Die inneren Werte zählen

Geseifte Oberflächen im Innenausbau sehen toll aus. Der Kunde muss aber von der Lösung überzeugt sein. Bild: Daniel Ritter (Thymos)

Ökologie.  Ökologie und Nachhaltigkeit liegen im Trend. Diese Entwicklung ist auch im Oberflächenbereich spürbar. Viele Kunden sind sensibilisiert und verlangen vermehrt nach Oberflächenprodukten, welche ökologische und ungiftige Inhaltsstoffe aufweisen.

«Wir merken eine höhere Nachfrage nach natürlichen Oberflächenbehandlungen», sagt Samuel Bertschi, Inhaber der Schreinerey GmbH in Schöftland AG, einem Betrieb mit zehn Mitarbeitenden. Die Schreinerei hat den Fokus auf naturbelassene und nachhaltige Produkte gesetzt und produziert neben Massküchen und individuellen Schreinerarbeiten auch Möbel wie die Signaturebox, einen exklusiven Trolley mit geölten Fronten aus heimischen Hölzern.

«Wir merken auch, dass das Wissen unserer Kunden zum Thema natürliche Oberflächen merklich breiter geworden ist», ergänzt Bertschi. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Grundsätzlich möchte ein wachsender Teil der Bevölkerung in einer Umgebung wohnen, welche mit ungiftigen, natürlichen Rohstoffen ausgestattet ist.

Das trifft insbesondere auch auf die Kundschaft des Schreiners zu, welcher ja einen natürlichen Rohstoff verarbeitet und dies als Verkaufsargument nutzt. Viele Produktverwender verlangen, dass die Natürlichkeit auch vor der Oberfläche nicht Halt macht.

Im Sinne des Klimas

«Wir handeln und produzieren seit 1987 natürliche Produkte zur Oberflächenbehandlung. Was seinerzeit noch Pionierarbeit war und teilweise belächelt wurde, ist heute Zeitgeist und je länger je mehr Voraussetzung, insbesondere bei öffentlichen Bauprojekten», erklärt Daniel Ritter, Geschäftsführer der Thymos AG in Lenzburg AG.

Neben dem Thema eines giftfreien Lebensraums werden auch Überlegungen zum Klima- und Umweltschutz immer wichtiger. «Hier kommt das Thema Bauökologie ins Spiel. Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Im Bausektor betrifft dies sowohl den Neubau als auch die Sanierung», sagt Stefan Koller, Geschäftsführer der Firma Votteler AG aus Schwarzenbach SG. Dabei geht es einerseits um die Reduktion des Energiebedarfs, andererseits aber auch um den Einsatz von nachhaltigen Baustoffen und umweltfreundlichen Technologien. In diesem Zusammenhang erfreuen sich ökologische und naturnahe Holzoberflächen einer immer grösseren Beliebtheit. «Immer mehr unserer Kunden verlangen nach natürlichen, nachwachsenden Inhaltsstoffen in ihren Oberflächenprodukten», sagt Koller. Um den Ansprüchen des Markts gerecht zu werden, muss sich jede Schreinerei mit den Möglichkeiten im Bereich der natürlichen Oberflächenbehandlung beschäftigen. «Wir machen bei der Beratung immer auf das Thema Oberfläche aufmerksam und zei- gen die ökologischen Möglichkeiten auf. Grundsätzlich bevorzugen wir die natürliche Oberflächenbehandlung, da wir uns der Verantwortung gegenüber der Umwelt bewusst sind», sagt Leo Müller, Teilhaber der Schreinerei Lohrer GmbH in Bäretswil ZH. Der Betrieb mit neun Mitarbeitenden bietet neben den gängigen Schreinerarbeiten eine umfangreiche eigene Möbellinie an. Diese beinhaltet Tische, Möbel, Betten, Holzspielsachen und sogar Holzbadewannen. «Bei unserer Möbellinie versuchen wir gezielt, die natürlich schöne Optik und Haptik des Holzes zu erhalten. Dazu eignen sich natürliche Oberflächenbehandlungen wie Ölen, Wachsen und Seifen bestens», ergänzt Müller.

Eine gute Beratung ist zwingend

Wenn Oberflächenmittel mit natürlichen Inhaltsstoffen zum Einsatz kommen sollen, braucht es vorgängig eine gute, unmissverständliche Beratung durch den Schreiner. Oft weisen ökologische Produkte nicht die gleichen Eigenschaften auf wie traditionelle, nichtökologische Systeme. Eine geölte Oberfläche bei einem Esstisch muss beispielsweise regelmässig nachgeölt werden, je nach Intensität der Nutzung. Hier kann sich eine lackierte Oberfläche besser eignen, weil sie praktisch wartungsfrei ist. Wenn die Kundschaft vorgängig klar auf den Pflegeaufwand aufmerksam gemacht wird, dann gibt es im Nachhinein weniger Probleme und Diskussionen.

«Der Austausch mit dem Endkunden muss daher zwingend intensiver und offener sein. Das Ziel ist schlussendlich die Zufriedenheit des Kunden», sagt Stefan Koller. «Als Kundenberater ist es wichtig, zu wissen, welche Oberflächentechniken und -materialien wo eingesetzt werden dürfen, wie die Oberflächen unter diesen Voraussetzungen altern und nach einigen Jahren entsprechend aussehen werden. Diese Informationen müssen der Kundschaft im Verkaufsgespräch klar vermittelt werden. Schlussendlich muss die passende Pflege sichergestellt sein, damit Freude und Zufriedenheit lange anhalten», ergänzt Samuel Bertschi.

Verarbeitung will gelernt sein

«In der Regel sind natürliche Produkte auch etwas anspruchsvoller in der Verarbeitung, daher macht es Sinn, die eigenen Mitarbeitenden in diesem Bereich zu schulen», sagt Daniel Ritter. «Uns ist wichtig, dass unsere Mitarbeitenden darauf sensibilisiert werden, wie eine Oberfläche auszusehen hat und welches Verfahren dazu nötig ist», sagt Leo Müller. «Nur so können wir die geforderte Qualität sicherstellen.» Die meisten Hersteller von Lacksystemen bieten individuelle Kurse und Schulungen für Verarbeiter an. Dabei lernen die Teilnehmenden, wie ein Material eingesetzt werden muss, um den korrekten Effekt an der Oberfläche zu erzielen. Zusätzlich ist auch der wirtschaftliche Aspekt ein wichtiges Thema. Das Ziel ist es, dass natürliche Produkte genauso effizient verarbeitet werden können wie konventionelle Systeme.

Speziell wichtig sind die Pflege und das Auffrischen von bestehenden Oberflächen. Um die Möglichkeiten auszuschöpfen, muss der Verarbeiter auch hier das spezifische Wissen erwerben. «Für die Pflege von geölten Oberflächen empfehlen wir beispielsweise die pH-neutrale Reinigung, um einen Abbau des Öles zu verhindern. So bleibt die Oberfläche wesentlich länger intakt», erklärt Daniel Ritter. Für jedes Produkt stehen passende Reinigungs- und Pflegemittel zur Verfügung. Zur Pflege von geölten Oberflächen gibt es beispielsweise wässrige Carnaubawachs-Emulsionen oder Pflegeöl zur Nachbehandlung. «Was grundsätzlich für jede Art von Oberfläche gilt, ist bei natürlichen Systemen besonders wichtig. Auf abrasive Reinigungstücher und Pads gilt es generell zu verzichten», sagt Ritter.

«Es erfordert Fachkenntnis, bei der Fülle an Produkten korrekt zu unterscheiden.»

Das Angebot an Oberflächenprodukten aus den Bereichen Lack, Lasur, Öl, Wachs und Seife ist sehr gross und kann für den Schreiner rasch unübersichtlich werden.

Wer sich zum Ziel setzt, Oberflächenprodukte mit ausschliesslich natürlichen Inhaltsstoffen einzusetzen, muss ganz genau hinschauen. «Heute werden sogar kunststoffbasierte Produkte als nachhaltig und ökologisch verkauft. Für den Laien ist es oft schwierig, den Unterschied zu erkennen. Es erfordert Fachkenntnis, bei der Fülle an Produkten korrekt zu unterscheiden», sagt Ritter. Es fragt sich, wie der Verarbeiter in der Praxis rasch unterscheiden kann. Um es klarzustellen: Es kommt nicht auf den Produktetyp an, sondern auf die Inhaltsstoffe. Der richtige Lack kann also viel ökologischer sein als das falsche Öl. Die folgenden drei Punkte sind zentral:

  • Emissionen in Luft, Boden und Wasser: Hier stehen die Lösemittel im Vordergrund. Der Anteil an flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) muss möglichst gering oder idealerweise bei null liegen.
  • Toxikologie nach CMR: Dieser Punkt betrifft die Giftigkeit der Inhaltsstoffe für Mensch, Tier und Umwelt. CMR-Stoffe sind Substanzen, welche krebserregend (C für «cancer») sind, Schäden an der Erbsubstanz hervor- rufen können (M für «mutagen») oder negativen Einfluss auf die Fruchtbarkeit (R für «reproduktionstoxisch») haben.
  • Nachhaltigkeit: Das Oberflächenmaterial muss aus einer nachwachsenden Quelle stammen. Diese Definition schafft im Gegensatz zu den Begriffen «natürlich» oder «synthetisch» Klarheit. Denn schlussendlich stammt ein synthe- tisches Material, dessen Ausgangsstoff Erdöl ist, im Prinzip auch aus einer natürlichen Quelle.

Um nun diese drei Punkte zu überprüfen und herauszufinden, ob das betreffende Oberflächenprodukt effektiv ökologisch ist, kann der Schreiner beim Hersteller oder Händler Auskunft verlangen und das Sicherheitsdatenblatt studieren. Dies erfordert einiges an Fachwissen, und nicht immer lassen sich alle Informationen finden. Eine weitere Möglichkeit ist die Umwelt-Etikette für Lacke der Schweizer Stiftung Farbe. Produkte, welche diese Etikette aufweisen, lassen sich auf einen Blick einordnen. Eine Einstufung in die Kategorie A entspricht höchsten ökologischen sowie gesundheitsschützenden Aspekten. Dies unter Berücksichtigung der Gebrauchstauglichkeit.

Minergie-Eco als Vorgabe

«Wir merken auch, dass die Nachfrage nach Oberflächenmaterialien, deren Eigenschaften den Kategorien A oder B der Umwelt-Etikette von Stiftung Farbe entsprechen, zunehmend ist. Dieser Anspruch steht oft im Zusammenhang mit Minergie-Eco», sagt Stefan Koller. Das Zusatzprodukt Eco ergänzt die Minergie-Baustandards mit den Themen Gesundheit und Bauökologie.

Im Bereich Oberflächenmaterial ist der möglichst geringe Anteil an VOC zentral, da diese Stoffe oft noch lange nach der Verarbeitung verdampfen und gesundheitliche Probleme verursachen können.

Gänzlich unbehandelt als Möglichkeit

Eine Oberfläche gar nicht zu behandeln, ist im Prinzip die natürlichste und ökologischste Variante. Der Einsatz von chemischen Mitteln zur Oberflächenbehandlung fällt weg, das Holz bewahrt seine natürliche Optik und Haptik, und mit der Zeit bildet sich eine natürliche Patina. Ebenso entstehen keine Kosten für die Oberflächenbehandlung. Eine sinnvolle Möglichkeit also? «Ich denke, es kommt immer auf den Einsatzbereich und den Kundenwunsch an. Das sind die beiden zentralen Punkte bei dieser Frage», sagt Daniel Ritter. Wenn eine Oberfläche vor Beschädigung und Verunreinigung geschützt werden muss, beispielsweise im Aussenbereich oder bei stark beanspruchten Oberflächen innen, dann ist eine Behandlung nötig. Wenn der Kunde jedoch die Bildung einer Patina wünscht, die natürliche Verfärbung des Holzes toleriert und die Oberfläche wenig beansprucht, darf diese eher roh gelassen werden.

«Unbehandelte Oberflächen sehen wir zum Beispiel bei Terrassendecks oder bei Küchenbrettern als sinnvoll. Die mit der Zeit entstehende natürliche Patina kann die Oberfläche interessant wirken lassen und ihr Charakter verleihen», erklärt Leo Müller. «Bei Arve verzichten wir komplett auf eine Behandlung, wenn die Beanspruchung nicht zu gross ist. Als Pflegetipp empfehlen wir jeweils, die unbehandelte Oberfläche mit einem feinen Schleifpad frisch zu halten», fügt Samuel Bertschi hinzu.

www.lohrer.chwww.schreinerey.chwww.thymos.chwww.votteler.chwww.stiftungfarbe.org

 

Vor- und Nachteile

Um die Kundschaft kompetent beraten zu können, müssen Schreiner Vor- und Nachteile von Naturprodukten kennen. Wegen der Menge an Materialien und Systemen ist es zwar schwierig, hier generelle Aussagen zu machen, dennoch gibt es einige wichtige Punkte:

Mögliche Vorteile

Keine gefährlichen Inhaltsstoffe: Natürliche Oberflächenprodukte zeichnen sich durch ihre für Mensch, Tier und Umwelt ungiftigen Inhaltsstoffe aus.

Einfachere Verarbeitung: Für die Verarbeitung von Ölen ist keine aufwendige Infrastruktur wie eine Lackierkabine nötig. Der Arbeitsaufwand ist jedoch oft der gleiche wie bei klassischen Systemen, da oft mehrere Schichten aufgetragen und das Material abgezogen sowie einmassiert werden muss.

Auffrischen möglich: Ein grosser Vorteil ist die Tatsache, dass sich natürliche Oberflächensysteme wie Öle oft ansatzlos reparieren lassen. So wird eine Auf- frischung in der Mitte einer behandelten Fläche möglich, ohne Spuren zu hinterlassen. Je nach Produkt ist dies sogar im Aussenbereich möglich.

Mögliche Nachteile

Längere Trocknungszeiten: Natürliche Systeme weisen oft längere Trocknungszeiten auf, etwa Öle oder Wasserlacke. Dies wirkt sich negativ auf die Durchlaufzeiten aus.

Eingeschränkte Widerstandsfähigkeit: Bei geölten oder gewachsten Oberflächen sind Verfärbungen und Veränderungen, aber auch Verschmutzungen und Fleckenbildung bei der Oberfläche eher möglich als mit deckenden Systemen. Oftmals werden diese jedoch als Patina sogar gewünscht. Der Kunde muss darauf hingewiesen werden.

Regelmässige Pflege: Wer eine dauerhaft schöne, natürliche Oberfläche wünscht, muss diese regelmässig auffrischen, je nach Nutzungsintensität. Damit entstehen höhere Kosten für Pflege und Unterhalt, welche bei deckenden Systemen wegfallen.

Was generell ein Nachteil von natürlichen Produkten ist, kann jedoch für den Schreiner zum Vorteil werden. Versteht und akzeptiert der Produkteverwender den Pflegebedarf, gelingt es oft, Zusatzaufträge in diesem Bereich zu erhalten.

Umwelt-Etikette für Farben und Lacke

Von A bis G klassiert

Seit 2012 existiert die Umwelt-Etikette für Oberflächenmaterialien. Damit lassen sich Beschichtungsstoffe in einem transparenten und übersichtlichen Schema nach Kriterien von Umwelt- und Gesundheitsschutz sowie der Gebrauchstauglichkeit in die Kategorien A bis G einstufen. Die Umwelt-Etikette wird von der unabhängigen und nicht profitorientierten Schweizer Stiftung Farbe vergeben. Das Projekt ist breit abgestützt durch Verbände, Behörden, Wissenschaft, Industrie und Anwender. Viele Schweizer Hersteller von Oberflächensystemen sind Teilnehmer und lassen ihre Produkte nach Kategorie einordnen.

Zwei Produkte

Ein Öl und ein Lack

Das stark anfeuernde Hartöl «Complex» der Firma Josef Schellhorn GmbH aus dem Tirol auf Basis nachwachsender Roh- stoffe ist für alle Möbel- und Parkettoberflächen im Innenbereich geeignet. Als Basis dienen pflanzliche Öle, Fettsäuren sowie ätherische Öle. Diese Inhaltsstoffe ergeben atmungsaktive, offenporige Oberflächen, welche sich nicht elektrostatisch aufladen und daher geeignet sind für Personen mit Staub- allergie. Zu erwähnen sind die zertifizierte Lebensmittelsicherheit und dass es sich nicht selbst entzündet.

Bei «Toplin Aqua» von Thymos handelt es sich um einen wasserverdünnbaren Lack auf Basis von Leinölharz. Für den Innenbereich geeignet, kann dieser wie ein konventioneller Klarlack verarbeitet werden. «Toplin Aqua» wurde von der Stiftung Farbe in die Kategorie A eingeordnet, und seine Eigenschaften entsprechen dem Minergie-Eco-Standard. Somit lässt es sich im Wohnungsbau sowie bei Schulhausbauten einsetzen.

Roland Wildi, RW

Veröffentlichung: 15. Juni 2023 / Ausgabe 24/2023

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