Der perfekte Tisch

Bilder: Koller Auktionen AG

Möbelgeschichte.  Der Verkaufspreis eines antiken Schreibtischs sorgte unlängst für einiges Aufsehen. Nur wenig Beachtung fand dabei die Faszination seiner Herstellung und seines Schöpfers, welcher das Schreinerhandwerk und die Möbelwelt nachhaltig prägte.

Die Familie von Louis XIV. hatte gleich mehrere, König Philipp V. von Spanien und verschiedenste Persönlichkeiten der damaligen Haute Noblesse hatten einen: Die Rede ist vom Bureau-Plat von André Charles Boulle, dem ersten Ebenisten am Hofe des Sonnenkönigs Louis XIV.

Im September brachte ein solches Exemplar an einer Auktion in Zürich sage und schreibe 3 000 000 Franken ein. Damit ist der durch Zufall in der Westschweiz entdeckte Tisch das teuerste, je in der Schweiz verkaufte Möbel.

Unerreichte Perfektion

Kann ein Schreibtisch so viel wert sein? «Im Vergleich zu anderen Kunstgegenständen ist dieser Tisch tatsächlich sehr wertvoll», sagt Luca Raschèr und beginnt zu schwärmen: «Nicht nur aufgrund seiner Herkunft, sondern auch handwerklich sind die Möbel von Boulle einfach einsame Spitze», so der Möbelexperte der Koller Auktionen AG. Das wusste offenbar auch Napoleon, angeblich hatte er einen ganzen Raum nur mit Möbeln von A.C. Boulle eingerichtet.

Tatsächlich war der um 1720 gefertigte Schreibtisch in vielen Belangen seiner Zeit voraus. So gelang es dem Schreiner, den 1950 × 980 × 800 mm grossen Tisch mit nur vier Beinen zu konstruieren. Bis dahin wurden solche Möbel aus statischen Gründen normalerweise mit acht Beinen versehen.

Ebenfalls unerreicht sind bis heute die Einlegearbeiten aus Messing und die Verzierungen sowie Beschläge aus vergoldetem Bronzeguss. «Es gibt zwar von anderen Meistern ebenfalls sehr hochwertige Möbel. Aber kein anderer fertigte die Ornamente und Gussteile so detailgetreu. Sie sind einfach perfekt», sagt Luca Raschèr. Obwohl Boulle diese Art von Einlegearbeit nicht erfunden hat, ist im allgemeinen Sprachgebrauch von der Boulle-Marketerie die Rede, weil er diese Technik zur Perfektion gebracht hat.

In Serie produziert?

Als wegweisend kann offenbar auch die Produktionsweise des Bureau-Plat bezeichnet werden: Es gibt Berichte, dass im Jahr 1720 ein Brand die Werkstatt und einen grossen Teil des Inventares zerstörte. Dazu gehörten fünf in Auftrag gegebene Tische sowie weitere zwölf, die sich ohne Auftrag in verschiedenen Produktionsstadien befanden. Daraus und aus weiteren Hinweisen lässt sich ableiten, dass Boulle und seine 40 bis 60 Mitarbeiter gleichzeitig an mehreren Bureau-Plats arbeiteten. Es wurde also in Serie produziert, und gewisse Teile wurden vorgefertigt.

Dies erlaubte es, die Wartezeit für die anspruchsvolle Kundschaft kurz – man geht von etwa einem Jahr aus – zu halten und die vielen Angestellten regelmässig zu beschäftigen. Allerdings bedurfte es einer straffen Organisation und strenger Führung, um die Qualität zu gewährleisten, denn damals habe man alles von Hand und nur mithilfe von Skizzen und Zeichnungen hergestellt. «Vermasste Pläne oder Holzlisten gab es nicht», sagt Raschèr.

Holz über mehrere Jahre aussortiert

Die Grundkonstruktion des Tisches mit drei Schubladen besteht wegen ihres geringen Schwind- und Quellmasses vorwiegend aus Eichenholz. Wie Samuele Cocchiarella, einer von vier Schreinern und Restauratoren des Auktionshauses Koller, weiss, hat man damals aber nur das Beste verwendet: «Nach mehreren Jahren Lagerung in der Werkstatt hat man jenes Holz, das sich am wenigsten verzogen hat, wieder nach draussen gestellt. Nach einer gewissen Zeit wurden die am wenigsten verzogenen Bretter wieder in die Werkstatt geholt, erneut getrocknet und selektioniert.»

Gemäss verschiedenen Untersuchungen wurde der gesamte Tisch sogar aus ein und demselben Eichenstamm gefertigt. So hatten die Schreiner damals sichergestellt, dass nur das ruhigste Holz für ihre Möbel Verwendung fand.

Tisch 15 Mal demontiert

Wohl deshalb hat dieser Boulle-Tisch die rund 300 Jahre ohne nennenswerte Schäden überstanden. «Bei der Demontage fanden sich nur zwei wesentliche Modifikationen», erzählt Cocchiarella, der den Tisch 15 Mal für Kaufinteressenten demontieren musste. Dazu gehören vor etwa 100 Jahren angebrachte Schwalbenschwänze auf der Unterseite des mit Leder bezogenen Tischblattes. Bei jeder Schublade wurden zudem zwei zusätzliche Führungsleisten angebracht, die ein Abkippen im geöffneten Zustand verhindern sollten. Bis auf das Blatt hat A.C. Boulle den ganzen Tisch mit Schildpatt (siehe Artikel auf Seite 35) und Ebenholz überzogen.

Als Klebstoff wurde ausschliesslich Knochenleim verwendet, der, je nach dem, mehrere Tage gekocht wurde. So lässt sich der Wassergehalt des Leims einstellen. «Für stark saugende Materialien verwendet man feuchten Leim, für weniger stark saugende kocht man den Knochenleim einfach länger», erklärt Restaurator Cocchiarella. Dadurch waren die Schreiner in der Lage, mit demselben Leim auch die Messingfilets zu kleben.

Bilder begutachtet, Tisch gefunden

Gemäss Raschèr befindet sich der Tisch in einem einmalig guten Zustand: «Das ist wirklich ein unglaubliches Glück. Oft werden sehr wertvolle Möbel aufgrund von Unwissenheit nicht fachgerecht behandelt oder restauriert.» Er empfiehlt deshalb, lieber einmal zu viel eine Einschätzung bei einem Experten einzuholen.

Ähnlich verlief es auch beim Bureau-Plat: Ein Mitarbeiter von Koller Auktionen besuchte ein Westschweizer Schloss für die Beurteilung von Bildern. Dieser rief Luca Raschèr an und erzählte ihm vom Tisch. «Bereits am nächsten Tag war ich vor Ort», berichtet Raschèr.

Visionär und Vollblutschreiner

Dass A.C. Boulle in seiner Werkstatt am Hofe des Königs sämtliche Arbeiten selber ausführen durfte, war zu jener Zeit überhaupt nicht üblich. Dies zeige den aussergewöhnlichen Stellenwert seiner Arbeiten, sagt Raschèr und ergänzt: «Zu dieser Zeit war das Zunftwesen noch sehr ausgeprägt.» Handwerker durften also normalerweise nur innerhalb ihrer klar abgegrenzten Zunft arbeiten. Für den Schreiner bedeutete das praktisch ausschliesslich die Verarbeitung von Massivholz.

Boulle war es aber erlaubt, vom Entwurf eines ganzen Möbels über die Herstellung der Gussteile, Beschläge und Einlegearbeiten bis hin zur Oberflächenbehandlung und zum Vergolden alles in seiner Werkstatt auszuführen. «Dank diesen Freiheiten war es Boulle überhaupt erst möglich, solche wegweisenden Möbel wie das Bureau-Plat herzustellen», erzählt Luca Raschèr mit einer Begeisterung, die einen als Schreiner nicht unberührt lässt.

Mit seiner gut organisierten Serienproduktion, seinen konstruktiven und gestalterischen Fähigkeiten war André Charles Boulle ein Vollblutschreiner und betrieb sozusagen eine der ersten Schreinereien, wie man sie heute kennt.

www.kollerauktionen.ch

Unter schreinerzeitung.ch/zusatzinformationen sind ergänzend zum Artikel noch mehr Bilder bereitgestellt .

ph

Veröffentlichung: 20. November 2014 / Ausgabe 47/2014

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