In Würde altern

Mit den vergrauten Schindeln aus Fichte fügt sich die Tiroler Hütte heute bestens in die Bergwelt ein. Bild: Hermann Kaufmann

Holzbautag Biel.  Die Fassade ist die Visitenkarte eines Gebäudes. In der Diskussion über Holzbau polarisiert deshalb nichts so sehr wie dessen Hüllen. Am Holzbautag Biel diskutierten die Referenten, was der natürliche Werkstoff kann und wo Holzfassaden Grenzen gesetzt sind.

Wer mit Holz arbeitet, weiss, dass dieser Werkstoff lebt. Auch lange nachdem der Baum zu Brettern gesägt, die Bretter zur Fassade verbaut wurden, quillt, schwindet und vergraut das Holz. Am Holzbautag der Berner Fachhochschule vergangener Woche im Kongresshaus Biel zeigten Referenten die Möglichkeiten und Grenzen von Holzfassaden auf. Wie altern Holzfassaden in Würde – diese Frage führte als roter Faden durch den Tag.

2018 machen Holzfassaden bei Mehrfamilienhäusern in der Schweiz bereits 18 Prozent aus. Die Tendenz für die nächsten Jahre ist gemäss Hanspeter Kolb, Professor für Holzbau und Brandschutz an der Berner Fachhochschule, steigend. Nachdem in den 80er-Jahren die neue Ära des Holzbaus eingeleitet wurde, gewann der Holzbau immer mehr an Bedeutung. Längst haben Holzbauten eine moderne Architektursprache gebildet und überzeugen mit einer hohen Klarheit in der Ausführung. Der Holzbau ist zwar in der Stadt angekommen – doch noch selten ist das auch von aussen sichtbar.

«Kaum etwas polarisiert in der Diskussion über Holzbau mehr als die Holzfassade. Für die einen der Inbegriff an Schönheit und Lebendigkeit, für die anderen hässlich, fleckig, vergänglich und billig», erklärt der österreichische Architekt Hermann Kaufmann. Die Referate am Holzbautag zeigen, dass sich beide Positionen anhand von Beispielen belegen lassen. Die Branche beweist am Holzbautag Biel eine reflektierte und selbstkritische Haltung.

Die Grenzen von Holzfassaden

Die Wirkung eines Gebäudes wird massgeblich von der Fassade geprägt. Sie ist die Visitenkarte des Gebäudes. Umso grösser ist die Ernüchterung von Bauherren, wenn schon nach wenigen Jahren eine unregelmässige Vergrauung, Risse oder gar Fäulnis die Fassade verunstalten. «Holz ist ein Naturmaterial, das sich bei Witterung verändert, egal ob behandelt oder nicht. Fehler bei der Materialwahl oder Konstruktion werden schnell sichtbar und können sich fatal auswirken», macht Hanspeter Kolb in seinen Ausführungen deutlich.

Holz arbeitet jeden Tag – Samstag, Sonntag und in den Ferien. Für diesen Kommentar erntet Kolb einige Lacher bei den zahlreich erschienenen Besuchern. Das Schwind- und Quellverhalten des Werkstoffs muss in der Konstruktion eingeplant werden.

Andere Fehler, die in der Planung regelmäs-sig vorkommen, sind Pfosten, die direkt auf der Schwelle stehen und vom Boden die Feuchtigkeit in das Stirnholz aufnehmen, oder auch der Einsatz von Blechen: Das Metall entwickelt unter der Sonneneinstrahlung eine enorme Hitze, die das Holz austrocknet. Kommt dann noch ein heftiger Sommerregen dazu, kann durch die entstandenen Risse Wasser tief ins Holz eindringen. Nebst dem konstruktiven und chemischen Witterungsschutz gilt es auch zu beachten, wie das Holz gelagert und abgewittert wurde. Wird das Holz zu feucht verbaut, sind Schäden vorprogrammiert.

Veränderbarkeit miteinbeziehen

Um die Verwitterung von Fassaden zukünftig besser zu planen, müssen Architekten und Holzbauer den Prozess beobachten und sich auch mit den regionalen Eigenheiten befassen. Der Architekt Hermann Kaufmann hat diesen Veränderungsprozess an eigenen Bauprojekten dokumentiert. Aufgewachsen in einer Zimmermannsfamilie in Voralberg, lernte der Referent die Möglichkeiten und die Faszination für den Baustoff früh kennen. Bald gründete er das eigene Architekturbüro und hat heute die Professur an der Technischen Universität München für Entwerfen und Holzbau inne. Kaufmann ist überzeugt: «Das Wesen einer naturbelassenen Holzfassade ist ihre Veränderbarkeit. Es ist unumgänglich, diese mit in das Gestaltungskonzept einer Fassade einzubeziehen.»

Einfluss der Umgebung

Jede Holzart verwittert unterschiedlich und ebenso beeinflusst die Umgebung den Prozess. Eine Holzfassade in Seenähe ist hoher Feuchtigkeit ausgesetzt, im Gegensatz zu einer Alphütte, die extremen Wetterverhältnissen zu trotzen hat. Um die Fassade bei einem Rückbau wieder in den natürlichen Kreislauf zurückzuführen, verzichtet Kaufmann, wenn immer möglich, darauf, das Holz chemisch zu behandeln. Und setzt deshalb auf konstruktiven Holzschutz. In seiner Präsentation wird sichtbar, dass vermeintlich nebensächliche Details den Verwitterungsprozess steuern und dass bewährte Schutzvorrichtungen nicht immer das gewünschte Resultat bringen.

Bei einer Wohnanlage im österreichischen Hard bestand die Bauherrschaft zum Schutz der Lärchenfassade auf geschossweisen Vordächern. 16  Jahre später zeigt sich die Fassade fleckig vergraut. Anders fügt sich eine Hütte in den Tiroler Alpen, nach 12 Jahren dem Wind, Schnee und der Sonne ausgesetzt, heute stimmiger in ihre Umgebung ein. Die Schindelfassade aus hellem Fichtenholz ist gleichmässig vergraut und verschmilzt mit der alpinen Landschaft – wie ein weiterer Felsen vor dem Gipfel.

Schönheit der Vergänglichkeit

Die Kulturhistorikerin Claire Bonney bereicherte den Holzbautag Biel um einen weiteren Blickwinkel: Wo Holzbauer und Ingenieure über geforderte Profildicken, Anschlüsse und Holzfeuchte diskutieren, sieht Bonney, die an mehreren Schweizer Hochschulen doziert, die Schönheit der Vergänglichkeit. In Japan gebe es gar einen eigens kreierten Begriff: Wabi-Sabi – die Akzeptanz der Vergänglichkeit. Und welches Material würde dieser Haltung besser entsprechen als Holz, das sich bewegt, lebt und dessen unregelmässige Maserung charakteristisch für den Werkstoff ist.

www.hkarchitekten.atwww.bfh.ch

ho

Veröffentlichung: 23. Mai 2019 / Ausgabe 21/2019

Artikel zum Thema

09. Mai 2024

«Einfach mal durchklicken»

Dokumentation.  Auf der Internetseite holzbaukultur.ch wächst eine Dokumentation heran, die den Werdegang des Holzbaus in der Schweiz begreifbar macht. Bis Ende des Jahres sollen 400 Gebäude online sein. Im Gespräch dazu Elia Schneider von der Berner Fachhochschule in Biel.

mehr
17. April 2024

Ein meisterlicher Botschafter

Parkettverband ISP. Im Schloss Laufen am Rheinfall fand die 55. Generalversammlung der Interessengemeinschaft Schweizer Parkettmarkt (ISP) statt. Ein abgekühlter Markt und der Mangel an Lernenden beschäftigt die Bodenlegerbranche auch in diesem Jahr.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Werkstoffe