Harter Kern, noch härtere Schale

Sogenannte Hartstoffbeschichtungen versprechen eine deutlich erhöhte Standzeit beim Bohren oder Fräsen. Bild: Sven Bürki

Werkzeugbeschichtungen. Ein Vielfaches an Standzeit gegenüber Hartmetall und deutlich tiefere Investitionen als bei einem Dia-Werkzeug: so das Versprechen bei den sogenannten Hartstoffbeschichtungen für Bohrer, Fräser und Co. Gutes Marketing oder tatsächlicher Mehrwert? 

Was haben Luxusuhren, Essbesteck und chirurgische Instrumente mit dem Fräs- und Bohrwerkzeug in einer Schreinerei ­gemeinsam? 

Was auf der Hand liegt: Bei diesen Produkten dient vorzugsweise ein Metall oder eine Metalllegierung als Ausgangsmaterial. Allerdings gibt es zumindest noch eine weitere Gemeinsamkeit, denn die Oberflächen all dieser Fabrikate werden zuweilen noch mit sogenannten Hartstoffbeschichtungen veredelt. Solche Oberflächenveredelungen können sowohl ästhetische als auch funktionelle Vorteile haben und das Bauteil oder das Werkzeug zum Beispiel widerstands­fähiger gegen Verschleiss oder Korrosion machen. 

Durch unterschiedliche Verfahren oder Anpassungen der Parameter innerhalb eines Verfahrens sind aber auch verschiedene Farben und Oberflächenausführungen möglich, wie etwa matt oder glänzend. So gibt es Besteck aus Edelstahl nicht mehr nur in der für das Material typischen grau-silbernen Farbe, sondern auch in Gold, Rosé, Anthrazit oder Schwarz. Gleichzeitig ist die beschichtete Oberfläche aber auch extrem kratzfest – eine Eigenschaft, die auch bei ­einem Uhrengehäuse gerne gesehen ist. Die Hartstoffbeschichtungen machen aber auch einzelne Bauteile der Uhrmechanik härter und dadurch langlebiger.

 

Naturprodukt mit Nachteilen 

Auch bei Werkzeugen kann durch eine Hartstoffbeschichtung – zum Beispiel bei einer Schneide oder bei beanspruchten Flächen – eine höhere Härte und bessere Widerstandsfähigkeit, sprich eine längere Standzeit, erreicht werden. In der Metallbranche sind Bohrer und Fräser mit einer solchen Oberflächenveredelung schon lange allgegenwärtig, wogegen sie in der Holzbranche noch seltener anzutreffen sind. Für Martin Stähli, Verkaufsleiter der Oertli Werkzeuge AG in Höri ZH, ist klar, warum die Beschichtungen bei Schreinern und Holzbauern bislang nicht populärer sind, obwohl man sie auch in der Holzbearbeitung schon seit vielen Jahren kennt: «Holz ist nun mal kein homogenes Material, wie es Stahl, Aluminium oder jedes andere Metall ist.» So können die Unterschiede innerhalb einer Holzart bereits signifikant sein, geschweige denn zwischen verschiedenen Holzarten oder von Hart- zu Weichholz. «Das macht es schwierig, beim Einsatz in Holz und Holzwerkstoffen einen allgemeinen Faktor X an Standzeitverlängerung durch die Beschichtung zu messen oder zu definieren», sagt Stähli. 

 

Vom Labor in die Werkstatt 

Bei Fräsern und Bohrern mit Hartstoffbeschichtung seien die Angaben zu den immensen Standzeitverlängerungen deshalb immer auch etwas mit Vorsicht zu genies­sen. «Diese Angaben können durchaus zutreffen, je nach Material und Situation ist der Mehrwert zu einem unbeschichteten Fräser aber möglicherweise gar nicht mehr so gross», sagt Stähli. Ähnlich sieht dies ­Adrian Guggisberg, Leiter Verkauf und Marketing bei der HWS AG aus Stäfa ZH. «In der Praxis zeigen sich oftmals andere Werte als auf dem Papier oder als in den Tests im ­Labor.» Wichtig sei hier deshalb die Erfahrung aus Feldversuchen und die ehrliche Kommunikation mit den Kunden. Denn auch wenn die Resultate im praktischen Einsatz zuweilen nicht die gleichen sind wie unter optimalen Laborbedingungen, haben die Hartstoffbeschichtungen fraglos ihre Berechtigung, zeigen sich Guggisberg und Stähli überzeugt. 

 

Je nach Material und Anwendung 

Das Potenzial von Hartstoffbeschichtungen sehen die beiden Fachleute insbesondere bei gleichbleibenden Bearbeitungen in möglichst gleichem Material. So kann ein beschichtetes Werkzeug etwa bei Bearbeitungen in Brettschichtholz mit einem grossen Leimanteil, harten Exotenhölzern oder auch bei Kunststoff, Aluminium und HPL sinnvoll sein. 

Ein Material, das zuweilen auch diamant-bestückte Werkzeuge vor Herausforderungen stellt, scheint aber auch für die Hartstoffbeschichtungen ein harter Gegner zu sein – nämlich die Spanplatte. «Die steigenden Recyclinganteile in Platten und der damit einhergehende grosse Materialmix führt zu einer starken Beanspruchung der Werkzeuge, egal ob Dia oder beschichtet», sagt Stähli. Tatsächlich sei die Standzeit der Hartstoffbeschichtungen bei der Bearbeitung von Spanplatten nicht so gross, wie bei anderen Materialien, bestätigt Guggisberg. Früher oder später werde wohl aber auch hierfür eine passende Formel gefunden. «Der grosse Materialmix in den Platten macht es allerdings schwierig, die Beschichtung optimal auf das Material abzustimmen», sagt Guggisberg. 

 

Härter ist nicht immer besser 

Apropos richtige Abstimmung: Diese gilt es bei den Hartstoffbeschichtungen generell immer zu finden. Denn eine härtere Oberfläche bedeute nicht immer automatisch eine höhere Standzeit. «Das mussten wir bei den praktischen Tests neuer Beschichtungen feststellen», sagt Guggisberg. Vielmehr müsse die richtige Härte für das gewünschte Material gefunden werden. Gelingt dies, kann eine Hartstoffbeschichtung ein sinnvolles Mittelding zwischen Hartmetall und Diamantbestückung sein. «Eigentlich sind die Beschichtungen nichts anderes, als der Versuch, die Schnittigkeit von Hartmetall mit der Härte von Diamant oder vergleichbaren Materialien zu kombinieren», sagt Guggisberg. 

 

Preis-Leistungs-Verhältnis 

Die Härte sei aber nicht die einzige Eigenschaft, die sich durch eine Hartstoffbeschichtung positiv beeinflussen lässt. So könne ­dadurch unter anderem auch die Reibung verringert und die Wärme besser abgeleitet werden, was sich letzten Endes auch wieder positiv auf die Standzeit auswirke, wie Stähli sagt. Und auch wenn die mancherorts gemachten Marketingversprechen von einer acht- oder zehnfachen Standzeit gegenüber einem unbeschichteten Werkzeug wohl nur unter optimalen Bedingungen erreicht werden, macht eine Hartstoffbeschichtung den Fräser oder Bohrer definitiv langlebiger. «Nach unserer Erfahrung ist ein Wert von zwei- bis vierfacher Standzeit in den meisten Fällen realistisch», sagt Guggisberg. Preislich bewege sich etwa ein beschichteter Vollhartmetallschaftfräser dabei zwischen plus 20 und 40 % gegenüber einem unbeschichteten. «Heute ist das Preis-Leistungs-Verhältnis sicher attraktiver als noch vor ein paar Jahren, da die Preise für die Hartstoffbeschichtungen deutlich gesunken sind», ergänzt Guggisberg. 

 

Schärfen oder neu beschichten? 

Ob mit einer zwei-, vier- oder gar achtfachen Verlängerung der Standzeit – eine Hartstoffbeschichtung kann die üblichen Abnutzungserscheinungen der Werkzeugschneide nur vorübergehend hinauszögern. Irgendwann ist auch diese Schutzschicht aufgebraucht. Zwar lässt sich die Beschichtung in der Theorie erneuern, doch dies ist aus wirtschaftlicher Sicht kaum attraktiv. «Ein Neubeschichten würde je nach Situation fast teurer sein als ein neues Produkt», sagt Stähli. 

Dafür kann ein beschichteter Fräser oder Bohrer wie ein normales Hartmetallwerkzeug nachgeschärft werden, und der Schärfpreis bleibt der gleiche. Die Beschichtung wird beim Schärfen im Bereich der Zahnbrust zwar abgetragen, am Rücken der Schneide bleibt sie aber bestehen. «Dadurch hat ein beschichtetes Werkzeug auch nach dem Schärfen noch eine höhere Standzeit als ein unbeschichtetes», erklärt Stähli. 

 

Sinnvolle Alternative 

Ob sich der Einsatz einer Hartstoffbeschichtung rechnet, müsse immer selektiv angeschaut werden und zeige sich vielfach erst nach einem Testversuch, wie Stähli sagt. «Grundsätzlich kann ein beschichtetes Werkzeug aber überall dort einen potenziellen Mehrwert bieten, wo bisher ein normaler Vollhartmetallfräser oder -bohrer eingesetzt wurde», ergänzt Guggisberg. Und auch wenn die Hartstoffbeschichtungen die Marketingversprechen nicht immer erfüllen, können sie dennoch eine sinnvolle Alternative zu einem erheblich teureren Dia-Werkzeug sein. Sven Bürki

 

www.oertli.ch 

www.hws-tools.ch 

Veröffentlichung: 03. Juli 2025 / Ausgabe 27-28/2025

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