Das Komplizierte einfach machen


Melchior Laager pumpt am «Laagerplatz» Seifenblasen. Seine Geräte zeigen den Lernenden ganz prak-tisch, wie schwierig zu Verstehendes funk-tioniert. Bilder: Franziska Hidber


Melchior Laager pumpt am «Laagerplatz» Seifenblasen. Seine Geräte zeigen den Lernenden ganz prak-tisch, wie schwierig zu Verstehendes funk-tioniert. Bilder: Franziska Hidber
Lerngeräte. Wie unterrichtet man angehende Schreiner so, dass sie auch komplizierte Vorgänge verstehen? Der langjährige Berufsschullehrer Melchior Laager hat dafür rund 150 Lerngeräte entwickelt – heute sind sie in der ganzen Schweiz im Einsatz.
Ein Seifenblasenfläschchen, ein Stück Holz, eine Pumpe und zwei Bilder, auf welchen einmal der Querschnitt einer Waldföhre und einmal jener der Eiche – beide 1700-fach vergrössert – abgebildet sind. Die Gegenstände, welche der 62-jährige Melchior Laager nach und nach aus der grauen Box auf den Tisch holt, ergeben auf den ersten Blick keinen Sinn. Was haben sie miteinander zu tun?
Laager schweigt verschmitzt, spannt das Holz in die Pumpe, träufelt Seifenblasenwasser darauf, pumpt mit leichten, raschen Bewegungen – und siehe da, aus dem Holz steigen Seifenblasen auf, immer mehr und immer schneller. Der Fachmann freut sich: «Gauet, jetzt isch aues klar», kommentiert er in seinem Berndeutsch, das nicht so recht in diese gemütliche Wohnküche in Weinfelden passen will. «Ich bin ein Glarus-Bern-Thurgau-Gemisch», erklärt der begeisterte Tüftler und zeigt dann auf die Bilder, welche von der ETH zur Verfügung gestellt werden: Bei der Waldföhre mit ihren vielen und grossen Poren entstehen im Handumdrehen unzählige Blasen, bei der Eiche muss man sich schon mehr anstrengen. «Sehen Sie, darum geht es: Man kann im Unterricht nicht einfach vor sich hin plaudern oder etwas behaupten. Man muss es sichtbar machen, es beweisen.»
Laager weiss zu gut, wovon er spricht: 35 Jahre lang hat er an der Gewerbeschule in Weinfelden als Schreinerfachlehrer unterrichtet, demnächst wird er pensioniert: «Das wird eine Katastrophe», prophezeit er, nur halb im Scherz. Denn die Ausbildung der angehenden Schreiner war für ihn mehr Berufung als Beruf. Dabei wollte er gar nie Lehrer werden und hatte mit der Schule nur wenig am Hut: «Ich bin Praktiker durch und durch, das abstrakte Denken liegt mir nicht.»
Doch es kam anders. Vor über drei Jahrzehnten entdeckte der diplomierte Schreinermeister und Lehrlingsausbildner aus dem Bernbiet ein Inserat in der SchreinerZeitung: In Weinfelden wurde ein Schreinerfachlehrer gesucht. Melchior Laager – ohne Lehrdiplom, ohne Unterrichtserfahrung, ohne Draht zum Thurgau, aber mit einem grossen Faible für junge Menschen, bewarb sich. «Sie haben mich tatsächlich genommen», sagt er, wobei die Überraschung noch immer in seiner Stimme zu hören ist.
Eineinhalb Jahre später absolvierte Laager die Ausbildung zum Berufsschullehrer in Bern. Seine Fragezeichen häuften sich: Wieso war der Unterrichtsstoff so abstrakt? Wo blieb der Praxisbezug? Zurück im Schulzimmer bestätigten sich seine Ahnungen: Immer wieder stiessen die Lernenden an ihre Grenzen. «Wie sollten sie auch begreifen, dass zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit in einer Kühlbox steigt, wenn es innen immer kühler wird? Das ist doch unlogisch.» Als praktisch veranlagter Mensch mochte sich der Berufsschullehrer nicht lange mit Theorie befassen. Also stieg er in seinen Werkraum im Untergeschoss seines Hauses, während die drei Kinder schliefen und seine Frau den Singchor dirigierte, und konzipierte eine Kühlbox, mit der er das Entstehen der Luftfeuchtigkeit in der Schule eins zu eins demonstrieren konnte.
Der Erfolg spornte ihn an. Bald verbrachte Laager Abend für Abend in seinem «Kabäuschen», plante und zeichnete, tüftelte und tüftelte, verwarf, baute, verwarf, entwickelte, baute, testete. Mit einer unendlichen Geduld und dem ihm eigenen Hang zum Perfektionismus. Wie einst als Jugendlicher in der «Boutique» auf dem Bauernhof seines Göttis im Bernbiet, wo sein Talent als Töfflifrisierer rasch augenfällig wurde.
Die Kühlbox «Optima 1 Luftfeuchtigkeit» war das erste von 150 Lerngeräten für den Baubereich aus Laagers Tüftelkammer. In den letzten drei Jahrzehnten hat er ein wahres «Reich der Anschauung», wie er es nennt, aufgebaut. Seine Produkte ergänzen und unterstützen die Bin-Linie des Bildungsnetzes Schweizer Schreiner. Dass ihm dafür der erste Bin-Award für aussergewöhnliche Leistungen verliehen wurde, erfüllt ihn mit Stolz. Doch wo nur fand er die Inspiration für seine Geräte? Er lacht: «Die kamen häufig von den Lernenden. Immer wenn sie einen komplexen Prozess nicht begreifen konnten, versuchte ich, diesen sichtbar zu machen.» Und so ist seine Mission «Kompliziertes einfach darstellen» zum Lebenswerk geworden – und dazu gehören nicht nur die Lerngeräte.
Als Bin-Genossenschaftsmitglied leistete der umtriebige Schaffer auch seinen Anteil am Bin-Lehrmittelsystem mit der Lehrmittelbox, der Lern-CD und sogar einer App. Der Grundstein dazu wurde vor vielen Jahren gelegt, als Junglehrer Laager zusammen mit vier Kollegen neue Unterrichtsblätter entwarf, verfasste und kopierte – nicht ahnend, dass dereinst alle Schreinerlehrlinge in der Schweiz damit arbeiten würden, selbst in der Westschweiz und im Tessin. Jetzt, bald am Ende seiner erfolgreichen Lehrerlaufbahn, klopft er zufrieden auf die Ordner: «Die Bin-Box ist heute auf dem aktuellsten Wissensstand.» Möglich sei das nur dank der grossen Unterstützung der Bin-Mitglieder mit Markus Fröhlich als Verlagsleiter und nicht zu vergessen der Schreinerzulieferanten als Bildungspartner.
Für Laager sind die Zulieferanten neben dem Lehrbetrieb und der Schule ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Ausbildung. «Kopf, Herz und Hand», ist Laagers Maxime, seit jeher schon. Als Lehrer, als Tüftler und als Vater. In seinem Garten steht die Bank mit der Aufschrift «Laagerplatz», ein Geschenk einer Klasse. Bald wird Melchior Laager häufiger darauf Platz nehmen, denn bald schon wird er pensioniert. Davor graut ihm ein bisschen. Denn dann muss er die Schule loslassen wie auch seine Berufung. Und sein Lebenswerk: Bereits heute hält er Ausschau nach einem Nachfolger, welcher das «Lernholz» übernehmen möchte und dabei neue Geräte entwickelt und vertreibt – kurz: nach jemandem, der Laagers Mission mit Kopf, Herz und Hand weiterführt und natürlich mit sehr viel Leidenschaft dabei ist.
Veröffentlichung: 28. Mai 2015 / Ausgabe 22/2015
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