Eigenständig und doch integriert


Blended Learning vereint die Effizienz des Internets mit dem zwischenmenschlichen Austausch. Bild: iStock


Blended Learning vereint die Effizienz des Internets mit dem zwischenmenschlichen Austausch. Bild: iStock
Lernplattform. Die Kombination aus Präsenz- und Digitalunterricht nennt sich Blended Learning. Holzbau Schweiz erarbeitet eine neue Lernplattform, die das digitale Pendant zum Präsenzunterricht bildet. Der Prototyp der neuen Plattform wird an der Messe erstmals gezeigt.
Die Geschichte der Menschheit zeigt, dass neue Techniken das Lernen und Denken entwickeln und bereichern. Im Altertum waren es Erfindungen wie der Abakus (Rechenhilfsmittel) oder der Papyrus (Beschreibstoff). Die Neuzeit wurde durch den Buchdruck eingeleitet, dank dem auch der breiten Bevölkerung ein Zugang zum Wissen ermöglicht wurde. Im letzten Jahrhundert kamen dann Taschenrechner ins Klassenzimmer, später der Computer. Aktuell ist das Internet an der Reihe und mit ihm das Blended Learning.
2020 geht es bei den Zimmerleuten los: Die ersten Studierenden der Bildungsgänge Holzbau-Vorarbeiter, Holzbau-Poliere und Holzbau-Meister werden nach den neu definierten Anforderungsprofilen ausgebildet. Diese wurden letztes Jahr in mehreren Workshops erarbeitet. Eine breitgefächerte Vertretung aus Gruppen- und Projektleitern sowie Geschäftsführern und Dozenten hat aufgezeigt, welche Herausforderungen die angehenden Kaderleute im beruflichen Alltag erwarten. Dabei wurde auch ein Blick in die nahe Zukunft gerichtet, um auf Entwicklungen wie Bim (Building Information Modeling) oder Umweltaspekte vorbereitet zu sein. Mit Unterstützung des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung (EHB) gelang es, drei schweizweit einheitliche Anforderungsprofile zu kreieren, die mittlerweile vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) unterzeichnet sind.
Doch das allein ist noch keine bahnbrechende Veränderung. Das eigentliche Kernstück der Reform ist die kommende Lernplattform. Analog zur Grundbildung werden Lehrmittel für die höhere Berufsbildung vom Verband Holzbau Schweiz zur Verfügung gestellt. Neu spricht man von Lernmedien, denn die Möglichkeiten der Wissensaneignung erweitern sich im Zuge der Digitalisierung stetig. So gibt es auf Kanälen wie Youtube oder Facebook immer mehr Videoanleitungen zu alltäglichen Herausforderungen des Lebens. Lange, komplizierte Papieranleitungen werden ersetzt durch zehnminütige Abfolgen von Bildern, Wörtern und Vertonungen.
Früher musste man bei einer Problemstellung gelegentlich einmal eine Bibliothek aufsuchen und sich Zeit für ein kurzes oder längeres Aktenstudium nehmen. Heute tippt man die ersten vier Wörter einer Frage ein und erhält innert Millisekunden von der Suchmaschine eine riesige Auswahl an Lösungsvorschlägen.
«Wissen ist Macht.» Dieses Zitat aus dem Spätmittelalter passt heute wohl nicht mehr. Denn wie kann Wissen Macht sein, wenn jeder den gleichen Zugang dazu hat? Unzählige Menschen geben ihr Wissen auf Blogs und Foren weiter. Es stellt sich jedoch die Frage, welchen Wert eine Ausbildung noch hat, wenn jeder im Netz zu jedem Problem frei verfügbare Anleitungen findet? Braucht es noch Berufsleute? Oder gilt die Zukunft den Autodidakten?
Die Antwort liegt auf der Hand: Gute Berufsleute zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Dinge nicht nur wissen oder kennen, sondern auch verstehen und selbstständig anwenden können. Sie müssen das Internet nicht nach Lösungsvorschlägen durchforschen, um ans Ziel zu gelangen, sondern finden eigene. Und das innert wirtschaftlicher Zeit, dank guter Ausbildung und Erfahrung. Berufsleute der Holzbranche benötigen deshalb eine Ausbildung, in der nicht nur Wissen gesammelt wird, sondern Kompetenzen angeeignet werden zur professionellen Ausübung im beruflichen Alltag. Im Mittelpunkt steht die Tätigkeit, die Handlung, die notwendig ist, um ein Werk zu vollbringen.
Holzbau-Kaderleute verfügen nicht nur über ausgeprägte Fachkompetenzen, sondern weisen all jene Fähigkeiten auf, die von der ersten bis zur letzten Phase zur Erstellung eines Holzbaus notwendig sind. Dies fängt bei der Devisierung an, geht weiter mit dem Verkaufsgespräch, der Planung, und nach Produktion und Montage folgen schliesslich die Bauübergabe und die Nachkalkulation.
Bei jedem Schritt hat man mit Menschen zu tun und benötigt deshalb die entsprechenden Selbst- und Sozialkompetenzen. Effizienz und Qualität sind gefordert, Termine müssen im Überblick behalten werden, wozu Methodenkompetenzen notwendig sind. All diese Kompetenzen vereint ergeben die Handlungskompetenz.
Die Lernplattform von Holzbau Schweiz ist auf Handlungskompetenzen ausgerichtet. Beispiel: Das Anforderungsprofil des Holzbau-Vorarbeiters hat insgesamt 35 Handlungskompetenzen, also 35 Tätigkeiten, die einen Holzbau-Vorarbeiter im beruflichen Alltag erwarten. Diese Handlungskompetenzen sind in ungefähr 15 Online-Kurse gebündelt. Darin enthalten sind jeweils textliche Lerninhalte, Videos und E-Tests zur Kontrolle des Lernerfolgs.
Vor, während und nach der Ausbildung können zusätzliche Online-Kurse zu Statik, CAD, Bauphysik und Skizzieren, die nicht integrierter Bestandteil der Ausbildung sind, modulweise absolviert werden. So können sich die Zimmerleute im Sinne des lebenslangen Lernens individuell weiterbilden. Ein automatisiertes E-Portfolio gibt Übersicht, welche Abschlüsse beziehungsweise welche Kompetenzen erlangt wurden. Die Studierenden der Weiterbildungslehrgänge besuchen nach wie vor den Präsenzunterricht.
Der Unterschied ist aber gross: Anstatt bei jedem Thema von vorne zu beginnen, kann ein erheblicher Teil der Grundlagentheorie ins digitale Selbststudium (Lernplattform) vorverlagert werden. So können Lehrpersonen den zeitlich begrenzten Unterricht interessanter gestalten, dies beispielsweise mit Gruppenaufträgen, Workshops, Projekt- arbeiten, Flipped Classroom (umgekehrtem Unterrichten) und weiteren Unterrichtsmethoden.
Sozial- und Selbstkompetenzen, die ab Kaderstufen umso wichtiger werden, reifen im realen Umfeld einer Klasse und durch die Vorbildrolle der Lehrperson. Im Präsenzunterricht erhalten die Teilnehmer ausserdem individuelle Rückmeldungen und lernen, Prüfungen mit offenen Fragen zu meistern, zudem findet im Klassenzimmer auch der Erfahrungsaustausch statt, um das Erlernte untereinander zu vergleichen und zu evaluieren.
Die Lernplattform steht also nicht in Konkurrenz zum Unterricht. Im Gegenteil: Der Unterricht erhält einen höheren Wert, weil durch die Vorverlagerung des Selbststudiums mehr Zeit für abwechslungsreiches und attraktives Lernen zur Verfügung steht. Die Mischform von Lernplattform und Präsenzunterricht nennt man Blended Learning (integriertes Lernen). Sie vereint die Effizienz des Internets mit den Aspekten zwischenmenschlicher Kommunikation.
Die Lernplattform befindet sich seit Frühling 2019 im Aufbau und wird ab Sommer 2020 als erstes offizielles Holzbau-Schweiz-Lehrmittel für die Ausbildungsgänge Holzbau-Vorarbeiter, -Poliere und -Meister bereitstehen. Die digitale Applikation dazu heisst «Konvink». Die Konzeptionierung und die Zusammenarbeit erfolgen mit der Lernmedien-Produktion von Ectaveo. Seit diesem Sommer gibt es zwei Online-Prototypen. Anhand dieser können die Arbeitsgruppen, vertreten aus Schuldozenten und Praxisleuten, die Stolperfallen, Fehlerquellen, aber auch die Chancen und Möglichkeiten evaluieren. Sozusagen ein Mock-up, so wie es bei modernen und grossen Holzbauprojekten immer öfter zum Einsatz kommt.
Veröffentlichung: 26. September 2019 / Ausgabe 39/2019
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                                                PaidPost. Mit der Weiterbildung zur Diplomierten Technikerin HF haben sich für Monika Keller neue Chancen aufgetan. Ihr Wissen bringt sie als Projektleiterin bei der Pendt AG ebenso weiter wie bei ihrem Teilzeitpensum als Berufsschullehrerin.
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