- Schreinerzeitung: Sie haben sozusagen einen Kaltstart hinter sich, nachdem Sie im Februar als Branchenfremder zum VSSM gestossen sind. Wie blicken Sie auf die ersten Monate zurück?
Mario Fellner: Ich hatte das Glück, dass ich während des ganzen Januars Zeit hatte, um mich auf die neue Aufgabe vorzubereiten. Ich nutzte die Zeit, informierte mich genau über den Verband und über die Branche. Ausserdem hatte die Geschäftsleitung für meine ersten Arbeitswochen ein sehr durchdachtes Einführungsprogramm zusammengestellt: Ich konnte in jedem VSSM-Bereich vorbeischauen und die Leute kennenlernen. Das verkürzte die Einarbeitungszeit enorm. Aber klar, als Quereinsteiger muss man immer etwas mehr investieren, bis man im Thema drin ist. Beim VSSM wurde es mir indes einfach gemacht, man hat mich überall sehr freundlich empfangen, ich fühlte mich sofort akzeptiert.
- Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, richtig angekommen zu sein?
- Das war nach Abschluss meiner Tour de VSSM, als ich auch der Höheren Fachschule Bürgenstock einen Besuch abgestattet hatte. Seither habe ich das Gefühl, mich voll und ganz einbringen zu können. Was ich übrigens unterdessen auch festgestellt habe: Ich bin lange nicht der einzige Verbandsdirektor, der aus einer anderen Branche kommt. Das scheint ein durchaus Erfolg versprechendes Modell zu sein (lacht).
- Sie sind erstmals in einem Berufsverband tätig, vorher waren Sie Betriebsleiter von Stadtbus Winterthur in einer öffentlichen Verwaltung. Wie war Ihr erster Eindruck vom VSSM?
- Mir ist sofort aufgefallen, dass der VSSM ein starker, fortschrittlicher Verband ist. Er geniesst einen hervorragenden Ruf. Und im Unterschied zur öffentlichen Verwaltung besteht deutlich mehr Handlungsspielraum. Man ist freier bei der Arbeit, muss weniger Formulare ausfüllen und Vorgaben beachten. Das macht vieles einfacher.
- Und wie ist Ihr erster Eindruck von der Branche?
- Die Schreinerinnen und Schreiner haben mir extrem imponiert. Sie sind mit grossem Stolz bei der Arbeit. Natürlich ist es nicht ganz zufällig, dass man im Zusammenhang mit dem Schreinerberuf auch von einem Edelhandwerk spricht. Ich finde sogar, dass die Schreiner noch viel selbstbewusster auftreten könnten. Sie leisten hervorragende Arbeit, liefern ausgezeichnete Produkte ab, das könnten sie durchaus noch etwas offensiver nach aussen tragen. Ihre Bescheidenheit und Zurückhaltung ist zwar äusserst vornehm, aber eigentlich nicht an die Realität angepasst.
- Das klingt jetzt so, als hätten Sie sich wirklich schon vom Schreinervirus anstecken lassen ...
- Ich trage den «Macher»-Gürtel, ein VSSM-Pin steckt an der Weste, und ich identifiziere mich hundertprozentig mit der Branche. Ich glaube, das Phänomen lässt sich einfach umschreiben: Wenn man mal anfängt, sich mit diesem Beruf und mit Holz zu befassen, dann lässt das einen nicht mehr los. Ein Beispiel: Kaum habe ich hier angefangen, habe ich mir einen Arvenholz-Quader angeschafft, der jetzt in unserem Haus einen wunderbaren Duft verströmt.
- Hatten Sie bereits Gelegenheit, Schreinereiluft einzuatmen?
- Ja, ich konnte schon reinschauen. Auch hatte ich die Möglichkeit, die Hausmesse eines Anbieters von Holzbearbeitungsmaschinen zu besuchen. Eine eindrückliche Sache. Ich möchte mich unbedingt noch weiter ins Thema vertiefen und den Arbeitsalltag eines Schreiners und Schreinerunternehmers kennenlernen. Dazu plane ich, nach den Sommerferien selbst während einigen Tagen in einer Schreinerei Hand anzulegen. Ich will wissen, was es bedeutet, in einer Schreinerei zu arbeiten, Kundenaufträge auszuführen, und ich will sehen, wo der Schuh drückt. Das habe ich schon bei Stadtbus Winterthur so gehalten: Ich machte die Trolleybus-Prüfung, um erleben zu können, was es bedeutet, einen Bus zu lenken.
- Sie waren in unterschiedlichen Branchen tätig, vor Stadtbus am Flughafen Zürich, ursprünglich sind Sie Automechaniker. Können Sie jetzt von den verschiedenen Erfahrungen profitieren?
- Ja, es sind Situationen, in denen man sich erinnern kann, dass man schon einmal mit einer ähnlichen Fragestellung konfrontiert war – egal in welcher Branche. Ich habe an all meinen Stationen extrem viel profitieren können, sogar von meiner Tätigkeit als Leiter eines Fitnesscenters.
- Sie arbeiteten in einem Fitnesscenter?
- Ja, ich übernahm ein Jahr lang den Job eines Kollegen, der ein Fitnesscenter besass und eine Auszeit nehmen wollte. In diesem Jahr leitete ich das Center und lernte, was es heisst, mit Kunden umzugehen, das Angebot laufend zu verbessern und gegen die Konkurrenz zu bestehen.
- Und auch in der Hotellerie waren Sie schon tätig ...
- Das ist richtig. Es war der Hotelbetrieb meiner Frau, den wir zusammen führten. Ich war für das Marketing zuständig und wirkte als Haustechniker, stieg auf die Leiter, wenn Reparaturen nötig waren. Das war meine Beschäftigung an Feierabend und Wochenenden, denn ich arbeitete hauptberuflich immer 100 Prozent.
- Zurück zum Sport: Sie bezwingen mit dem Mountainbike Berge. Das braucht viel Ausdauer und Ehrgeiz.
- Das Velofahren ist für mich der ideale Ausgleich zum Arbeiten. Zwar ist es kräfteraubend, danach setzt es aber Energie frei, ich bekomme das Gefühl, als könne ich Bäume ausreissen. Ich absolviere zwei bis drei Rennen pro Jahr. Wichtig ist vor allem die Disziplin. Ich gehe nie unvorbereitet an den Start, sondern richte meine Trainings darauf aus. Bis zu sechsmal wöchentlich trainiere ich vor einem Wettkampf. Und klar, ich bringe den nötigen Ehrgeiz mit. Mein Ziel ist es immer, im ersten Drittel der Rangliste klassiert zu sein. Wobei ich feststellen muss, dass dies je länger, je schwieriger wird, weil ich nicht jünger werde.
- Bestimmt haben Sie sich auch schon Ziele gesetzt, was die Zukunft des VSSM anbelangt ...
- Der Verband ist hervorragend aufgestellt. Es gilt, den guten Ruf weiter zu pflegen. Doch es ist klar, dass wir uns auch entwickeln wollen. Die Digitalisierung stellt zum Beispiel eine grosse Herausforderung dar. Wir müssen Ideen entwickeln, wie wir unsere Mitglieder bei diesem Thema noch intensiver begleiten und unterstützen können. Sie sollen aufgezeigt bekommen, wie sie die Digitalisierung als Chance nutzen können. Weitere Herausforderungen sind die Nachwuchsgewinnung, der Fachkräftemangel, die Mitarbeiterförderung oder die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Schreiner, damit sie länger in der Branche tätig bleiben. Zudem sehe ich noch Verbesserungspotenzial bei der längerfristigen Ausrichtung der Schreinereien. Die Unternehmen sind oft durch das Tagesgeschäft absorbiert und haben kaum Gelegenheit, sich strategische Überlegungen zu machen. Das ist schade, weil der Druck von ausländischen Anbietern immer grösser wird.
- Was raten Sie denn einem Schreiner, dessen Geschäft abgeflaut ist?
- Er soll sich überlegen, was seinen Betrieb ausmacht, wie sich dieser von den anderen abhebt, in welchen Bereichen er die Kundenbedürfnisse mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis erfüllen kann. Hat er diese Analyse gemacht, kann er vielleicht eine Spezialisierung anstreben, eine Nische besetzen, in der er sehr gut weiterexistieren kann. Über allem steht doch immer die Frage: Wo bin ich besser als die Konkurrenz?
- Und was raten Sie einem Schreiner, der aus dem VSSM austreten möchte, weil ihn die Mitgliedschaft nur viel Geld kostet, aber nichts bringt?
- Ich höre ihm zuerst genau zu, um herauszufinden, warum er so denkt. Ich frage ihn, welche VSSM-Dienstleistungen er kennt und welche er beansprucht. Und dann fordere ich ihn auf, selber aktiv zu werden und die Angebote zu nutzen. Wir können die Dienstleistungen nur zur Verfügung stellen, profitieren muss man selber. Und man soll die Mitgliedschaft und die Teilnahme an Verbandsanlässen als Investition sehen, die sich lohnt. Dank der Informationen, Beratungen und Kontakte, die man knüpfen kann, gewinnt die Firma.
www.vssm.ch
ZUR PERSON
Mario Fellner (49) hat am 1. Februar die Stelle als Direktor des Verbands Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM) angetreten. Nach seiner Lehre als Automechaniker arbeitete er in leitenden Funktionen unter anderem beim Luftfrachtunternehmen Cargologic AG am Flughafen und bei Stadtbus Winterthur. Mario Fellner ist verheiratet, hat drei Söhne und lebt mit seiner Familie und vier Hunden im zürcherischen Oberglatt.
mf
Veröffentlichung: 29. Mai 2017 / Ausgabe 20/2017