Wenn Räume verpflichten

Blick in den neuen Ratssaal mit sensibel gestalteter Architektur. Die Leuchtenringe hängen an vier filigranen Stahlstützen. Bauliche Eingriffe liessen sich so vermeiden. Bild: Christian Härtel

Temporäre nutzung.  Wenn ein denkmalgeschützter Kirchenraum zum provisorischen Parlament umgebaut wird, haben Schreinerinnen und Schreiner viel zu tun. Seit Ende Februar bietet die Bullingerkirche in Zürich dafür einen würdigen Rahmen mit dem Kanton Zürich als Mieter.

Unter einem Provisorium stellt man sich eher etwas anderes vor. Offiziell ist das Rathaus in der Bullingerkirche Zürich Hard jedoch ein solches. Seit Ende Februar tagen dort die 180 Angehörigen des grössten Kantonsparlaments der Schweiz sowie der Gemeinderat und die Kirchenparlamente. Damit das möglich wurde, haben so einige Schreinereien ihr Können eingebracht, und auch das Architekturbüro Ernst Niklaus Fausch Partner AG in Zürich hat ganze Arbeit geleistet. Denn: Eine Kirche ist immer ein besonderer Ort. Zunächst ist er besonders im eigenen Kopf, wenn wir ihn betreten. Ein anderer Teil macht die Architektur und Akustik aus, und wieder ein Teil des Besonderen kommt aus dem, was im Kirchenraum jeweils gerade passiert. Freilich gibt es Unterschiede. Dass Kirchengebäude unterschiedlich genutzt werden können, hat die Geschichte schon oft bewiesen. In der St. Elisabethenkirche in Basel wird getanzt, in Stralsund an der Ostsee hängt ein Wal-skelett im ehemaligen Kirchenchor des Klosters, heute Meeresmuseum. Das deutsche Parlament konstituierte sich 1848 in der Frankfurter Paulskirche. Und die Hagia Sofia? Moment mal! Das neue Zürcher Parlament erinnert an das grosse Bauwerk in Istanbul. Verantwortlich dafür ist die aus mehreren Ringen bestehende Leuchte, die den gleichseitig wirkenden Raum bestimmt und «zentriert», wie Projektleiter Reimund Houska vom Architekturbüro Ernst Niklaus Fausch Partner AG in Zürich sagt. Tatsächlich ist es den Architekten gelungen, dem Saal der Bullingerkirche ein Zentrum zu geben, um den herum sich die Mitglieder des Parlaments formieren. Ein idealer Ort, um das Ringen für die besten Lösungen auf die Fragen unserer Zeit.

Rundum sensibel

Um einen Kirchenraum in einen politischen Saal umzuwandeln, braucht es neben dem besonderen Gespür auch eine ganze Reihe handfester Kompetenzen. Ein wichtiger Aspekt dabei: Die Bullingerkirche, die gegenüber den anderen umgebenden Gebäuden erst in den 1950er-Jahren fertiggestellt wurde, ist denkmalgeschützt. Die Rahmentüren aus massivem Ulmenholz mussten sowohl elektronisch als auch brandschutztechnisch ertüchtigt werden. Die Spezialistin Berchtold AG aus Zürich erledigte diese Aufgabe mit ihrem bewährten Heritage-Verfahren, bei dem die Brandschutzebene in die historischen Türen eingefügt wird. Dazu wird das Türblatt aufgetrennt und mit der Zwischenlage wieder originalgetreu zusammgengefügt.

Die vielleicht grösste Herausforderung war die Akustik. In einer Kirche sollen die Worte nachhallen, ein Parlament mit einer solchen Akustik möge man sich gar nicht vorstellen. Zudem handelt es sich um ein Provisorium. Auf zunächst fünf Jahre ist die Nutzung angelegt. «Deshalb sollten alle Massnahmen und Eingriffe gut rückbaubar sein», erklärt Houska. Einzig im Foyer musste eine Wand entfernt und durch vier Stützen ersetzt werden. Alle anderen Ein- und Umbauten sind relativ schnell zu entfernen. So ist der Rampenaufgang und die Fläche im Foyer ein Holzpodest, das hineingestellt wurde, ohne eine Befestigung am Boden. Und viele kleine Massnahmen sorgten dafür, dass etwa die Kirchenbänke weiter genutzt werden können. Die kommen auf der Zuhörertribüne zum Einsatz und wurden etwas erhöht, damit der Blick über die Brüstung frei ist. «Gerade bei Re-Use-Projekten kann man nicht jedes Detail planen. Dann ist man als Architekt froh, wenn man einen Schreiner an der Seite hat, mit dem zusammen man unkompliziert Lösungen finden kann», sagt Houska.

Schafwolle sorgt für Verständigung

Auch die Aspekte von Re-Use, des Wiedereinsatzes der Bauteile und Materialien, seien ein wichtiges Thema gewesen, erklärt Houska. Um die Akustik der Kirche zu einer für ein Parlament zuträglichen Weise zu transformieren, entschied man sich für den kräftigen Einsatz von Filz aus Schafwolle. Die riesigen Ringe der Leuchte und auch Wandbehänge sind damit gestaltet. «Der Filz lässt sich später wieder an einem anderen Ort verwenden, oder man schreddert ihn und filzt neu. Auch der eingesetzte Teppich ist aus Schurwolle, was ebenfalls wichtige akustische Wirkung hat. Er kommt aber auch an seine Belastungsgrenze, gerade in der Cafeteria. Für fünf bis zehn Jahre sollte es aber halten», sagt Houska. Vielleicht ein Hinweis, dass man durchaus mit einer Verlängerung der Nutzung rechnet. An der Akustik wird es nicht scheitern. «Mit den Massnahmen haben wir die Nachhallzeit im Saal von fünf auf eine Sekunde heruntergebracht», sagt Houska.

Die Frage, ob das neue Parlament nicht einfach bleiben könne, werde oft gestellt. Am Ende entscheiden das der Kantonsrat und die Kirche als Eigentümerin. «Im Namen Gottes des Allmächtigen!» steht in der Präambel der Schweizerischen Bundesverfassung. Und man möchte die Architektenweisheit hinzufügen: «Nichts ist so beständig wie das Provisorium.»

www.enf.ch

Die Macherinnen und Macher

 

Tische Ratssaal

www.baltensperger-ag.ch

 

Stühle Ratssaal

www.embru.ch

 

Theke Foyer

www.nilo-ag.ch

 

Türen

www.josberchtold.ch

 

Aufarbeitung historischer Stühle

www.girsberger.com

 

Diverse Schreinerarbeiten

www.epting.ch

 

Christian Härtel

Veröffentlichung: 26. Oktober 2023 / Ausgabe 43/2023

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