Eine Frage der Ausrichtung

Die CNC- und die Nesting-Technologie müssen individuell auf den jeweiligen Betrieb abgestimmt sein. Bild: Biesse Schweiz GmbH

CNC und Nesting.  Will eine Schreinerei die Nesting-Technologie nutzen, gilt es, die technischen Eigenschaften zu kennen sowie die Vor- und Nachteile individuell abzuwägen. In einem Doppelinterview beantworten zwei Experten die Fragen der Schreinerzeitung.

In Schweizer Schreinereien sind computergesteuerte Maschinen im Fertigungsprozess kaum mehr wegzudenken. Immer öfter hört man von Betrieben, die sich für eine Nestingmaschine interessieren.

Nestingmaschinen haben einen flächigen Auflagetisch, auf welchem die Werkstoffplatte aufgelegt und bearbeitet wird, wodurch der Zuschnitt entfällt. Dabei sind nur noch flächige Bearbeitungen möglich, was wiederum spezielle Beschläge und Konstruktionen bedingt. Michael Gwerder, Gebietsverkaufsleiter bei der Biesse Schweiz GmbH aus Ermensee LU, und Patrik Meyer, zuständig für den technischen Vertrieb bei der Homag Schweiz AG aus Höri ZH, haben sich Zeit genommen und die zentralen Fragen rund um den Einsatz der Nesting-Technologie in Schreinereien beantwortet.

Schreinerzeitung: Wo sehen Sie die grundlegenden Unterschiede zwischen der CNC- und der Nesting-Technologie?
Michael Gwerder: Die Unterschiede der beiden Technologien müssen schon vom Zuschnitt her betrachtet werden. Während herkömmlicherweise der Zuschnitt manuell an einer Plattensäge erfolgt, geschieht dies bei der Nesting-Anlage mit entsprechender Software auf der Maschine. Das Nesting-Verfahren nimmt die zwei Prozesse Zuschnitt und CNC-Bearbeitung in einem Schritt zusammen. Ein weiterer Unterschied zwischen der herkömmlichen CNC-Anlage und einer Nesting-Anlage ist der Arbeitstisch. Während bei einer CNC-Anlage Konsolentische mit Sauger und Spanner zum Einsatz kommen, ist es bei der Nesting-Anlage ein Flachtisch.
Patrik Meyer: Beide Maschinen basieren auf einer CNC. Die herkömmliche Konsolenmaschine lässt horizontale wie auch Unterflurbearbeitungen zu. Nesting-Anlagen sind hingegen gut geeignet für dünne Teile, welche bei einer Konsolenmaschine durchhängen oder wenn Bearbeitungen nur von oben nötig sind.
Welche Vorteile bietet die Nesting- Technologie im Vergleich zur CNC-Technologie im Handwerk?
Michael Gwerder: Je nach Teilespektrum der Schreinerei kann die Nesting-Technologie eine kosteneffiziente, schnelle und präzise Alternative zu den zwei Prozessen Zuschnitt und CNC-Bearbeitung sein. Da die Programme im Nesting-Bereich vorgängig erstellt werden, können längere Fräszeiten an der CNC realisiert werden, die ohne Mitarbeitende fahrbar sind. Durch die optimale Verschachtelung der Teile können oft bessere Verschnittwerte erreicht werden.
Patrik Meyer: Oft wird die Nesting-Technologie als ein Allheilmittel angepriesen. Sie kann zuschneiden, Löcher bohren und so weiter. Wenn ich viele nicht rechtwinklige Teile habe, hat diese Fertigung grosse Vorteile. Der Grossbetrieb hat bei der Nesting-Technologie den Vorteil, dass er immer ganze Platten auf die Maschine legen kann. Ein Kleinbetrieb muss aber oft schnell und einfach eine Restplatte zuschneiden können und müsste dann wieder auf eine stehende Säge oder Tischkreissäge ausweichen.
Welche Vorteile bietet die CNC- Technologie im Vergleich zur Nesting-Technologie im Handwerk?
Michael Gwerder: Die CNC-Anlage hat Vorteile, wenn es um die Bearbeitung von Stabmaterialien, Türblättern, Stirnbearbeitungen von Teilen oder eine fünfseitige Bearbeitung von Werkstücken geht. Um Teile zu unterfahren, muss auf einer Nesting-Anlage gewöhnlich auf Sauger ausgewichen werden, welche dann auf der Verschleissplatte angesaugt werden.
Patrik Meyer: Die Flexibilität ist ein grosser Vorteil der CNC-Technologie. Will eine Schreinerei Möbel produzieren, hat sie mehr Freiheiten, wenn es um Konstruktionen und Beschläge geht. Es können kleine Reste verwertet werden, was wiederum ein rationelles Arbeiten ermöglicht.
Welche Materialien und Produkt- kategorien sind für die Anwendung der Nesting-Technologie geeignet?
Patrik Meyer: Besonders gut geeignet für die Nesting-Bearbeitung sind alle Materialien, die sehr dünn und biegsam sind, beispielsweise dünne Plattenmaterialien, Eternit oder Kunststoffplatten.
Michael Gwerder: Diese dünnen Materialien werden oft im Korpusbau in der Kunststoff- und Fassadenbearbeitung, in der Verpackungsindustrie, im Boots- und Schalungsbau und für Unterkonstruktionen im Polstermöbelbereich eingesetzt. Weiter ist aufgrund des guten Verschnittwertes die Bearbeitung von kostenintensiven Werkstoffen sowie Schaumstoffen und Neopren interessant. Diese können mit Schneideinheiten auf den Flachtischmaschinen bearbeitet werden.
Wie muss sich die Nesting-Technologie weiterentwickeln, um den Bedürfnissen und Anforderungen des Schreinerhandwerks gerecht zu werden?
Michael Gwerder : Die Nesting-Technologie ist aktuell auf einem sehr hohen Stand. Der Maschinentisch kann über ein dynamisches Vakuum extra viel Unterdruck unter das Werkstück bringen, damit schon kleinste Teile gespannt werden können. Im Beschlagbereich waren bis vor Kurzem optische oder prozesstechnische Kompromisse nötig, aber dank innovativer Beschlägehersteller konnten auch diese Lücken geschlossen werden. Dank neuer Systeme sind heute bereits höhere Vorschübe möglich, und mit der Fünf-Achs-Spindel und den grossen Bohrköpfen sind Foldingfräsungen, Freiformen und effiziente Bohrzyklen realisierbar. Weiter sind Automatisierungslösungen ab einem Plattenlager oder einer Beschickungslösung einfach umzusetzen und heute Standard.
Patrik Meyer: Das Aufspannen von kleinen Teilen sollte noch einfacher werden. Um den Zuschnitt abzulösen, müssten die Fräser gleich schnell fräsen können, wie ein Sägeblatt sägen kann. Zudem dürfen die Schärfkosten der Werkzeuge nicht höher ausfallen als bei einer konventionellen Bearbeitung. Aussederm benötigt die Nesting-Technologie noch mehr Energie als herkömmliche Bearbeitungszentren.
Inwiefern spielt die Nachhaltigkeit eine Rolle bei der Verwendung der Nesting- oder CNC-Technologie, insbesondere hinsichtlich Energie- und Material- verbrauch?
Michael Gwerder: Bezüglich des Energieverbrauchs wurden in letzter Zeit einige Innovationen umgesetzt. Das heisst, es sind nur so viele Vakuumpumpen im Einsatz wie nötig. Weiter konnte durch das dynamische Vakuum eine Reduktion der benötigten Vakuumleistung erreicht werden. Auch die Absaugleistung wird durch eine Klappensteuerung optimiert, und es werden nur noch Arbeitseinheiten abgesaugt, die auch im Einsatz sind.
Patrik Meyer: Bei Freiformen kann ich bei einer Nesting-Anlage besser verschachteln. Beim Möbelbau mit rechtwinkligen Teilen werden die Reste oft entsorgt, da das weitere Bearbeiten auf der Nesting-Maschine sehr zeitintensiv ist. Nesting braucht mehr Energie. Eine Konsolenmaschine benötigt eine Vakuumpumpe, ein Bohrzentrum keine und eine Nesting-Anlage für Halbformatplatten je nach Anforderung zwei bis drei Stück. Somit benötigt die Nesting-Maschine mehr Energie als die anderen Maschinen.
Welche weiteren Aspekte gilt es zu beachten, wenn sich Schreiner für die Nesting-Technologie interessieren?
Michael Gwerder: Zuerst sollten sich die Schreiner mit der Datensituation auseinandersetzen. Optimalerweise können sie die Teile bereits im Büro planen, das NestingBild generieren und so an die Anlage senden. Weiter sollten sie sich mit dem Materialfluss im Betrieb auseinandersetzen. Eine Beschickungslösung kann die Abläufe zusätzlich vereinfachen und die Arbeit ergonomischer gestalten. Wenn die Platzverhältnisse es zulassen, ergibt sich durch ein Entladeband und eine Rückführung zur Kantenleimmaschine eine grosse Mehrleistung bei einer kleinen Investitionssumme.
Patrik Meyer: Die Schreiner müssen sich zudem bewusst sein, was sie produzieren wollen und was für Konstruktionen ihre Werkstücke und Möbel haben.
Wie wirkt sich der Einsatz der Nesting-Technologie auf die Planungs- und Fertigungsfreiheit einer Schreinerei aus?
Patrik Meyer: Nach unserer Meinung hat die Nesting-Technologie einen sehr grossen Einfluss auf die Planungs- und Fertigungsfreiheit. Denn es gibt Einschränkungen bei den bereits erwähnten Punkten.
Michael Gwerder: Eine gewisse Standardisierung hilft der Produktion natürlich immer. Durch die Nesting-Technologie kommen normalerweise andere Korpusverbindungen zum Einsatz. Weiter wird der Materialfluss direkter. Konstruktionen, welche früher nur mit viel Verschnitt gefertigt werden konnten, können mit der Nesting-Technologie optimiert werden.
Mit welchen Einschränkungen müssen Schreiner beim Einsatz der Nesting-Technologie rechnen?
Michael Gwerder: Im Vergleich zur Konsolenmaschine ist aktuell ein Automatisieren der Sauger nicht möglich. Dadurch wird oft mehr Zeit für Rüstvorgänge gebraucht, wenn nicht direkt auf dem Nesting-Tisch gearbeitet werden kann. Das heisst, wenn Sauger oder Rahmenspanner auf dem Nesting-Tisch montiert werden müssen. Wenn Teile Stirnbearbeitungen haben, ist oft ein zweiter Bearbeitungsschritt nötig.
Patrik Meyer: Mit Einschränkungen in der Flexibilität bei der Konstruktion und den Beschlägen. Es gibt immer mehr Beschläge, welche speziell für Nesting entwickelt wurden. Diese sind in vielen Fällen jedoch noch teurer als die klassischen Beschläge. Auch im Bereich der Resteverwertung, der kleinen Losgrössen und der Kleinteile gibt es Einschränkungen. Wenn alle Bearbeitungen über die Nesting-Maschine laufen sollen, wird mehr Zeit für das Einrichten und Umstellen der Maschine benötigt.
Inwiefern hat die Nesting-Technologie Auswirkungen auf die bekannten Arbeitsabläufe und die Arbeitskultur in einer traditionellen Schreinerei?
Patrik Meyer: Wenn ein Betrieb auf die Nesting-Technologie setzt, muss er sich bewusst sein, wie er in Zukunft den Zuschnitt bewerkstelligen will. Auch die weiteren Bearbeitungen müssen klar definiert werden, damit alle Fertigungsabläufe ermittelt und an die neuen Bedürfnisse angepasst werden können.
Michael Gwerder: Die Nesting-Technologie bringt häufig eine geringere Arbeitsteilung mit sich, da oft mit einem Maschinisten gearbeitet wird, welcher für diesen Prozess zuständig ist. Allerdings beobachte ich auch in der traditionellen Schreinerwerkstatt eine Spezialisierung. Häufig werden auch hier die CNC-Bearbeitungen von Maschinisten erledigt.
Es gibt auch kombinierte CNC- und Nesting-Maschinenlösungen. Wo sehen Sie hier die Grenzen?
Michael Gwerder: Bei uns gibt es einen flies-senden Übergang zwischen den zwei Technologien. Nesting-Anlagen können mit Saugern oder Rahmenspannern bestückt und Konsolenmaschinen können mit Rastertischen ausgestattet werden. In beiden Sonderfällen ist das Automatisieren von Beschicken, Entladen und der Saugerpositionierung jedoch schwieriger.
Patrik Meyer: Was heisst kombiniert? Man kann auf einer Nesting-Maschine auch Sauger daraufstellen, damit die horizontalen Bearbeitungen, wie bei einer klassischen CNC-Maschine, möglich sind. Die Frage ist immer, in welcher Menge und Häufigkeit das in der Praxis sinnvoll ist.
Was wollen Sie Schreinern mit auf den Weg geben, wenn sie sich für den Einsatz der Nesting-Technologie interessieren?
Patrik Meyer: Schreiner müssen sich über ihre eigenen Abläufe und über die Produkte, die sie fertigen möchten, Gedanken machen. Weiter sollte nicht nur die einzelne Maschine berücksichtigt werden, sondern der ganze Ablauf im Betrieb. Von der Planung bis zur Montage. Auch Themen wie Unterhalt, Bearbeitungszeiten und so weiter spielen eine wichtige Rolle. Wie schon erwähnt, ist ein Sägeblatt immer schneller als ein Fräser. Auch die Standzeiten und die Schärfkosten sind nicht vergleichbar.
Michael Gwerder: Nach meinen Berechnungen ist das Nesting-Verfahren in gewissen Stückzahlbereichen in der Korpusproduktion der effizienteste und kostengünstigs- te Produktionsprozess mit den bereits genannten Einschränkungen. Wenn eine Investition in den Zuschnitt und in den CNC-Bereich nötig ist und die Produktionsabläufe passen, sollte das Nesting-Verfahren bei der Evaluation mit in Betracht gezogen werden.

www.biesse.comwww.homag.com

Noah Gautschi

Veröffentlichung: 11. April 2024 / Ausgabe 15/2024

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