Zu Besuch beim "fremden" Wohnvolk

Marktforschung. Die ethnografische Studie zum Wohn- und Einrichtungsverhalten «Wie die Schweizer wirklich wohnen» stellt das ideale Bild des Wohnens nach Katalog in Frage. Möbel sind eine neutrale Kulisse, welche durch die kleinen Dinge mit Persönlichkeit ausgestattet wird.

 

«Die Schweizer wohnen, wie sie wollen, es gibt nur keinen Namen dafür. Sie nutzen ihre Wohnung, um sich selber zu schaffen. Möbel müssen variabel und neutral sein. Aber nicht die Möbel, sondern all das, was sie umgibt, macht das Wohnen aus.» So lauten die wichtigsten Ergebnisse einer ethnografischen Studie, die von den Gottlieb-Duttweiler-Instituten (GDI) im Auftrag der Möbel Pfister AG erstellt wurde. 

Normalerweise werden solche Studien für die Gewinnung erster Erkenntnisse über fremde Völker angefertigt. Etwa wenn es darum geht herauszufinden, wie ein Indianerstamm auf Papua-Neuguinea lebt. Im Gegensatz zu den sonst üblichen und klar definierten statistischen Parametern von Marktstudien beobachten Wissenschaftler bei ethnografischen Studien ihre Probanden. Sie stellen Fragen und hinterfragen ihre Fragen, vor allem aber hören sie zu und versuchen zu begreifen, wie etwas ­funtioniert und was dahinter steckt. Genau das hat das GDI bei Schweizern zu Hause gemacht und über die gelebte Realität Erstaunliches herausgefunden. Das Schweizer Wohnvolk – das unbekannte Wesen. 

Welchen Stil bevorzugen die Schweizer?

Die Frage nach dem bevorzugten Stil brachte die Forscher nicht weiter. «Es wurden ­immer dieselben Begriffe wie klassisch, modern, zeitgemäss oder gemischt zur Beschreibung bemüht, obwohl die besuchten Wohnungen ganz unterschiedlich aussahen», schreibt Frerk Froböse, Autor der Studie. Also liess man die Wohnenden erzählen. Das Resultat: Die Menschen in der Schweiz folgen nicht einem bestimmten Stil. Sie richten sich gut ein, verfolgen durchaus das, was über Architektur und Design gesagt und geschrieben wird, und folgen doch nicht einer Vorgabe. «Sie wohnen mit Stil, aber nicht mit einem bestimmten.» Für Froböse drückt sich das besonders dadurch aus, dass es in jeder Wohnung Möbelstücke gibt, «die da eigentlich nicht reinpassen». Das kann eine Antiquität im modernen Umfeld sein, oder ein Ikeamöbel in der Designerwohnung. 

Was definiert das Zuhause?

Beim Wohnen scheinen die kleinen Dinge eine grössere Rolle zu spielen. «Die Bewohner bezogen sich stark auf die Dekoration mit den persönlichen Kleinteilen, die es so nur in der eigenen Wohnung gibt», so die Studie. Auch wenn eine Wohnung noch nicht «fertig» eingerichtet ist, oder Möbel als vorübergehende Lösung platziert sind, finden die kleinen, persönlichen Dinge immer schnell ihren Platz. Teppiche, Lampen, Bilder und viele kleine ganz persönliche Dinge lassen Räume zum Zuhause werden. 

Die Probanden sollten von Plätzen in ihren Wohnungen Fotos machen, die ihnen besonders wichtig sind. «Selten wurden Kompositionen oder Raumansichten abgebildet. Die meisten Bilder zeigen Objekte, zu denen die Wohnenden eine besondere emotio­nale Beziehung haben, auch kleine Möbel, über welche sich die Befragten aufgrund ihrer Persönlichkeit freuen», so die Studie. 

Was bedeutet wohnen?

Das Wohnen ändert sich nur langsam. Dies werten die Wissenschaftler als Gegentrend zur heutigen Schnelllebigkeit von Mode und Technik. Zwar hätten sich Wohnungen gegenüber früher durchaus verändert, wie etwa die gute Stube heute ausgedient hat. Doch insgesamt seien die Wohnformen nur wenig verändert. Als Beispiel nennt die Studie die Technik. Diese habe längst nicht so massiv Einzug gehalten, wie es einst vorausgesagt wurde. 

Für die Befragten ist die Wohnung vor allem ein Ort zum Wohlfühlen und Ausruhen, ein Rückzugsort. Für Schweizerinnen und Schweizer ist die Wohnung kein Ort, an dem man repräsentieren muss. Dazu dient das Treffen im angesagten Café. Stattdessen ist die Wohnung heute öfter Arbeitsplatz, Kinderspielplatz und eben – Wohlfühlort. Daraus leiten sich auch Ansprüche an Möbel ab. 

Wie sollen Möbel sein?

Wenn die Funktion eines Raumes wechselt, ändern sich auch die Ansprüche an die Möbel. Das Wohnzimmer ist heute oft einfach das grosse Zimmer. Hier spielt sich vieles ab, nicht nur das Wohnen. Die Wohnenden wollen Möbel, die sich in ihrer Funktion verändern lassen, aber nach ihren eigenen persönlichen Bedürfnissen. So dient der «grosse Tisch» als Ess-, Arbeits-, Konferenz- und Spieltisch gleichzeitig. Es ist also nicht die Mulitfunktionalität im Sinne von vordefinierter Gebrauchszuweisung, die attrak­tiv ist, sondern eine Wandelbarkeit je nach Bedürfnis. 

Dinge wie ein Umzug, die persönliche Entwicklung oder wachsendes Verlangen nach eigener Identität und die emotionale Bindung zu Kleinteilen, führen zu häufigeren Veränderungen im Wohnumfeld. Andere Einflüsse verlangsamen den Wechsel. Dazu gehören grosse Möbel, die möglichst neutral und nachhaltig sein sollen. Die Beständigkeit solcher Möbel bildet die hochwertige Kulisse, die unaufdringlich ist und Wandlungen mitmacht. Dem Handwerk misst das GDI dabei eine grosse Bedeutung bei. Neutrale Kulisse bedeute nämlich, dass es auch immer «Stars» in Form von besonderen Möbeln in einer Wohnung geben könne. 

Nur ein Bild vom Bild?

Eine offensichtliche Differenz zwischen gelebter Realität und dem vom «Schöner wohnen» geprägten Bild trat auch beim begleitenden Fotowettbewerb (mein Lieblingsplatz) zu Tage. Viele Einsendungen zeigen die eigene Wohnung nicht als persönlichen Rückzugsort, sondern verbergen diesen hinter den typischen «Schöner wohnen Fotos». Für das GDI kein Widerspruch, denn das ­Internet ist ein öffentlicher Raum, in dem man seine Wirklichkeit nicht zeigen ­möchte. Man macht es wie die «Möbelhäuser, die mit wohlgeordneten Kompositionen für ­jeden Bereich ein realitätsfremdes Ideal von Ess-, Jugend- oder Wohnzimmer präsentieren», so eine Teilnehmerin, dabei sei das Wohnen eine Mischung aus allen ­Kategorien. ch 

www.gdi.ch

www.meinlieblingsplatz.ch

Veröffentlichung: 27. Oktober 2011 / Ausgabe 43/2011

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