maurer. Die Vorlehre dauerte ein Jahr und bereitete die Absolventen auf eine Lehre vor. Eines Tages sah Samuel in der Schule das Angebot der Technischen Fachschule Bern für Flüchtlinge und bewarb sich. Prompt wurde er von der Schule zu einem Eignungstest eingeladen. «Ich musste meine Deutschkenntnisse zeigen, rechnen und eine praktische Arbeit absolvieren», sagt Samuel. Er bestand und wurde in das zweijährige Pilotprojekt aufgenommen. Samuel ist sehr dankbar: «Ich schätze sehr, dass ich die Grundausbildung zum Schreinerpraktiker absolvieren darf. Anschliessend möchte ich eine Anstellung in einer Schreinerei. Die Arbeit an modernen Maschinen fasziniert mich besonders. In Eritrea arbeitet man mit einfacheren Werkzeugen.»
Auch Amir Sharifi ist stolz darauf, dass er in der «Lädere» ein Handwerk von Grund auf erlernen kann. «Die Arbeit mit Holz ist sehr spannend, aber völlig neu für mich», sagt der 26-Jährige. Der gebürtige Afghane lebte 22 Jahre im Iran, wo er als Maurer arbeitete. Warum genau er in die Schweiz geflüchtet ist, möchte er nicht erzählen. Es war jedenfalls eine gefährliche Reise. In einem kleinen, völlig überfüllten Schlepperboot gelangte er bei rauer See von der Türkei aus nach Griechenland. «Während der Überfahrt musste ich, mit einem Bein im Wasser, auf dem Bootsrand sitzen. Ich dachte, es sei die letzte Nacht meines Lebens», erzählt er ruhig. Weiter gelangte er in einem Holztransporter, der nach Italien verschifft wurde. «Wir machten ein Loch in das Holz und versteckten uns darin.» Nach mehreren Stationen in Italien und Frankreich kam er schliesslich in die Schweiz. Hier fühlt er sich wohl. Ihm gefallen die Schweizer Gesetze und auch, dass sich die Menschen an die Vorgaben halten. Zudem sei eine seiner Stärken die Pünktlichkeit, und das passe ja ganz gut zur Schweiz, sagt er und lacht.
In der Grundausbildung zum Schreinerpraktiker lernen die Flüchtlinge, mit unterschiedlichen Werkzeugen und Materialien umzugehen. Neben vier Tagen praktischer Arbeit drücken die Teilnehmer an einem Tag pro Woche die Schulbank und lernen zeichnen, rechnen, Berufskunde und Deutsch. Nach neun Monaten steht dann ein Jahrespraktikum mit einem Tag Berufsfachschule an, bevor sich die Flüchtlinge die restlichen drei Monate wieder an der TF Bern auf die Abschlussprüfung vorbereiten. Die Flüchtlinge sind sehr motiviert und haben Spass an der Arbeit.
Der 41-jährige Dawit Simon aus Eritrea hat sogar bereits das Gelernte in der Praxis umgesetzt und sich privat einen typisch eritreischen Kaffeetisch angefertigt. Auch Samuel würde sich gerne eine Kommode bauen. «Dafür fehlt mir aber noch etwas die Erfahrung», sagt er und lacht. «Immerhin haben wir bereits mit Unterstützung von Schreinerlernenden einen Klapphocker erstellen können, das war toll.» ms
www.tfbern.chVeröffentlichung: 05. November 2015 / Ausgabe 45/2015
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