Von Bäumen umgeben

Schreiner Norbert Wyss (32) hat an rund 300 Mountainbike-Marathons teilgenommen. Bild: Markus Nay

Schlamm, Schlamm, Schlamm. Von unten, hinten und vorne. Er frisst sich in das Profil der Schuhe und der Reifen. Nach nur zwei Minuten ist die Brille vollgespritzt, es wird dunkel, ach was, rabenschwarz vor den Augen. Die Gangschaltung ist blockiert, der Weg rutschig, und immer wieder muss Norbert Wyss sein Mountainbike stossen. Nach rund sechs Stunden sieht er aus wie ein Ausserirdischer, über und über bedeckt von diesem Schlamm, aber – er ist im Ziel. Denkt der Mountainbiker heute an dieses Weltmeisterschaftsrennen im französischen Ornans zurück, kann er darüber lachen: «Das war das ‹gächste› Erlebnis meiner Rennzeit.» Seine Rennzeit, das sind rund 300 Rennen, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Wyss hat sie nie gezählt. Mit 16 hat er zusammen mit seinem Zwillingsbruder mit dem Biken begonnen. «Wir haben uns gegenseitig gepusht und angestachelt», erinnert sich der Sportler an die Anfänge beim Bikeclub Lenzerheide. Damals pedalten die Brüder Wyss auf Velos ohne Federung, trugen gewöhnliche T-Shirts aus Baumwolle und freuten sich über die Herausforderung, die dieser Sport ihnen bot. «Ich bin ein Naturtyp, ein Fitnesscenter ist nicht mein Ding», sagt der 32-Jährige. «Mit dem Bike zwischen den Tannen zu fahren, hat mir sofort gefallen.» Zu Beginn fuhr er aus purer Freude, mit der Zeit wurde mehr daraus. Woche für Woche trainierte er, begann sich mit anderen zu messen, lotete seine Grenzen aus, wollte gewinnen. Es folgten erste regionale Rennen, der Wechsel zum Radsportclub Chur, gesponserte Ausrüstungen, Trainingswochen, Kraftsport, Aufnahme ins Rennteam, Reisen zu Marathons im In- und Ausland.

Dass der Sport ihm auch auf mentaler Ebene einiges abverlangte, nährte seine Begeisterung erst recht: «Du kannst nicht einfach mit dem Bike über die Wurzeln brettern, wie es dir passt. Ohne Strategie, Konzentration und Taktik kommt keiner weit.» Er selber ist weit gekommen. Doch die Rennen auf diesem Niveau verschlangen Zeit und Kraft. Der ausgebildete Schreiner reduzierte sein Arbeitspensum: «Die Arbeit auf dem Bau und der intensive Sport im Doppelpack verlangten meinem Körper zu viel ab. Irgendwann konnte er sich nicht mehr regenerieren.» Tempi passati. Heute ist Wyss wieder zu 100 Prozent als Schreiner angestellt – «das ist und bleibt mein Traumberuf». Seit drei Jahren fährt er kaum mehr Rennen. «Irgendwann hatte ich das Gefühl, nun sei es genug. Mir fehlte die Motivation.» Der Natur aber ist er treu geblieben: Wenn er nun als Jäger durch die Bündner Wälder pirscht, geniesst er gerade die Langsamkeit. Dann «höckle» er sich einfach mal einen Moment hin, höre den Vögeln zu oder beobachte eine Haselmaus, die im Gebüsch raschelt. Er sei keiner von denen, die alles «abknallen», was ihnen vor die Flinte komme. Vielmehr sehe er es als seine Pflicht, zu einem gesunden Wildbestand beizutragen. Und da ist sein zweites Hobby, und auch dieses hat mit der Natur zu tun: In seiner Freizeit baut Wyss Möbel aus Altholz – Bett, Tisch und sogar eine Lampe. «Holz ist der natürlichste Rohstoff der Welt, und er wandelt sich ständig», schwärmt er. Bäume gehören nun mal zu seinem Leben: Ob als Mountainbiker, Jäger oder Schreiner.

«Du kannst nicht einfach mit dem Bike über die Wurzeln brettern, wie es dir passt. Ohne Strategie, Konzentration und Taktik kommt keiner weit.»

hid

Veröffentlichung: 03. November 2016 / Ausgabe 44/2016

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