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SchreinerZeitung: Herr Lustenberger, morgen heisst es für Sie, Abschied zu nehmen. Wie fühlen Sie sich, so kurz vor der letzten Delegiertenversammlung?
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Ruedi Lustenberger: Klar, Wehmut ist in einer solchen Situation immer im Spiel. Doch die vergeht. Ich habe das Glück, dass ich mich lange auf diesen Moment vorbereiten konnte. Der Entschluss, Mitte 2016 das Amt abzugeben, ist schon länger gereift. Und ein bisschen abgehärtet bin ich bereits, weil ich mich im Herbst ja auch schon von meinem Amt im Nationalrat gelöst habe.
- Das war nicht einfach?
- Nein, der Abschied von der Politik hat mir echt zu schaffen gemacht, das waren sehr starke Gefühle. Politik und Verband lassen sich zwar nicht eins zu eins vergleichen. Wobei ich nie verhehlt habe, dass ich sehr gerne VSSM-Zentralpräsident war.
- Was wird Ihnen fehlen, wenn Sie das Präsidialamt nicht mehr ausüben?
- Ich werde es vermissen zu «regieren», Einfluss zu nehmen und zu gestalten. Diese drei Aspekte haben mir bei der Arbeit beim VSSM behagt und Freude bereitet.
- Elf Jahre waren Sie Präsident. Das ist eine lange Zeit. Hat sich die Bedeutung des Verbands seit Ihrer Wahl verändert?
- (Überlegt.) Kaum. Im grossen Ganzen sind Wahrnehmung und Funktion des VSSM in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik gleich geblieben. Das ist auch gut so. Denn, gäbe es den VSSM nicht, man müsste ihn und den Slogan «Der Schreiner – Ihr Macher» noch heute erfinden. Dennoch hat sich in den letzten Jahren natürlich viel getan, wir leben in einer Welt der Veränderungen.
- Was hat sich getan?
- Die Branche ist einem starken Wandel ausgesetzt. Schauen Sie sich nur mal die technischen Fortschritte an. Diese ermöglichen heute eine viel rationellere Fertigung als noch vor zehn Jahren. Hinzu kommt, dass an die Berufsleute andere Anforderungen gestellt werden. Ein Schreiner ist heute nicht mehr «nur» ein Handwerker, sondern ebenso ein Designer, was durchaus auch eine grosse Chance ist. Und als Drittes muss man natürlich das Marktumfeld erwähnen. Schweizer Schreinereien werden bedrängt durch billige Arbeitskräfte und billige Produkte aus der EU, die Binnenwirtschaft ist unter Druck geraten. Dagegen anzukämpfen ist nicht einfach, denn die Rahmenbedingungen beim Verhältnis der Schweiz zu Europa setzt die Politik.
- Es gab auch innerhalb des VSSM Veränderungen. Die Mitgliederzahl ist rückläufig, zudem entstanden Diskussionen über den Austritt von Fachgruppen.
- Die Mitgliederzahl ist tatsächlich leicht zurückgegangen. Hingegen ist die Lohnsumme der Mitglieder nach wie vor steigend. Aus der Mitgliederentwicklung kann man also kaum eine Abwärtstendenz ablesen. Zu den Fachgruppen: Bei der Umsetzung der Statutenreform 2010 unterschätzten wir anfänglich deren historisch gewachsene Strukturen und gewichteten sie zu wenig. Mit dem Schweizerischen Fachverband Fenster- und Fassadenbranche (FFF) fanden wir schliesslich eine gute Lösung, die beiden Seiten gerecht wird. Ich bin froh, dass wir den FFF an Bord halten konnten. Das ist verbandspolitisch wichtig. Die Swiss Shopfitters sind inzwischen ein unabhängiger Verein. Die einzelnen Betriebe sind nach wie vor VSSM-Mitglieder in den Sektionen.
- Die Statutenrevision war ein grosser Wurf, der unter Ihrer Führung umgesetzt wurde.
- Ja, die Revision war damals ein wichtiger Schritt, die Stellung der Sektionen wurde aufgewertet. Im Nachhinein kann ich festhalten, dass die Umsetzung der Revision ein Erfolg ist, der weit über das hinausgeht, was man damals erwarten konnte. Die schlanke Organisation funktioniert gut, und die Präsidentenkonferenz hat sich vorzüglich entwickelt.
- An was erinnern Sie sich sonst noch gerne, wenn Sie auf Ihre Präsidialzeit zurückblicken?
- Am meisten macht mich glücklich, dass der VSSM in dieser Zeit nie negativ in den Schlagzeilen war. Wenn es mal ein Problem gab, haben wir es intern anständig gelöst. Das Jubiläumsjahr 2012 wirkt noch heute nachhaltig. Es hat innerhalb des Verbands das Wir-Gefühl gestärkt und gleichzeitig eine gute Aussenwirkung erzeugt. Das langfristig angelegte Branchenmarketing trägt gute Früchte. Freude habe ich noch immer an der Erweiterung des Weiterbildungszentrums Bürgenstock und dessen Anerkennung als Höhere Fachschule. Und selbstverständlich spüre ich eine leise Genugtuung, dass ich 2014 die Doppelfunktion als Nationalratspräsident und VSSM-Zentralpräsident ausüben durfte. Es haben doch sehr viele Menschen zur Kenntnis genommen, dass der höchste Schweizer ein Schreinermeister war. Das ist gut für uns.
- Wo Licht ist, ist auch Schatten. Über was ärgern Sie sich, wenn Sie zurückdenken?
- Über die Verzögerungen rund um die Frage, wo der neue VSSM-Zentralsitz stehen soll. Ihnen lagen allerdings zum Teil fremdbestimmte Faktoren zugrunde. Auch die späte Absage des zweiten «WoodAwards» war nicht angenehm. Der Entscheid war aber richtig und die Geschichte heilsam; wir haben daraus gelernt und die internen Entscheidungswege umgehend verbessert.
- Und wenn Sie vorausschauen, was kommt in nächster Zeit auf den VSSM zu?
- Zentral ist, dass man die Verhandlungen über die GAV-Revision bald erfolgreich abschliessen kann. Unserer Branche war es immer wichtig, einen allgemeinverbindlichen GAV zu haben, der mit den Sozialpartnern einen anständigen Umgang pflegt. Im Moment sind wir aber an einem Punkt angelangt, bei dem gewisse Regelungen flexibler ausgestaltet werden müssen –, weil sich das wirtschaftliche Umfeld für unsere Betriebe stark verändert hat. Ich hoffe diesbezüglich auf das Verständnis unserer Sozialpartner. Der VSSM und seine Mitglieder wollen einen vertragslosen Zustand vermeiden. Deshalb beantragen wir der Delegiertenversammlung, den bestehenden, all- gemeinverbindlichen GAV bis Ende 2017 zu verlängern. Zu glauben, es gäbe einen GAV ohne Allgemeinverbindlichkeit, ist eine Illusion, welcher sich unsere Sozialpartner nicht hingeben sollten. Denn es kann nicht sein, dass nur die VSSM-Mitglieder an den Vertrag gebunden sind.
- Daneben brennt das Dauerthema Fachkräftemangel auf den Nägeln ...
- Ja, das betrifft auch uns. Die ganze Gesellschaft unterliegt dem Trend zur «Verakademisierung», wobei ich daran zweifle, ob dieser Weg für alle Gymnasiasten der richtige ist. Das Handwerk hat in den letzten 15 Jahren an Stellenwert verloren. Die Schreiner stehen aber im Vergleich zu anderen Branchen noch sehr gut da, weil wir uns kontinuierlich weiterentwickelt haben. Ein aktuelles Beispiel ist das Projekt «Bildung plus». Ich erinnere auch an die erfolgreich abgeschlossene Lehrreform und die Reform der höheren Berufsbildung. Künftig sollten noch mehr junge Berufsleute die Berufsmaturität absolvieren, diese Botschaft muss der VSSM verstärkt an die Basis senden. Und natürlich hoffe ich, dass auch der Bund mehr tut, um die Berufslehre attraktiver zu machen und die Weiterbildung zu fördern. Im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) fällt das Engagement dafür viel zu mager aus. Die Gleichwertigkeit von akademischer Bildung und Berufsbildung ist dort noch nicht in allen Köpfen angekommen. Dieser Umstand ist gravierend, denn er hat direkte Auswirkungen auf die Verteilung der Mittel.
- In welchem Zustand befindet sich der Verband, den Sie morgen an Ihren Nachfolger Thomas Iten übergeben?
- Der Verband ist solid und gut aufgestellt. Er ist finanziell gesund, funktioniert zweckmässig und lebt den Föderalismus. Wir haben einen ideal zusammengesetzten, kollegial agierenden Zentralvorstand. Die Geschäftsleitung und der ganze Zentralsitz sind unter Direktor Daniel Borner zu einer starken Einheit geworden, wir haben gutes, motiviertes Personal. Gemeinsam hat man in den vergangenen Jahren sehr viel erreicht. Auch die Sektionen und Fachgruppen erfüllen ihre subsidiären Aufgaben vorbildlich. Denken wir etwa an die grossen Leistungen in der Grundbildung. Die Zentrale Paritätische Berufskommission (ZPK) geniesst hohes Vertrauen beim Seco, unsere Ausgleichskasse wirtschaftet erfolgreich und kundenorientiert, und die Schreiner-Pensionskasse ist mit einem Deckungsgrad von 114 Prozent sehr komfortabel aufgestellt. Politisch pflegen wir ein anerkanntes Netzwerk mit dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV), der Lignum, Bauen Schweiz und anderen Vereinigungen.
- Was wünschen Sie Thomas Iten, wenn Sie ihm morgen zur Wahl gratulieren?
- Ich kenne Thomas und ich weiss, dass er es gut kann. Genau das werde ich ihm morgen sagen. Er bringt beste Voraussetzungen mit. Ich erwähne zum Beispiel die Tatsache, dass er einen grossen Mischbetrieb mit Schreinerei und Zimmerei führt. Ein äusserst wichtiger Umstand, denn er bietet die Grundlage, um die gute Zusammenarbeit mit den Holzbauern noch zu vertiefen.
- Und was geben Sie den anwesenden Schreinermeistern auf den Weg?
- Sie sollen grosso modo genau das machen, was der Verband propagiert: die Bildung fördern, Innovationen vorantreiben, auf die Sparte Design setzen und dabei die guten Schweizer Tugenden wie Qualität, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit nicht vernachlässigen. Dann kommt vieles gut.
- Und jetzt zurück zu Ihnen. Sie waren mit wichtigen Ämtern bekleidet und führten eine Schreinerei. Ab morgen sind Sie im Ruhestand. Was macht Pensionär Ruedi Lustenberger als Erstes?
- Meine Jagdleidenschaft musste oft zurückstehen. Den letzten Sommerbock habe ich vor vier Jahren erlegt. Man wird mich also vermehrt mit Büchse am Rücken in meinem Jagdrevier im Napfgebiet antreffen können. Ich werde es geniessen, viel Zeit in der freien Natur zu verbringen. Und das wohlgemerkt unabhängig vom Wetter: Ich gehe auch auf die Pirsch, wenn es regnet oder schneit. Nicht vermissen werde ich die Sieben-Tage-Woche, die mich oft in Beschlag genommen hat. Meine Frau Marie-Theres hatte dafür immer viel Verständnis, und sie hat mich ohne Aufheben stets tatkräftig unterstützt. Wir freuen uns, nun wieder häufiger in die Toscana und in die Schweizer Berge zu reisen.
- Haben Sie sich etwas Besonderes ausgedacht für die letzte Delegiertenversammlung von morgen Freitag?
- Ich werde nicht mehr viel sagen müssen, ausser meinen herzlichen Dank an alle zu richten, die mich in den vergangenen Jahren unterstützt haben. Das sind nicht wenige, das sind viele, sehr viele.
Delegiertenversammlung
VSSM-Präsidentenwechsel in St. Gallen
Rund 150 Delegierte und über 250 Gäste treffen sich morgen Freitag, 24. Juni 2016, auf dem Olma-Gelände zur 130. Delegiertenversammlung (DV) des VSSM. Die Organisatoren des Schreinerverbandes Kanton St. Gallen mit OK-Präsident Remo Marc Nüesch an der Spitze haben keinen Aufwand gescheut, diese DV mit einem attraktiven Programm würdig zu umrahmen. Im Zentrum der Versammlung steht der Abschied des längjährigen Zentralpräsidenten Ruedi Lustenberger und die Wahl seines Nachfolgers (siehe auch Seite 21).
Von Interesse werden auch die Themen Teilrevision der VSSM-Statuten, die Jahresrechnung von Maek und VSSM sowie die Ersatzwahl in den Zentralvorstand sein. Ein interessantes Alternativprogramm mit Stilberatung und Führungen erwartet Gäste und Partner. Nach dem abendlichen Bankett mit Unterhaltung trifft sich die Gesellschaft am Samstag zum Ausklang in der St. Galler Altstadt.
mf, pet
Veröffentlichung: 23. Juni 2016 / Ausgabe 25/2016