Coach und Türöffner für die zweite Chance

Diese drei Schreiner haben ihre Chance gepackt und stehen wieder erfolgreich im Arbeitsleben (v. l.): Thomas Schulthess, Beat Burri, Marc Hadorn. Bild: bofoto.ch

Zukunft.  Manchmal schlägt das Schicksal in Form von Unfall oder Krankheit gnadenlos zu. Trifft es Fachleute aus der Holzbranche, dann sind neue Perspektiven gefragt. «Hier greift die Arbeit der Stiftung WQ Solothurn», verrät Marc Roth, Leiter Wiederqualifizierung, im SZ-Interview.

SCHREINERZEITUNG: Die Stiftung WQ Solothurn existiert seit 25 Jahren und ist in der Schweiz einzigartig. Was zeichnet diese Organisation aus?
Marc Roth: Ganz klar unsere Einzigartigkeit im Sinne einer branchennahen Wiederqualifizierung. Das gibt es sonst in keiner anderen Branche. Mit unserem Umschulungskonzept bleiben die Handwerker mit ihrem Know-how der Holzbranche in einer neuen Funktion erhalten. Zum Beispiel in der Planung. Wir holen die Berufsleute in ihrer schwierigen Lebenssituation ab und begleiten sie auf ihrem Weg zur Wiedereingliederung – mit aller Konsequenz.
Wer sind diese sogenannten «Lernenden Fachleute», die bei Ihnen einen Neustart angehen?
Das sind mehrheitlich Schreiner und Zim-merleute – permanent rund 50 Personen –, die gemäss medizinischem Gutachten nicht mehr in ihrem angestammten Beruf tätig sein können. Die Ursache liegt vielfach bei einem Unfall oder bei langwierigen Krankheiten. Rückenleiden stehen dabei an erster Stelle. Dann liegt eine Umschulung auf der Hand. Was so einfach klingt, ist für die Vollbluthandwerker aber manchmal eine ziemliche Herausforderung. Man muss sich vorstellen, dass viele teilweise nach Jahrzehnten auf der Baustelle oder in der Werkstatt wieder die Schulbank drücken müssen. Darum ist es nicht «nur» eine Umschulung, sondern auch ein Entwicklungsprozess.
Wie läuft ein solcher Prozess der Umschulung im Idealfall ab?
Meistens von der Invalidenversicherung IV vermittelt, wird der Einstieg über ein unverbindliches Informationsgespräch geführt, wo sich die potenziellen Teilnehmer bei uns in Solothurn ein Bild machen. Fragen wie: «Wie läuft die Umschulung ab?», «Was wird von mir erwartet?» und «Was habe ich danach für Perspektiven?» werden dort geklärt. Diesem Erstkontakt folgt in Absprache mit der IV eine zweitägige Abklärung bzw. Standortbestimmung. Hier interessieren uns einerseits die Kompetenzen und der fachliche Rucksack der Person, andererseits aber auch ihr Umfeld und die Motivation, den Weg der Wiederqualifizierung mit uns zu gehen. Ist der Weg eingeschlagen und von der IV offiziell «verfügt», haben wir in der Regel 22 Monate Zeit, den Teilnehmer gemäss seinen Fähigkeiten wieder zu qualifizieren und ihm so eine Anstellung in einer angepassten Tätigkeit zu ermöglichen.
Zurück zur Verweildauer von 22 Monaten. Ist diese vorgeschrieben oder von Ihnen so empfohlen?
Wir erachten diesen Weg von der Zeitschiene her als ideal. Die schulische Ausbildung dauert bei uns normalerweise 18 Monate. Darauf folgt ein viermonatiges Praktikum als konkreter Türöffner in einem Betrieb. Dies ist in den meisten Fällen bereits eine Art Einführungzeit für die anschliessende Festanstellung.
Auch ein nicht zu unterschätzendes Wagnis für den Betrieb?
Ganz klar nein. Denn grundsätzlich birgt doch jeder Personalentscheid ein Risiko. Da geht man mit unseren Fachleuten kein spezielles Wagnis ein. Im Gegenteil. Unsere Absolventen werden in Absprache mit ihrem neuen Arbeitgeber auf die neue Aufgabe vorbereitet, und durch das Praktikum können sich beide Seiten zuerst kennenlernen. Nebst der Berufs- und Lebenserfahrung, die unsere Leute mitbringen, sind das sicher zwei nicht zu unterschätzende Vorteile. An dieser Stelle darf man auch erwähnen, dass dem Unternehmen während dem Praktikum keine Lohnkosten entstehen, da dies ein Bestandteil der Umschulung ist.
Zurück zum schulischen Teil der Wieder-qualifizierung. Wie muss man sich den Weg vorstellen?
Im ersten Halbjahr stehen ganz klar die Grundlagen im Zentrum. In den Folgemonaten geht es dann ans Eingemachte: Die gelernten Grundlagen werden in konkreten Anwendungen und Projektwochen intensiv geübt und die Planungskompetenzen vertieft – man sieht Fortschritte.
Zu diesem Zeitpunkt eröffnen sich auch bereits neue eventuelle Berufsfelder, und erste Praktikumsmöglichkeiten tun sich auf, je nach Interesse und Neigung in der Planung, Kalkulation, im Verkauf oder in der technischen Sachbearbeitung. Das kann dann bei unseren Absolventen durchaus und verständlicherweise Selbstzweifel auslösen. Schaffe ich das? Bin ich dem Druck gewachsen? Bekomme ich eine neue Anstellung? Zu diesem Zeitpunkt ist es wichtig, die «Lernenden Fachleute» eng zu begleiten, sie in ihren Werten zu stärken und aufzuzeigen, was sie alles an Können und Wissen mitbringen.
Und wer sind die Dozenten, die an der Stiftung WQ Solothurn als Wegbegleiter amten?
Im fachlichen Bereich müssen das zwin-gend Dozenten aus dem Schreiner- oder Zimmereialltag sein. Fachleute aus der Praxis. Ein gewisser Mix ist uns bei der Auswahl der Dozenten wichtig, muss doch auch eine Verbindung zur standardisierten Aus- und Weiterbildung in der Schreiner- beziehungsweise Holzbaubranche gewährleistet sein.
Wie werden die Fortschritte einer solchen Wiederqualifizierung dokumentiert?
Wir führen mit unseren «Lernenden Fach-leuten» im Vier-Monate-Zyklus eine Standortbestimmung über alle Fächer und die Fortschritte auf dem Weg zur Wiederqualifizierung durch. Es ist dabei keine Seltenheit, dass man gemeinsam eine Zielkorrektur vornimmt. Denn in diesem Prozess gibt es laufend Veränderungen. Je nach Situation heisst das, dass der Lernende mit zusätzlichen Fördermassnahmen, die zum beruflichen Ziel führen, individuell unterstützt wird.
Und trotzdem wird bei Ihnen nebst der Individualität stark auf Gruppen- dynamik gesetzt.
Unbedingt, in der Anfangsphase – da mei-ne ich die ersten Wochen – ist es eminent wichtig, dass man die Teilnehmenden ge-meinsam im Boot hat. Das ist auch jene Zeit, in der sie sich extrem mit sich selber ausei-nandersetzen müssen, beruflich und pri-vat. Das schafft die Basis für ein erfolgrei-ches Miteinander.
Wenn der Sprung zurück ins Berufsleben geschafft ist, sind Sie mit den «Lernenden Fachleuten» auch weiterhin in Kontakt?
Wir besuchen unsere Absolventen sowohl im Praktikum als auch danach in der Festanstellung systematisch. Uns ist wichtig, wie sie unterwegs sind und wie sie die Zeit bei der Stiftung WQ Solothurn mit etwas Abstand beurteilen. Gleichzeitig kann in diesem Zusammenhang das Feedback der Unternehmer abgeholt werden.
Eine Frage, die auf der Hand liegt: Wie sieht die Erfolgsquote bei Ihnen aus?
Das System funktioniert gut, denn wir brin-gen nach 22 Monaten Ausbildung rund 90% zurück in eine Festanstellung. Wenn dies in diesem Zeitraum nicht gelingt, streben wir die Rückkehr ins Berufsleben auch im Anschluss mit Konsequenz an, um eine Arbeitslosigkeit zu verhindern.
Was hat Sie vor vier Jahren gereizt, als ausgewiesene Fachperson mit Perspek-tiven in der Privatwirtschaft zur Stiftung WQ Solothurn zu wechseln?
Es war die Herausforderung, die «Lernenden Fachleute» in ihrer schwierigen Situation abzuholen, sie auf dem Weg zu begleiten und sie zum Erfolg, zur Wiederanstellung, zu führen. Und dass ich dabei mein fachliches Wissen weitergeben kann, ist für mich die perfekte Kombination. Ich habe diesen Schritt nie bereut, profitiere ich doch täglich vom Austausch mit den «Lernenden Fachleuten», den Betrieben und den Dozenten.
Die Unternehmen – Schreinereien und Zimmereien – müssen das Ihre zum Er-folg der Stiftung WQ Solothurn beitragen. Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Betrieben aus?
Unser Ziel ist der Erfolg unserer «Lernenden Fachleute». Da ist eine offene und gute Zusammenarbeit mit den Betrieben und der Branche eine Grundvoraussetzung. Doch machen uns die Vorurteile der Unternehmen teilweise zu schaffen. Manchmal fehlt das Vertrauen in die Personen, die auf dem Sprung in eine neue Zukunft sind. Hier wünschte ich mir etwas mehr Offenheit. Denn dass unser Konzept für alle Beteiligten aufgeht, zeigt die Erfahrung.
Viele unserer Absolventen arbeiten heute als wertvolle Betriebseckpfeiler in der Planung, Kalkulation oder im Verkauf. Mit jeder erfolgreichen Wiedereingliederung bleibt der Branche eine Fachkraft erhalten. Und das liegt doch im Interesse aller.
www.stiftung-wq.ch

pet

Veröffentlichung: 23. August 2018 / Ausgabe 34/2018

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