«Wir differenzieren uns über die Materialität»

Hansdampf in allen Gassen: Marcel Schwander ist treibende Kraft für die Neupositionierung von Strasserthun. Bild: Tom Trachsel

Materialentwicklung.  Marcel Schwander, CEO der Schreinerei Strasser AG in Thun, spricht über Modetrends von Materialien und darüber, ob alles, was machbar ist, auch sinnvoll ist. Eine wichtige Rolle spielt bei Strasserthun die individuelle Laserbearbeitung von Oberflächen.

Was hat Ihre Arbeit mit Mode zu tun?
Mode ist aus meiner Sicht ein schwierig zu definierender Begriff, da dieser sehr unterschiedlich interpretiert wird. Viele Kunden kommen zu uns und empfinden das als Mode, was an den grossen Messen in gehäufter Form gezeigt wird. Natürlich können wir diese Modetrends unseren Kunden anbieten. Wir möchten jedoch im Haus der Materialien «Punkt6» neben Modetrends auch andere, spannende Optionen aufzeigen, damit unsere Kunden die Möglichkeit haben, ihre eigenen Emotionen in ihrem Wohnraum, abseits der aktuellen Modetrends, zu finden.
Ist Mode für Sie ein schwieriges Unterfangen?
Nein, schwierig ist es nicht. Modetrends sind spannend, geben Anhaltspunkte und sind oft einfach auch schön. Die für mich entscheidenden Fragen in diesem Zusammenhang sind eher: Was will der Kunde und wo liegen seine wirklichen Bedürfnisse? Daraus erwächst unsere Aufgabe, ihm Lösungen anzubieten, die seine Bedürfnisse erfüllen. Mode hin oder her.
Sind haptisch erlebbare Oberflächen eher Modetrend oder handelt es sich dabei um ein echtes Bedürfnis?
Ganz klar ein Bedürfnis. Das ganze Thema ist vielschichtig. In schnellen Zeiten und Modewellen, unter Druck zur ständigen Transparenz mit dem Online-Dasein, ist die emotionale Oberfläche ein Hilfsmittel, dem Menschen und seinem Organismus eine Verschnaufpause zu gönnen. Ich sehe strukturierte und haptisch fühlbare Oberflächen eher als Ergänzung zur glatten Variante. Haptische Erlebnisse erweitern einfach das mögliche Spektrum.

Also haben Sie bei Materialien und Oberflächen an Kompetenz zugelegt und sich die Werkstoffe vorgenommen?

Jeder Schreiner sollte sich bewusst werden, wo seine Stärken liegen und wo er am Markt nicht mehr mithalten kann. Wir haben unsere Stärken in der Materialkompetenz gefunden und bauen diese täglich weiter aus. Mit dieser Dienstleistung können wir uns vom Mitbewerber abheben und klar differenzieren, was auch unsere Kunden merken und schätzen. Mit «Sublidot», unserer Laserbearbeitung, haben wir auf diesem Weg eine weitere Unterstützung erhalten, was unsere Materialkompetenz nochmals gewaltig erweitert. So können wir, was Oberflächenveredelung angeht, sehr vieles anbieten. Aus technischer Sicht ist alles machbar. Es braucht manchmal den Mut, es nicht allen recht machen zu wollen, weil es wirtschaftlich einfach keinen Sinn macht.
Wird die Schreinerei Strasser zum Materialhersteller?
Wir haben mit der Sublimation ein Verfahren, das längst nicht ausgeschöpft ist, und damit mit derzeit 74 Mitarbeitenden die Zukunft vor uns. Wir sind aber alle Schreiner und das bleibt auch so. Ich stelle auch nur Schreiner an.
Der Schreiner als Allrounder?
«Sublidot» ist aus gutem Grund organisatorisch getrennt von Strasserthun. Das bedeutet Materialkompetenz. «Sublidot» verkörpert Laserkompetenz. Strasserthun will ich darauf nicht reduzieren. Andererseits kommen wir als Schreiner und KMU mit «Sublidot» in den Bereich der Handelstätigkeit. Das ist etwas völlig anderes, als wir bislang gemacht haben.
Wie kam es dazu?
Wir befinden uns im internationalen Wettbewerb und suchen nach Möglichkeiten, uns darin zu positionieren. Am hohen Kostenniveau kann man nicht wirklich etwas ändern und auch an verschiedenen anderen Rahmenbedingungen nicht. Dazu gehören die Ausschreibungsverfahren. Die Planungsarbeit bei einer Ausschreibung ist enorm. Alles, was nicht ganz genau definiert ist, kann später zu Auseinandersetzungen führen. Dazu ist die Ausführungszeit oft viel zu kurz. Finanziell geht es dann oft nicht mehr auf. Ich will damit nur sagen: Es gibt viele Puzzleteile, die zum «Punkt6» geführt haben. Wir wollen unseren Kunden zu einem frühen Zeitpunkt im Prozess eine Beratungsebene anbieten. So findet er seine Materialkombinationen und gleichzeitig einen Partner, der schnell einen Richtpreis liefern kann und ihm, noch wichtiger, eine Ausführungsgarantie gibt. Wenn die Ausschreibung folgt und der Architekt den günstigsten Anbieter wählen muss, hat er immer noch die Sicherheit, dass wir liefern können, auch wenn derjenige, der den Zuschlag erhalten hat, vielleicht nicht liefern kann. Damit erreichen wir auch eine gewisse Branchenqualität.
Die Laserbearbeitung hat aber nichts mit dem Haus der Materialien zu tun?
«Sublidot» ist das Ergebnis einer Riesenleidenschaft unserer Mitarbeiter, alles auszureizen, energisch und standhaft nach einer Lösung zu suchen. Ich glaube, genau diese Faktoren sind heute an den Märkten sehr wichtig. Der Ansatz war zunächst, eine reale Materialwelt mit «Punkt6» zu erschaffen. Dabei kommt uns entgegen, dass der Anspruch an die Haptik und die Oberfläche enorm zugenommen hat. Das emotionale Erleben ist wichtig. Im Unterschied zu Materialarchiven können wir alles, was wir zeigen, auch verarbeiten. Das heisst, wir können dem Kunden auch gleich erklären, was wir mit den Materialien machen können. Unser Hauptklientel sucht etwas Individuelles, egal wo der Kunde zu Hause ist. Wir zeigen Materialien, die sich nicht in Form und Stärke konkurrenzieren, sondern sich nur in ihrer typeigenen Oberfläche und Materialität unterscheiden. Deshalb sind es genau drei Formate in jeweils gleicher Stärke. Dies erlaubt auch eine Gewichtung in der Collage. Ich habe öfter erlebt, dass ich mit einem Kunden stundenlang diskutiert und ihm viele Oberflächen gezeigt habe. Irgendwann kommt doch die Frage, ob ich denn nichts anderes hätte. Der Kunde möchte völlige Freiheit. Er will individuell gestaltbare Ansätze.
Und dann kam «Sublidot»?
Wir haben nach Lösungen gesucht, die eine Individualisierung der Oberfläche ermöglichen. Dann kam das erste Produkt mit der Laserbearbeitung und natürlich hatten wir grosse Zweifel, dass dieses damals enorm aufwendige Verfahren am Ende jemand bezahlen würde. Das war vor vier Jahren und mit dem ersten Produkt haben wir auch gleich eine Design-Nominierung erreicht. Wir schafften eine Grossbett-Maschine an. Das Know-how mussten wir uns selbst erarbeiten. Ganz grob sind vielleicht zehn Faktoren zum Gelingen mit der Laserbearbeitung ausschlaggebend. Stimmt einer nicht für das jeweilige Material und die Bearbeitung, kommt am Ende Schrott raus. Mit der Erfahrung unserer ersten kleinen Lasermaschine wussten wir, dass es grundsätzlich möglich ist und technisch lösbar sein müsste. Bis dahin gab es einfach nichts Vergleichbares, wir mussten selbst ran.
Also auch ein Marktzwang hin zur Innovation?
Auch Schreiner müssen neue Felder öffnen, sonst kann man nicht bestehen. Wenn zwanzig Waschtischmöbel ausgeschrieben sind und alles definiert ist, dann ist der deutsche oder österreichische Schreiner einfach günstiger. Die Qualität ist dort auch hoch. Wir gehen über die Materialität den Weg der Differenzierung und sind auf diesem Weg auf das Laser-Veredelungsverfahren gestossen. Und als eben Kunden nach dem tausendsten Muster gefragt haben, ob wir denn nichts anderes hätten, war die Richtung eigentlich klar.
Das funktionierte so einfach mit der Maschine und den Materialien?
Jedes Material ist eine neue Herausforderung. Pro Quadratmeter braucht der Laser vier bis viereinhalb Stunden, wenn die Oberfläche komplett bearbeitet wird. Also haben wir das gemacht und sechs Oberflächen umgesetzt, wir sagen sublimiert. Dann kam die Frage auf, ob wir in dieser Richtung weitergehen. Da wir gemerkt haben, dass der Markt das Ganze verlangt, sind wir auf diesem Weg weitergegangen. Heute haben wir vier Grossbett-Laser im Einsatz für die Sublimierung der Materialien mit bis zu 3,1×2,1 Meter Grösse. Wenn der Markt nach Individualität schreit und man den Akteuren genau das anbietet, dann merkt man auch, dass viele damit überfordert sind, wenn sie diese Freiheit bekommen. Also muss ich als Anbieter dieser vollen Individualität auch intensiv beraten und alles miteinander verbinden.
Wenn doch jeder etwas Individuelles haben möchte, wieso kommt am Ende seit Jahren immer Eiche raus?
Diesen Punkt sehen wir auch immer wieder. Viele Kunden kommen und möchten etwas ganz Spezielles. Am Ende gehen sie mit Eiche raus. Aber: Der Kunde geht mit einem guten Gefühl und bleibt auch künftig bei uns. Auch, weil er die Gewissheit hat, dass er alles andere auch hätte haben können. Generell merke ich, dass immer mehr Konsumenten zu uns kommen und fündig werden. Das heisst, der Innenarchitekt muss dann mit dem arbeiten, was sich der Kunde ausgesucht hat. Ich sehe also auch einen Trend hin zum selbstbewussten Agieren, jenseits von Modetrends und Vorlieben der Gestalter. Das Ganze ist aber ein Prozess und geht nicht von heute auf morgen.
Heute ist vieles machbar. Nicht alles scheint sinnvoll im Sinne einer Nachhaltigkeit. Sollten wir nicht öfter wieder ganz einfach denken?
Wir bewegen uns in vielen Bereichen der Materialität. Meist steht dabei das Holz im Zentrum. Je höher der gestalterische Anspruch ist, desto schwieriger wird eine Antwort auf die Frage, was nachhaltig ist. Ist es das Metall, das ich auf einen Trägerstoff klebe oder die lackierte Fläche, die das Metall perfekt imitiert? Bei beiden braucht es ein Trägermaterial. Das eine kann ich vielleicht wieder trennen, das andere wandert samt der Oberfläche in die Verbrennung. Wichtig ist mir einfach, dass Nachhaltigkeit nicht als Floskel gebraucht, sondern ehrlich darüber gesprochen wird. Für mich ist die spannendere Frage dabei: Welches ist die richtige Anwendung für ein Material? Man darf nicht dem Massentrend hinterherlaufen, sondern muss genau hinsehen, was das jeweilige Ziel ist und welche vernünftigen Wege es zur Erreichung gibt.
Wenn jedes Material durch perfekte Nachbildungen ein anderes sein kann – ist dann nicht ein Wendepunkt erreicht?
In der Tat gibt es verschiedene Verfahren, etwa mit rekonstruierten Furnieren, die auch Fachleute kaum mehr vom echten Holz unterscheiden können. Das Echte brauche ich dort, wo es auch emotional eine Funktion übernimmt. Ansonsten sehe ich viele Einsatzbereiche für das Imitat, weil wir langfristig den massiven Einsatz gar nicht verkraften können. Wenn jeder massive Eiche möchte, ist diese schnell aufgebraucht. Es ist nicht so einfach: Nimmt der Kunde den exklusiven Eichenholzboden für 300 Franken je Quadratmeter oder ein Laminat, das sehr nahe am Original ist, aber vielleicht nur 30 Franken kostet? Darüber muss ich mir kein Urteil bilden, sondern die Vor- und Nachteile beider Varianten aufzeigen und deren Wirkung beschrei- ben. Für mich sind beide hochwertig und haben ihre Berechtigung. Ich bin aber grundsätzlich froh, dass es beide Materialien gibt und das Imitat die Ressourcen schont. Ich möchte das nicht werten. Wenn ich das reduziere auf das reine Material, ist die Antwort einfach, aber man muss auch den Kontext betrachten. Warum muss ich in einem Seniorenheim 300 Quadratmeter Echtholzparkett verlegen, wenn eine HPL-Lösung mit Porenstruktur genauso aussieht? Auch steht das echte Material der Konstruktion und dem gewünschten Erscheinungsbild öfter im Wege. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass Schreiner früher Rahmenkonstruktionen hatten. Der Materialeinsatz erfordert auch eine materialgerechte Konstruktion. Und wenn ich eine grosse Fläche ohne Fugenbilder haben möchte, dann ist massives Holz halt eher schwierig.
Beide Materialien haben also ihre Berechtigung?
Die Chance liegt darin, dass durch die heutige Vielseitigkeit der Materialität und deren Bearbeitungsmöglichkeiten ganz neue Eindrücke erzeugt werden können. Ich habe etwa die Erfahrung gemacht, dass gehobeltes und geschliffenes Ulmenholz kaum ein Kunde anschaut. Erst die Kombination von Materialien rückt das Holz in ein anderes Bild. Mit einer Oberflächenveredelung des echten Materials, die den Charakter sichtbar macht, erreicht man den Punkt, an dem es auf einmal beachtet wird. Man muss nicht alles neu erfinden, aber man kann die Dinge neu denken. Der Markt verlangt nach immer Neuem, aber auch die Reduktion und ein Blick aus veränderter Perspektive auf Bewährtes kann eine Lösung sein.

Strasser AG Thun

Das Unternehmen

Die Strasser AG in Thun beschäftigt derzeit 74 Mitarbeitende. Die Schreinerei wurde 1947 gegründet und wird heute in dritter Generation als Familienunternehmen geführt.

www.strasserthun.ch

Das Materialhaus «Punkt6»

Das Haus der Materialien hat die Strasser AG vor vier Jahren eröffnet. Dort finden sich über 1000 exklusive Oberflächen und Materialien als Beratungsgrundlage. Ein Haus der Materialien gibt es auch in Zürich. Dieses heisst «Punkt58».

Laserbearbeitung «Sublidot»

Sublimierung bedeutet allgemein «in die Höhe erheben», wenn etwas durch einen Veredelungsprozess (aus der Physik) auf eine höhere Stufe gebracht wird. «Sublidot» ist auch der Markenname für die laserbearbeiteten Materialien. Daraus sind auch Kollektionsmöbel von Strasserthun entstanden.

www.sublidot.swiss

ch

Veröffentlichung: 20. Juni 2019 / Ausgabe 25/2019

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