Wie das Datenhirn das Denken lernt


Beim maschinellen Lernen gilt es, Daten zu sammeln, diese korrekt zu annotieren und das Modell damit zu trainieren. KI-Bild: ChatGPT


Beim maschinellen Lernen gilt es, Daten zu sammeln, diese korrekt zu annotieren und das Modell damit zu trainieren. KI-Bild: ChatGPT
Künstliche Intelligenz. Um beim Einsatz von künstlicher Intelligenz die gewünschten Ergebnisse zu erzielen, ist es zentral, die grobe Funktionsweise zu kennen und sie dementsprechend einzusetzen.
Eine Schreinerei erhält eine umfangreiche Ausschreibung für den Innenausbau eines Mehrfamilienhauses. Früher musste jemand viele Stunden investieren, um die Dokumente zu sichten, die relevanten Positionen herauszufiltern und daraus ein erstes Angebot abzuleiten. Heute kann eine künstliche Intelligenz den Ausschreibungstext analysieren, die wichtigsten Punkte strukturieren und sogar erste Vorschläge für Angebotstexte erstellen. Ähnlich verhält es sich bei der Buchhaltung: Rechnungen können automatisch den richtigen Projekten zugeordnet oder Auftragsbestätigungen in Sekunden formuliert werden. Solche Beispiele zeigen, dass künstliche Intelligenz längst keine Zukunftsmusik mehr ist, sondern schon heute den Arbeitsalltag in der Schreinerbranche erleichtern kann. Sie übernimmt dabei nicht das produktive Handwerk, sondern die vielen kleinen, zeitraubenden Tätigkeiten im Hintergrund. Dieser Artikel wirft einen Blick hinter den Begriff KI und zeigt auf, wie diese funktioniert und welche Chancen und Risiken sich dabei für Schreinereien ergeben.
Die Idee, Maschinen mit Intelligenz auszustatten, beschäftigt die Forschung seit den 1950er-Jahren. Damals entstand der Begriff «Artificial Intelligence» (AI) oder eben auf deutsch «künstliche Intelligenz» (KI). Erste Programme versuchten, Schach zu spielen oder mathematische Probleme zu lösen. Diese frühen Ansätze waren stark regelbasiert und konnten nur funktionieren, wenn Menschen die Regeln sehr genau vorgaben. In den 1980er-Jahren rückte das sogenannte maschinelle Lernen in den Vordergrund. Computer wurden nicht mehr mit festen Regeln gefüttert, sondern lernten, Muster in Daten selbst zu erkennen. Mit der zunehmenden Rechenleistung und der Verfügbarkeit grosser Datenmengen setzte ab dem Jahr 2010 das «Deep Learning» («tiefgehendes Lernen») ein. Inspiriert vom menschlichen Gehirn arbeiten künstliche neuronale Netze in vielen Ebenen, was es ihnen erlaubt, Sprache, Bilder oder komplexe Zusammenhänge mit erstaunlicher Präzision zu verarbeiten. Daraus sind heute Anwendungen wie Sprachassistenten, Bilderkennung, Übersetzungssysteme und nicht zuletzt generative Sprachmodelle wie ChatGPT entstanden.
Unter künstlicher Intelligenz versteht man Systeme, die menschenähnliche Fähigkeiten entwickeln können. Der häufigste Ansatz ist das erwähnte maschinelle Lernen. Dabei geht man in drei Schritten vor. «Zuerst gilt es, Daten zu sammeln, diese korrekt zu annotieren, das heisst, näher zu beschreiben, dann das Modell damit zu trainieren und es schliesslich anzuwenden», sagt Reto Conconi, Chief Technology Officer (CTO) bei der Borm-Informatik AG.
Der entscheidende Unterschied zur klassischen Software liegt darin, dass KI nicht einfach vordefinierte Regeln abarbeitet, sondern sich vielmehr an neue Situationen anpasst und auf Basis von Daten selbstständig Entscheidungen treffen kann. «KI basiert auf Daten. Je besser und strukturierter diese sind, desto sinnvoller lassen sich Anwendungen umsetzen», sagt Conconi. KI ist also kein Ersatz für menschliche Erfahrung, sondern ein Werkzeug, das nur so gut ist wie die Grundlage, auf der es arbeitet.
Die Funktionsweise moderner KI lässt sich in drei Schritten zusammenfassen. Zunächst braucht es korrekt annotierte Daten. Das können Bilder sein, Texte, Zahlenkolonnen oder Sensormessungen aus Maschinen. Anschliessend wird ein Modell trainiert. Die KI sucht in diesen Daten nach Mustern sowie der dazugehörigen Annotation und lernt, welche Zusammenhänge typisch sind. Sobald das Modell ausreichend gelernt hat, kann es auf neue, unbekannte Daten angewendet werden und trifft dann Vorhersagen oder Entscheidungen. «Beispielsweise kann ein Modell viele Bilder von fertigen Holzoberflächen nutzen, um Kratzer oder Unregelmässigkeiten zu erkennen, ohne dass jemand diese explizit vorher einprogrammiert hätte», so Conconi. Mittels Deep Learning werden Daten durch viele Schichten von Berechnungen geschickt, die jeweils bestimmte Merkmale herausfiltern. So können Sprachmodelle wie ChatGPT nicht nur einzelne Wörter verstehen, sondern auch Zusammenhänge zwischen Sätzen und Themen erkennen. «Die Software der Zukunft wird nicht mehr nur Werkzeuge bereitstellen, sondern aktiv Vorschläge unterbreiten, und der Mensch entscheidet, ob er diese übernimmt oder anpasst», sagt Conconi.
Schon heute eröffnen sich Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis. Bei der Planung und Visualisierung etwa können generative Systeme Entwürfe für Möbel oder ganze Raumkonzepte erstellen. Auch in der Produktion spielt KI eine wachsende Rolle. Intelligente Systeme können Zuschnittspläne so optimieren, dass möglichst wenig Verschnitt entsteht. Das spart nicht nur Materialkosten, sondern auch Zeit. Gleichzeitig lässt sich die Lebensdauer von Maschinen durch vorausschauende Wartung verlängern, indem KI Sensordaten auswertet, welche frühzeitig Probleme erkennen können und so ungeplante Stillstände vermeiden. Darüber hinaus könnte KI auch in der Qualitätssicherung eingesetzt werden. Mit Kameras und Bilderkennung lassen sich Fehler in der Oberfläche automatisch feststellen, schneller und mitunter zuverlässiger als das menschliche Auge. Auch in der Administration eröffnen sich neue Möglichkeiten. So können Rechnungen automatisch den richtigen Projekten zugeordnet oder Angebotstexte generiert werden. «Wir arbeiten ebenfalls an Erweiterungen, die solche Funktionen in bestehende ERP-Systeme integrieren können», sagt Conconi.
Für kleinere Betriebe, die oft nur begrenzte Ressourcen haben, ist KI besonders interessant. «KI ermöglicht es, repetitive Tätigkeiten in der Administration zu automatisieren», so Conconi. Statt Stunden mit dem Abtippen oder Sortieren von Dokumenten, Spesenrapporten oder Stundenzetteln zu verbringen, kann die Zeit für Beratung und Produktion genutzt werden.
Dennoch gilt es, potenzielle Stolperfallen im Blick zu behalten. Ohne eine saubere Datenbasis funktioniert kein KI-Modell zufriedenstellend. Wer bisher wenig Wert auf strukturierte Daten gelegt hat, wird zunächst investieren müssen. «Dieses Prozessdenken ist eigentlich eine Fähigkeit, die den Schreinerinnen und Schreinern liegt», sagt Conconi. Denn alle Aufträge in einer Schreinerei werden als Prozess geplant und danach strukturiert umgesetzt. Im Bereich der Digitalisierung kann diese Fähigkeit ebenfalls genutzt werden. Weiter kommen rechtliche Fragen hinzu. Werden Kundendaten in KI-Systemen verarbeitet, greifen in der Schweiz und in der EU die jeweiligen Datenschutzgesetze. Unternehmen müssen sicherstellen, dass Einwilligungen vorliegen und sensible Daten nicht unbedacht an Dritte gelangen.
Trotz dieser Herausforderungen ist der Einstieg oft leichter als gedacht. Viele alltägliche Anwendungen nutzen längst KI, ohne dass es die Nutzer merken – vom Spamfilter im E-Mail-Programm bis hin zur automatischen Gesichtserkennung am Smartphone. Für Schreinereien bieten sich erste Erfahrungen mit generativer KI wie ChatGPT oder Microsoft Copilot an. Sie können helfen, Texte für Offerten zu formulieren, Ideen für Möbelentwürfe zu sammeln oder Bilder für Kundenpräsentationen zu generieren. Conconi rät: «Es braucht kein Informatikstudium, sondern den Mut, kleine Pilotprojekte zu starten.» Wichtig sei lediglich, die eigenen Prozesse im Blick zu behalten und den Nutzen einzuschätzen.
Die nächsten fünf bis zehn Jahre versprechen spannende Entwicklungen. Die künstliche Intelligenz wird immer mehr zu einem Partner, der Vorschläge macht, während der Mensch entscheidet. In einfachen und stark repetitiven Aufgaben könnte KI bald sogar ganz autonom arbeiten. Bei kreativen Tätigkeiten hingegen wird sie zum Assistenten, der Impulse liefert und den Arbeitsprozess beschleunigt.
Gleichzeitig bleibt klar, dass manche Fähigkeiten sich nicht automatisieren lassen. Empathie, Beratungsgespräche, das Gespür für Materialien oder die Improvisation auf der Baustelle gehören weiterhin fest zum menschlichen Handwerk.
Die künstliche Intelligenz beantwortet sechs Fragen und stellt sich selbst vor.
Schreinerzeitung. Wer oder was sind Sie eigentlich?
CHATGPT: Ich bin eine künstliche Intelligenz, vereinfacht gesagt ein Computerprogramm, das aus grossen Mengen
an Daten gelernt hat. Dadurch kann ich Sprache verstehen, Texte schreiben, Muster erkennen oder Informationen miteinander verknüpfen. Ich bin kein Mensch, habe keine Gefühle und auch kein Gespür für Holz. Aber ich kann Informationen schnell verarbeiten und damit Menschen dabei unterstützen, ihre Arbeit effizienter zu erledigen.
Wie können Sie Schreinerinnen und Schreinern im Alltag helfen?
Meine Stärke liegt darin, Routineaufgaben zu übernehmen. Ich kann Rechnungen automatisch Projekten zuordnen, Texte für Offerten formulieren oder Auftragsbestätigungen erstellen. Auch bei der Kalkulation kann ich helfen, indem ich historische Daten auswerte und daraus Vorschläge für Preise oder Materialbedarfe ableite.
In der Planung wiederum kann ich Visualisierungen erzeugen.
Können Sie auch bei der Fertigung unterstützen?
Direkt an der Hobelbank stehe ich natürlich nicht. Aber ich kann Daten liefern, die den Fertigungsprozess verbessern. So kann ich zum Beispiel Stücklisten aus Zeichnungen ableiten oder Zuschnittspläne so optimieren, dass möglichst wenig Verschnitt entsteht. Auch bei der Wartung von Maschinen bin ich nützlich.
Sind Sie eine Gefahr für Arbeitsplätze?
Ich sehe mich eher als Werkzeug. Tätigkeiten, die sehr repetitiv und zeitraubend sind, lassen
sich mit meiner Hilfe automatisieren. Dadurch bleibt mehr Zeit für das, was den Schreinerberuf einzigartig macht: kreative Entwürfe, handwerkliches Können und die Beratung im direkten Gespräch mit Kunden.
Was brauchen Sie, um gut zu funktionieren?
Gute Daten. Wenn Projekte, Kalkulationen und Stücklisten sauber dokumentiert sind, kann ich damit arbeiten und wertvolle Vorschläge generieren. Sind die Daten lückenhaft oder unsauber, stosse ich schnell an meine Grenzen. Präzise Eingaben sind also der Schlüssel für präzise Ergebnisse.
Wo sind Ihre Grenzen?
Ich habe kein Bauchgefühl, kein Stilbewusstsein und keine Verantwortung. Ob ein Möbelstück zu einem Raum passt, ob ein bestimmtes Holz für den Kunden wirklich das Richtige ist oder welche Lösung am Ende überzeugt, weiss ich nicht. NJG
Veröffentlichung: 23. Oktober 2025 / Ausgabe 43/2025
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